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3.Die Kooperationspflicht der Behörden

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351a) Inhalt und Ausprägungen der Kooperationspflicht. Eine Pflicht zur Zusammenarbeit trifft nur die Behörden, nicht den Veranstalter oder Versammlungsleiter.806 Kooperation muss stattfinden, sobald ein Kooperationsbedarf bzw. -anlass besteht. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob eine Versammlung angemeldet worden ist; die Behörde ist berufen, auch zu nicht angemeldeten Versammlungen Kontakt aufzunehmen, sobald diese durch Einladungen oder z. B. Diskussionen im Internet bekannt werden.807 Besteht keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, ist eine Kooperation entbehrlich.808

352Die Behörde darf ein bestimmtes zu erwartendes Szenario nicht als schicksalhaften Verlauf entsprechender Versammlungen hinnehmen. Vielmehr hat sie in Kooperation mit den Veranstaltern und dem Versammlungsleiter im Rahmen der fortbestehenden Möglichkeit, Beschränkungen zu erlassen, etwa durch eine Gestaltung der Versammlungsorte und Aufzugsstrecken nach Lösungen zu suchen, in deren Rahmen sie das Versammlungsrecht effektiv sichern kann.809 Insbesondere muss die Behörde für den Fall von (prognostizierten oder auch bereits stattfindenden) gegen die Versammlung gerichteten Aktionen Dritter alle Möglichkeiten ausschöpfen, in Kooperation mit den Veranstaltern bzw. dem Leiter durch eine Gestaltung der Versammlungsorte und Aufzugstrecken unter Einbeziehung von Maßnahmen auch gegenüber Gegendemonstranten Lösungen zu finden, in deren Rahmen das Versammlungsrecht gesichert werden kann.810 Einem Veranstalter oder Versammlungsleiter, der von sich aus keine Alternativen zu der von der Behörde als bedenklich eingeschätzten Art und Weise der Durchführung der Versammlung benennt, muss die Behörde Alternativvorschläge für Versammlungsmodalitäten machen, etwa zur Aufzugsstrecke.811

353Wesentlicher Ausdruck des Kooperationsgrundsatzes ist zudem die rechtzeitige Bekanntgabe von beschränkenden Verfügungen. Sie muss früh genug erfolgen, damit der Betroffene Zeit zu Reaktionen erhält.812 Die vorgelagerte Pflicht der Behörde zu rascher Bearbeitung und zügiger Entscheidung über etwaige Maßnahmen folgt zwar nicht aus dem Kooperationsgrundsatz813, ist aber ein Gebot rechtsstaatlichen Handelns.814 Die bewusste Verzögerung einer versammlungsbehördlichen Entscheidung ist rechtsstaatlich nicht zu akzeptieren und kann bereits für sich genommen zum Erfolg des beantragten Eilrechtsschutzes führen.815

354Die Kooperation darf auf behördlicher Seite allerdings nicht in Fürsorgemaßnahmen ausarten, die einerseits über die polizeirechtliche Aufgabe der Gefahrenabwehr hinausgehen oder andererseits flexible polizeiliche Einsatzstrategien verhindern.816 Auch ändert die Kooperationspflicht nichts daran, dass die Polizei zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet ist. Das Legalitätsprinzip steht im Rahmen der Kooperation nicht zur Disposition, was einen gewissen Spielraum hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen sowie Zeit und Ort des Eingreifens nicht ausschließt.817

355b) Der Ablauf der Kooperation. Zum Zwecke der Zusammenarbeit lädt die Versammlungsbehörde üblicherweise den Veranstalter (und, falls schon bekannt, den Leiter) zum Kooperationsgespräch ein. Ein derartiges formalisiertes Gespräch wird in der Regel sinnvoll sein, ist aber nicht vorgeschrieben.818 Die Behörde kann auch auf andere Weise Kontakt zum Veranstalter halten (etwa per Telefon oder mittels E-Mail-Austausches) und hierdurch ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit genügen. Die Form des Kooperationsgespräches hat den Vorteil, dass hierzu auch die Polizei (sofern sie nicht ohnehin Versammlungsbehörde ist), in (seltenen) geeigneten Fällen sogar Veranstalter von Gegenkundgebungen und außerdem besonders betroffene Gewerbetreibende o. ä. eingeladen werden können.819

356Hinsichtlich der Frage zunächst, wann ein Kooperationsgespräch bzw. ob dieses gegebenenfalls auch mehrmals durchzuführen ist, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Um die beiderseitigen Handlungsspielräume in einem angemessenen Maße sicher zu stellen, muss die zeitliche Durchführung des Kooperationsgespräches so terminiert werden, dass beiden Seiten noch Reaktionszeit bleibt und auch die Zeit für ein etwaiges gerichtliches Eilverfahren beachtet wird. In der Regel wird eine zu frühe Durchführung eines Kooperationsgespräches unzweckmäßig sein, da z. B. Gesamtversammlungslagen noch nicht finalisiert sind und damit Überlegungen zur Gefahrenprognose noch gar nicht angestellt werden können. Sofern Dinge ungeklärt sind oder neuer Kooperationsbedarf entsteht, sind unter Umständen mehrere Kooperationsgespräche zu führen.

