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7.Folgen unterbliebener, unrichtiger oder verspäteter Anzeige
Оглавление322a) Nicht angemeldete Versammlungen. Fehlt die Anzeige völlig, so hat die Behörde keine Befugnis, vom Veranstalter die Erfüllung der Anzeigepflicht zu verlangen, nachdem sie auf anderen Wegen von der Veranstaltung erfahren hat.754 Auch sieht das Gesetz kein Versammlungsverbot wegen fehlender Anmeldung vor. Wohl aber kann nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersG eine Auflösung der Versammlung erfolgen, weil diese nicht angemeldet ist. Indes ist eine Auflösung bloß wegen fehlender Anmeldung verfassungsrechtlich nicht zulässig.755 Praktisch hat die unterbliebene Versammlungsanzeige daher keine unmittelbaren gefahrenabwehrrechtlichen Konsequenzen.
323Die Nichtbeachtung der Anzeigepflicht kann jedoch zu einer Verlagerung der Güterabwägung zu Lasten des Versammlungsrechts in Gestalt einer Verlagerung des „Machbarkeitsrisikos“ der Veranstaltung führen. Wird den zuständigen Behörden durch das Fehlen, die Verspätung, die Unvollständigkeit oder die Unrichtigkeit der Anzeige nicht die Möglichkeit gegeben, hinreichende Maßnahmen und Prüfungen durchzuführen, muss sich der Veranstalter Unwägbarkeiten zurechnen lassen, die er im Falle einer ordnungsgemäßen Anmeldung nicht zu tragen bräuchte. Dies kann vor allem räumliche und zeitliche Beschränkungen der Versammlung nach sich ziehen.756
324Die Durchführung einer gar nicht angezeigten Versammlung ist nach § 26 Nr. 2 VersG und § 27 Nr. 2 SächsVersG strafbar bzw. gemäß Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG, § 21 Abs. 1 Nr. 4 NVersG, § 27 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE, § 24 Abs. 1 Nr. 1 VersFG SH und § 28 Abs. 1 Nr. 2 VersammlG LSA ordnungswidrig. Das gilt auch für Eilversammlungen.757 Keinerlei straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen hat das bloße Unterlassen der Anzeige einer geplanten Versammlung, solange diese nicht durchgeführt wird.758 Unter Umständen kann es also geboten sein, statt vorschnell mit Strafanzeigen zu agieren, zunächst zu beobachten und vor allem zu dokumentieren, wer für eine Versammlung mobilisiert hat und ob tatsächlich eine Versammlung durchgeführt wird, die denjenigen Personen zugerechnet werden kann, die ohne Anzeige für die Versammlung mobilisiert haben.
325b) Anmeldung mit unrichtigen oder unvollständigen Angaben. Unrichtige oder unvollständige Angaben in der Anzeige sind für sich genommen weder Verbots- noch Auflösungsgrund.759 Ob die Behörde eine Ergänzung fordern kann, ist streitig760, aber wohl zu verneinen: Da eine Anzeige überhaupt nicht verlangt werden kann761, muss dies auch für Ergänzungen gelten.762 Im Rahmen der Kooperation ist die Behörde allerdings aufgerufen, sich um ergänzende Angaben zu bemühen. Bei fehlender Angabe persönlicher Daten des Veranstalters könnte zudem erwogen werden, diese auf andere Weise zu ermitteln. Letzteres ist aber nur zulässig, wenn die im jeweiligen Gefahrenabwehrgesetz des Landes normierten Voraussetzungen z. B. für Datenerhebungen oder Identitätsfeststellungen erfüllt sind. Standard-Voraussetzung ist insoweit eine Gefahr. Bloß aus der Anmeldung einer Versammlung resultiert i. d. R. noch keine Gefahr, so dass die Behörde zunächst meist ohne die verweigerten Personalien wird auskommen müssen; erweist sich später die Versammlung als unfriedlich oder sonstwie gefahrträchtig, können die Ermittlungen vorgenommen werden.
326Strafrechtlich relevant werden können unrichtige Angaben in dem Moment, in dem bei der Durchführung der Versammlung wesentlich von den Angaben in der Anzeige abgewichen wird, § 25 Nr. 1 VersG, § 26 Abs. 1 Nr. 1 SächsVersG, § 24 Abs. 1 Nr. 1 VersammlG LSA. Nach niedersächsischem, Berliner und schleswig-holsteinischem Recht ist in solchen Fällen lediglich eine Ordnungswidrigkeit gegeben,§ 21 Abs. 1 Nr. 7 NVersG, § 27 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE, § 24 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 4 VersFG SH. In Bayern sind keine Sanktionen vorgesehen.763 Umgekehrt ist es in Niedersachsen schon unabhängig von der späteren Durchführung der Versammlung ordnungswidrig, falsche oder unvollständige Angaben zu machen, § 21 Abs. 1 Nr. 5 NVersG.
327Ein spezielles Problem sind in diesem Zusammenhang Tarnveranstaltungen.764 Eine Tarnveranstaltung ist gegeben, wenn der Veranstalter abweichend von den Angaben in der Versammlungsanzeige in Wirklichkeit eine Versammlung mit anderem Inhalt und Gegenstand plant.765 Grundsätzlich muss die Behörde zunächst einmal von den Angaben in der Anzeige ausgehen, wenn es sich nicht aufgrund konkreter Umstände aufdrängt, dass eine andere als die angemeldete Versammlung geplant ist.766 Die Annahme einer Tarnveranstaltung bedarf weiterer tatsächlicher Erkenntnisse, die über an die Gesinnung anknüpfender Vermutungen und Interpretationsmöglichkeiten hinausgehen.767 Die Möglichkeit einer Tarnveranstaltung kann nur zur Grundlage eines Versammlungsverbots genommen werden, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist.768 Bejaht (und bei entsprechender Gefahrenprognose verboten) werden kann eine Tarnveranstaltung z. B., wenn sich aus dem Ablauf einer kurz zuvor vom selben Veranstalter durchgeführten Veranstaltung und einer internen Unterlage dieses Veranstalters ergibt, dass er bei Anmeldung der Versammlung und im Kooperationsgespräch seine wahren Absichten hinsichtlich Teilnehmerzahl und Durchführung eines Aufzuges verschleiert.769
328c) Verspätete Anmeldung. Da es sich bei der Anmeldepflicht um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt770, sieht das Gesetz für den Fall einer zwar nicht innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist, aber noch vor der Versammlung erfolgenden Versammlungsanzeige keinerlei Konsequenzen vor. Eine Verspätung der Versammlungsanzeige erschwert allerdings der Behörde die Kooperation und kann insofern mittelbar (ähnlich wie Verletzungen der Kooperationsobliegenheit des Veranstalters771) zu Nachteilen führen.