Читать книгу Handbuch Versammlungsrecht - Группа авторов - Страница 57
Оглавление315Gerichtlich hat sich bis jetzt nur das Verwaltungsgericht Lüneburg741 mit der Thematik befasst, allerdings vor dem Inkrafttreten der EU-Datenschutzregeln. Nach dem Leitsatz des Gerichts ist die prophylaktische Übermittlung von personenbezogenen Daten für noch nicht real eingetretene Gefahrenabwehraufgaben unzulässig. Zur Verhinderung von möglichen unrechtmäßiger Datenweiterleitung an den Verfassungsschutz kann alternativ erwogen werden, diese zunächst nur in anonymisierte Weise an den Verfassungsschutz weiterzuleiten.
316Auch Privaten, z. B. Journalisten oder Personen, die vom Veranstalter Schadensersatz fordern wollen, darf die Behörde die Daten grundsätzlich nicht mitteilen. Wenn allerdings im Sinne der gefahrenabwehrrechtlichen Aufgabe des Schutzes privater Rechte eine Datenerhebung auf Grundlage des jeweiligen Polizeigesetzes zulässig wäre, können die vorhandenen Daten genutzt und dem Privaten zur Verfügung gestellt werden. Grundsätzlich können Dritte während einer Versammlung im Falle einer Beeinträchtigung bzw. zur Wahrung privater Rechte ein Einschreiten des Polizeivollzugsdienstes fordern. Sofern dies nicht der Fall ist, besteht die Gefahr für die Praxis, dass sich Dritte nachträglich an die Versammlungsbehörde wenden und die Herausgabe personenbezogener Daten zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche fordern. Die in Art. 23 Abs. 1 EU-DSGVO genannten Schutzzwecke legitimieren eine Änderung des Zwecks der Datenerhebung nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 4 EU-DSGVO. Art 23 EU-DSGVO (Öffnungsklausel) ermöglicht den Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen Beschränkungen der Rechte und Pflichten nach der EU-DSGV vorzunehmen. So sieht Art. 23 Abs. 1 lit. j EU-DSGVO diese Möglichkeit auch zur „Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche“ vor.
317Spezialgesetzliche Datenschutzregelungen sind in den Versammlungsgesetzen in der Regel nicht ersichtlich. So ist das jeweilige Gesetz zur Umsetzung der EU-DSGVO des Landes heranzuziehen. Während nach § 25 Abs. 2 Nr. 3 BDSG die Übermittlung von personenbezogenen Daten durch öffentliche Stellen an nichtöffentliche Stellen ausdrücklich auch für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche möglich ist, bedarf es eindeutiger Regelungen in diesem Gesetz auf Grundlage des Art. 23 EU-DSGVO. So ist in den entsprechenden Landesgesetzen gesetzlich verankert, dass eine Verarbeitung zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, zulässig ist, wenn es zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer anderen Person erforderlich ist (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2 SächsDSDG, Artikel 6 Abs. 2 Nr. 3 d) BayDSG, § 6 Abs. 2 Nr. 3 NDSG, § 9 Abs. 2 Nr. 2 DSG NRW usw.). Es dürfte im Ergebnis einiges dafürsprechen, unter die „Rechte einer anderen Person“ auch zivilrechtliche Ansprüche zu fassen. Im Ergebnis wird es derzeit als vertretbar anzusehen sein, die Übermittlung personenbezogener Daten an Dritte zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche als grundsätzlich zulässig zu erachten. Erforderlich ist jedoch eine Interessenabwägung, wobei zu beachten ist, dass es sich um eine „schwerwiegende Beeinträchtigung“ handeln muss. Im Übrigen sind die Rechte der betroffenen Person nach der EU-DSGVO und deren Einschränkungen durch Artikel 23 EU-DSGVO i. V. m. Landesdatenschutzgesetz zu beachten. Unbenommen bleibt die Möglichkeit der vorsorglichen Durchführung einer Anhörung des Betroffenen vor Übermittlung der Daten an den Dritten.
317acc) Veröffentlichung von Versammlungsdaten. Eine Besonderheit in Berlin ist die in § 12 Abs. 8 VersFG BE normierte Verpflichtung der Behörde, Ort (einschl. Streckenverlauf), Zeit und Thema der angezeigten Versammlung zu veröffentlichen. Zu dieser singulären Bestimmung findet sich in der Gesetzesbegründung keine Begründung, sondern nur die Vorgabe, dies solle im Open-Data-Portal des Landes in maschinenlesbarer Form geschehen.742 Die Norm ist wegen Verstoßes sowohl gegen die Versammlungsfreiheit als auch gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als verfassungswidrig einzustufen.743 Denn jedem Bürger steht es frei, selbst darüber zu bestimmen, inwieweit er sein Leben öffentlich macht.744 Speziell bezogen auf Versammlungen ist das Recht der Versammlungsbeteiligten anerkannt, den Überraschungseffekt zu nutzen und beispielsweise mittels eines „Flash Mobs“ bzw. „Smartmobs“ auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.745 Insofern lässt sich schon die Anzeigepflicht als solche nur mit dem Argument der Gefahrenabwehr rechtfertigen.746 Letztere wird aber durch eine behördlich vorgenommene Veröffentlichung der Veranstaltungsdaten nicht gefördert, im Gegenteil: Eine Veröffentlichung erleichtert es gewalttätigen Störern, Angriffe auf die Versammlung zu planen. Insofern steht § 12 Abs. 8 VersFG BE auch im Gegensatz zur verfassungsrechtlich vorgegebenen Schutzaufgabe747 des Staates. Sowohl für Berlin als auch für alle anderen Bundesländer ist daher richtigerweise davon auszugehen, dass die Behörde die Versammlungsdaten ohne Einverständnis des Veranstalters weder veröffentlichen muss noch darf.