357Dem Veranstalter steht es frei, das Kooperationsangebot anzunehmen oder abzulehnen.820

358Im Falle der Annahme des Kooperationsangebotes gilt weiter Folgendes:

359Die Behörde hat gemäß § 25 Satz 2 VwVfG den Veranstalter über die Rechtslage (einschließlich ihrer eigenen Gefahreneinschätzung821) aufzuklären.822 Sie darf aber nicht versuchen, durch die Ankündigung rechtlich nicht zulässiger Maßnahmen den Veranstalter zu beeinflussen.823 Eine allgemeine versammlungsrechtliche Aufgabe der Behörde, den Veranstalter zu beraten, besteht nicht824; doch hat die Behörde die nach § 25 VwVfG (sowie teilweise auch kommunalrechtlich, siehe etwa § 11 Abs. 3 SächsGemO) bestehenden Beratungspflichten zu beachten. Zweck und Anliegen der Versammlung sind (solange damit keine Straftaten verbunden sind) nicht in den Kooperationsgesprächen zu behandeln.825 Grundsätzlich darf die Versammlungsbehörde Zweck und Anliegen der Versammlung nicht werten. Die Behörde ist jedoch nicht davon abgehalten, über Alternativstandorte aufzuklären, um z. B. Hör- und Sichtprotest optimaler zu gewährleisten (gerade bei Doppelbelegungen).

360Beabsichtigt die Behörde den Erlass von beschränkenden Verfügungen oder gar eines Versammlungsverbotes, so hat sie im Kooperationsgespräch eine Vorwarnung zu geben; in § 3 Abs. 3 S. 2 VersFG SH ist dies ausdrücklich normiert, gilt aber auch in allen anderen Bundesländern.826 Die Behörde kann bei dieser Gelegenheit die nach § 28 Abs. 1 VwVfG notwendige Anhörung durchführen; dies kann aber auch separat erfolgen. Ohne die zu einer Anhörung gehörende Gelegenheit für den Betroffenen zur Stellungnahme ersetzt das Kooperationsgespräch nicht die Anhörung.827

361Die Behörde muss dem Veranstalter Informationen geben, auf die er reagieren kann.828 Hat sie beispielsweise Zweifel an der Zuverlässigkeit der vom Veranstalter benannten Ordner, so reicht dies allein nicht für die Folgerung, der Veranstalter habe nicht alles Erforderliche getan, um Gefahren auszuschließen. Bedenken an der Zuverlässigkeit der Ordner können zwar versammlungsrechtlich erheblich sein. Ist der Veranstalter aber bereit, die betroffenen Ordner gegen andere auszutauschen, widerspricht es der Aufgabe der Behörde zur versammlungsfreundlichen Kooperation, wenn sie die Namen der beanstandeten Ordner nicht benennt und damit dem Veranstalter die Möglichkeit nimmt, die Ordner auszuwechseln.829 Tatsächliche Umstände, die nach Ansicht der Behörde sogar zu einem Verbot der Versammlung führen können, muss die Behörde möglichst frühzeitig zur Sprache bringen und dem Veranstalter Gelegenheit geben, rechtzeitig Abhilfe zu schaffen.830

362Gerade bei Anlassversammlungen des rechten Spektrums versuchen die Veranstalter des Gegenprotestes im Rahmen des Kooperationsgesprächs häufig, Auskunft über die Aufzugsstrecke der Anlassversammlung zu erlangen oder zu verlangen. Zwar mag man ein Auskunftsrecht zur Ermöglichung von Gegenversammlungen in Hör- und Sichtweite aus Art. 8 Abs. 1 GG ableiten können. Gleichwohl gilt es abzuwägen, welche Informationen tatsächlich für den Gegenprotest erforderlich sind und ob nicht durch die Mitteilung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit entsteht. Aus diesem Grund wird sich in der Regel verbieten, bei einer Versammlung-Gegenversammlungslage ein gemeinsames Kooperationsgespräch zu führen.

363Im Übrigen obliegt der Versammlungsbehörde die Ermessenshoheit, so dass zwar im Rahmen des Kooperationsgespräches Erörterungen möglich sind, aber dies keinesfalls ein Ver- oder Aushandeln bedeuten darf. Soweit Absprachen getroffen werden, sind diese (zumindest im Regelfall) auch nicht etwa als öffentlich-rechtliche Verträge einzustufen.831

364Wenn ein Kooperationsgespräch geführt wird, muss die Behörde dem Veranstalter ein über dieses Gespräch angefertigtes Protokoll überlassen und sich an die Ankündigungen aus diesem Gespräch halten.832 Sinnvollerweise sollte sich die Behörde das behördliche Protokoll vom Veranstalter der Versammlung unterzeichnen lassen; jedenfalls dann ist das Protokoll in einem etwaigen späteren Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht als Nachweis über Durchführung und Inhalt der Kooperation verwertbar.833 Eine (zusätzliche) Protokollierung des Kooperationsgesprächs durch den Veranstalter (oder Leiter) wird diesem nicht verwehrt werden können, hat aber keinen eigenständigen Beweiswert.

