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8.Die Spontanversammlung als Versammlung ohne Anzeigepflicht

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329Spontanversammlungen sind gemäß dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von der Anzeigepflicht befreit.772 Im Versammlungsgesetz des Bundes ist dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, doch muss das VersG entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einschränkend ausgelegt werden. Die Länder-Versammlungsgesetze haben die verfassungsgerichtliche Judikatur aufgegriffen und die Spontanversammlung normiert: Art. 13 Abs. 4 BayVersG, § 5 Abs. 5 NVersG, § 14 Abs. 4 SächsVersG, § 12 Abs. 7 VersFG BE, § 11 Abs. 6 VersFG SH, § 12 Abs. 1 S. 2 VersammlG LSA.

330Spontanversammlungen sind nach gängiger Definition Versammlungen, die sich „aus aktuellem Anlass augenblicklich bilden773 bzw., wie es Art. 13 Abs. 4 BayVersG ausdrückt, „aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickeln“.774 Die Versammlungsgesetze in Niedersachsen und Sachsen fassen den Begriff der Spontanversammlung weiter und verstehen hierunter jede Versammlung, bei der „die Bekanntgabe der Versammlung mit deren Beginn zusammenfällt“ (§ 8 Abs. 5 NVersG; § 14 Abs. 4 SächsVersG)775; ähnlich776 verlangt auch das Gesetz in Berlin und Schleswig-Holstein nur einen „spontanen Entschluss“, nicht aber einen aktuellen Anlass (§ 12 Abs. 7 VersFG BE, § 11 Abs. 6 VersFG SH). Die Abweichung von der von der h. M. vertretenen Begriffsbestimmung der Spontanversammlung stellt die Verfassungsmäßigkeit dieser Normen nicht in Frage, denn das Gesetz ist ja lediglich versammlungsfreundlicher als nötig und verzichtet auf das Erfordernis eines die Spontanität begründenden Anlasses.777 Freilich hat der Gesetzgeber in Niedersachsen, Sachsen, Berlin und Schleswig-Holstein hierdurch die Gefahr geschaffen, dass in der Praxis das Anmeldeerfordernis ad absurdum geführt wird, was zu kritisieren ist. Viele nicht angezeigte Versammlungen können mit dieser Gesetzesfassung als Spontanversammlung deklariert werden, da häufig schwer nachweisbar sein wird, ob es sich tatsächlich um einen spontanen Entschluss handelt(e) oder die Versammlung nicht in Wahrheit „von langer Hand“ vorher geplant wurde. Außerdem stellt sich doch die Frage der Rechtfertigung einer Privilegierung eines bloßen spontanen Entschlussses (ohne jeglichen tatsächlich spontanen Anlass) zur Durchführung einer nicht angezeigten Versammlung gegenüber einem „regulären“ Versammlungsentschluss, für welchen die Anzeigepflicht gilt und der gegebenenfalls einen intensiven Verwaltungsvorgang auslöst. Dennoch liegen die Vorteile für den Anmelder auf der Hand: Planungssicherheit im Hinblick auf Flächenverfügbarkeit, Prüfung von Aufzugsstrecken auf Baustellen etc., Verkehrsplanung hinsichtlich Straßensperrungen und ÖPNV, ausreichend Polizeikräfte usw.

331Eine Spontanversammlung kann sich auch aus einer angezeigten Versammlung entwickeln. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn sich durch Eingriffsmaßnahmen der Behörden oder andere plötzliche Ereignisse die Zielrichtung oder die Form der bisherigen Versammlung grundlegend ändert, sodass die gesamte bisherige Versammlung als eine grundlegend andere anzusehen ist oder ein Teil der Versammelten eine eigenständige Protestversammlung bildet.778

332Versammlungen, die schon im Voraus geplant sind und nur einen Überraschungseffekt auslösen und spontan wirken sollen (z. B. „Flash Mobs“), sind keine Spontanversammlungen.779 Das Mitbringen vorbereiteter Transparente spricht regelmäßig gegen die Spontanität einer Versammlung.780

333In der Praxis ist regelmäßig zu beobachten, dass Personen aus der Gruppe heraus agieren bwz. sich absetzen unter Zuhilfenahme einer vermeintlichen Spontanversammlung, um eigene Ziele zu verfolgen. Wie bereits beschrieben, ist es oft nicht beweisbar, dass dies nicht spontan erfolgte. In der Folge wird der Vertreter der Versammlungsbehörde regelmäßig diese nicht verbieten können. Es bedarf jedoch des Augenmaßes hinsichtlich der Frage der Platzwahl. So versuchen Anmelder, welche eine bestimmte Örtlichkeit aus unterschiedlichsten Gründen nicht nutzen können, vor Ort auf dem ursprünglich begehrten Platz eine Spontanversammlung anzuzeigen. Des Weiteren gilt es vor Ort zu beachten, dass Spontanversammlung „nicht die besseren Plätze“ gegenüber denjenigen Anmeldern erhalten, welche ihre Versammlung angezeigt haben.

334Ob die Versammlung einen Veranstalter oder einen Leiter hat, ist – entgegen einigen Stimmen in der Literatur781 – für die Einstufung als Spontanversammlung unerheblich.782 Denn auch wenn eine bestimmte Person spontan die Initiative ergreift und die Anwesenden dazu bringt, sich zu einer Versammlung zu formieren, besteht das typische Problem der Spontanversammlung, dass in einer solchen Situation keine Versammlungsanzeige möglich ist. Genau dies ist aber der Grund, aus dem das Bundesverfassungsgericht auf das Erfordernis einer Anmeldung bei Spontanversammlungen verzichtet – nicht etwa wegen fehlenden Leiters oder Veranstalters. Auch in Bayern, wo die Veranstalterlosigkeit in die gesetzliche Definition aufgenommen worden ist, wird man einer spontanen Versammlung nicht etwa die Anerkennung als Spontanversammlung verweigern können, wenn ausnahmsweise doch ein Veranstalter vorhanden ist; zum gleichen Ergebnis lässt sich auch gelangen, indem die die Initiative ergreifende Person nicht als Veranstalter angesehen wird.783

335Rechtsfolge des Vorliegens einer Spontanversammlung ist das Entfallen der Anzeigepflicht. Alle sonstigen versammlungsgesetzlichen Vorschriften gelten aber grundsätzlich auch für Spontanversammlungen. Insofern ist es sogar möglich, vom Veranstalter oder Leiter einer Spontanversammlung die in eine Versammlungsanzeige gehörenden oder ergänzend zu fordernden Angaben zu verlangen. Allerdings muss eine Spontanversammlung keinen Leiter und keinen Veranstalter haben; in derartigen Fällen gibt es keine Person, an die sich die Behörde mit dem Mitteilungsverlangen wenden könnte.784

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