365In der Praxis wird nicht unbedingt die Notwendigkeit oder die rechtliche Verpflichtung gesehen, dem Veranstalter das Protokoll zu überlassen. Es ist Bestandteil der Versammlungsakte und somit vom Anspruch auf Akteneinsicht umfasst. Alternativ kann und sollte man mindestens auch in der Sachverhaltsdarstellung im Versammlungsbescheid die wesentlichen Ergebnisse des Kooperationsgesprächs wiedergeben. Die Behörde hat die Deutungs- und Ermessenshoheit, so dass auch aus diesem Grund keine unbedingte Veranlassung besteht, dem Anmelder ein Protokoll des Kooperationsgespräches zu überlassen. Der Versammlungsbescheid unter Wiedergabe der wesentlichen Ergebnisse des Kooperationsgespräches wird dem Anmelder rechtzeitig zugestellt, so dass er reagieren und ggf. nachjustieren kann. Das Protokoll sollte wie behördenüblich im 4-Augen-Prinzip unterzeichnet sein.

366Ausgehend von der Rechtsprechung834 ist die gesamte Protokollierung des Kooperationsgesprächs auf Tonträgern nicht notwendig. In diesem Zusammenhang ist es aus Behördensicht auch als kritisch zu betrachten, wenn Teilnehmer des Veranstalters die tontechnische Aufzeichnung des Kooperationsgesprächs verlangen oder dieses gar heimlich aufzeichnen. Gegebenenfalls bietet sich im Vorfeld des Gesprächs ein Hinweis auf die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes an. Die Weigerung des Anmelders, an einem Kooperationsgespräch ohne Dokumentation teilzunehmen, darf allerdings nicht als Beleg seiner Unzuverlässigkeit als Veranstalter genommen werden.

367Während der laufenden Versammlung ist die Polizei835 bzw. Versammlungsbehörde836 aufgerufen, Kontakt zum Versammlungsleiter zu halten und mit diesem gemeinsam Lösungen zu suchen, die die Ausübung des Versammlungsgrundrechts ermöglichen.837 Insbesondere bei kurzfristig anberaumten Eilveranstaltungen oder bei Spontanversammlungen, bei denen eine Zusammenarbeit der Behörde mit dem Veranstalter vor Versammlungsbeginn praktisch ausscheidet838, gewinnt die Kooperation mit dem Versammlungsleiter besondere Bedeutung.839 Die Behörde – d. h. vor Ort i. d. R. die Polizei – muss versuchen, zu Kooperationszwecken einen Ansprechpartner zu gewinnen; dies gilt auch dann, wenn sich kein Leiter zu erkennen gibt.840 In der konkreten Situation einer sich entwickelnden Versammlung stößt die Kooperation mit dem Versammlungsleiter aber auch an faktische Grenzen, die die Kooperationspflicht reduzieren. Insbesondere wird die Auflösung einer Versammlung nicht stets unverhältnismäßig sein, wenn die Polizei nicht zuvor die Zusammenarbeit mit dem Versammlungsleiter gesucht hat. Denn da Auflösungsverfügungen angesichts unmittelbarer Gefahren für die öffentliche Sicherheit meist sehr kurzfristig getroffen werden müssen, bleibt oft nicht genug Zeit für eine Kooperation.841

368In Schleswig-Holstein ist nach § 3 Abs. 4 S. 2 VersFG SH Konfliktmanagement Bestandteil der Kooperation. Praktische Auswirkungen hat diese Bestimmung wohl nicht.842 Entsprechendes gilt für die Regelung in Berlin (§ 3 Abs. 4 S. 2 VersFG BE).

369Wie sich der Veranstalter bzw. der Versammlungsleiter in dem Kooperationsverfahren verhält, ist nicht verpflichtend vorgegeben. Er kann seiner Kooperationsobliegenheit nachkommen843, aber auch weit gehend passiv bleiben.

370Während der laufenden Versammlung ist im Übrigen die Dokumentation des Ablaufs insbesondere im Hinblick auf Problemlagen und Verstöße sinnvoll. Insbesondere dann, wenn die Kommune als Versammlungsbehörde zuständig ist, kann diese sich nicht nur auf die polizeilichen Abschlussberichte verlassen, sofern solche überhaupt gefertigt werden. Für die Behörde ist diese Dokumentation mittels Vermerk, welcher Bestandteil der Verwaltungsakte wird, enorm wichtig. Nur so kann die Behörde eine Grundlage im Sinne einer Gefahrenprognose schaffen, um den Anmelder bei der nächsten Versammlung mit früheren Versammlungsabläufen konfrontieren, Beschränkungen verschärfen oder gegebenenfalls den Versammlungscharakter verneinen zu können.

371c) Folgen unzureichender behördlicher Kooperation. Genügt die Behörde ihrer Kooperationspflicht nicht, so kann dies negative Auswirkungen auf ihre Eingriffsmöglichkeiten haben.844 Insbesondere werden Beschränkungen und Versammlungsverbote u. U. wegen Unverhältnismäßigkeit nicht zulässig sein, da als milderes geeignetes Mittel die Kooperation in Betracht käme.845

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