Читать книгу Hochschulrecht - Группа авторов - Страница 40
2. Wissenschaftsfreiheit und Autonomie
Оглавление120
Vor allen Interpretationsbemühungen um den autonomiebegründenden Gewährleistungsinhalt des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lohnt es, sich zu vergegenwärtigen, dass Staatsfunktionen nie in vollständig staatsfreien Räumen ausgeübt werden können. Dies verbietet die Staatsstrukturnorm des Art. 20 Abs. 2 GG. Alle Staatsgewalt muss legitimatorisch an den politischen Willen des Wahlvolkes angebunden sein. Dies ist der innerste Kern der Demokratie des Grundgesetzes. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG legt zudem fest, dass alle Staatsgewalt durch besondere Organe der drei Staatsgewalten auszuüben ist, und Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung. Die letztgenannte Bestimmung führt Demokratie und Rechtsstaat zusammen, indem sie einen allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes postuliert, der sich bei grundrechtswesentlichen Fragen zum Parlamentsvorbehalt verdichtet. Dies bedeutet für die Autonomie der Hochschulen: Wenn die Hochschulen Herrschaftsgewalt ausüben und eingreifend tätig werden, aber auch schon dann, wenn sie im grundrechtsrelevanten Bereich leistend tätig werden, benötigen sie eine gesetzliche Grundlage.[6] Autonome Herrschaftsausübung im staats- und gesetzesfreien Raum ist unter der Herrschaft des Grundgesetzes ausgeschlossen. Wohl aber ist möglich, dass auf der Grundlage des Gesetzes Autonomie eingeräumt wird. Aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG könnte abzuleiten sein, dass der Gesetzgeber den Hochschulen Autonomie einräumen muss.
121
Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Deduktion mit dem Hinweis auf die objektiv-rechtliche, wertsetzende Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eingeleitet, dann aber im Ergebnis offen gelassen. Im Hochschulurteil heißt es zunächst:
„Im Bereich des mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetriebs, d.h. in einem Bereich der Leistungsverwaltung, hat der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist.“[7]
122
Sodann erklärt das Gericht, dass es keinen Anlass sehe, die Frage zu entscheiden, ob die Wissenschaftsfreiheit ein „Grundrecht der deutschen Universität“ begründe. Denn
„der wesentliche Inhalt eines solchen ‚Grundrechts‘, nämlich die Selbstverwaltung im ‚akademischen‘, d.h. dem auf Forschung und Lehre unmittelbar bezogenen Bereich, besteht faktisch unangefochten, ist in den Hochschulgesetzen anerkannt und in den meisten Länderverfassungen ausdrücklich garantiert.“[8]
123
Das Gericht hat es in dieser Entscheidung also weder ausdrücklich abgelehnt noch ausdrücklich angenommen, dass in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine Garantie der Hochschulselbstverwaltung enthalten ist. In der Tat war in der damaligen Entscheidungssituation ein Urteil zu dieser Frage nicht angezeigt, ging es doch nur darum, über die Einzelheiten innerhalb eines Selbstverwaltungsmodells zu entscheiden. Das Schrifttum hat indes die im Ansatz des Bundesverfassungsgerichts angelegte Gewährleistung eines möglichst freien, wissenschaftsadäquaten Organisationsmodells gedanklich weiter entwickelt. Danach setzt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in organisatorischer Hinsicht zwingend voraus, dass die staatlichen Hochschulen ein Recht zu akademischer Selbstverwaltung und insoweit Autonomie besitzen. Wörtlich ist auch und gerade in der jüngeren Zeit zu Recht von einem „Grundrecht auf akademische Selbstverwaltung“[9] die Rede.
124
Im Übrigen ist dem Bundesverfassungsgericht darin zuzustimmen, dass Autonomie und Selbstverwaltung der Hochschulen nach Maßgabe des einfachen Gesetzesrechts und der Landesverfassungen garantiert sind. Doch macht dies, anders als das Bundesverfassungsgericht offenbar angenommen hat, die interpretatorischen Bemühungen um den Autonomiegehalt des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht entbehrlich.
125
Das grundrechtlich gewährleistete Selbstverwaltungsrecht verfestigt nicht den derzeit erreichten Stand der Gruppenuniversität. Vielmehr steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung, wie er den Hochschulen Selbstverwaltung einräumen will. Dabei kann er sich von dem Modell der Gruppenuniversität lösen[10] und andere Organisationsformen schaffen. Bleibt er bei dem Modell der Gruppenuniversität, hat er allerdings einige Eckpunkte zu beachten, die das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen herausgearbeitet hat:
Der Gesetzgeber unterliegt keinerlei Beschränkungen, wenn es um organisatorische Regelungen geht, die auf die freie wissenschaftliche Betätigung der Hochschulen nicht einwirken.
126
Bei den wörtlich als „wissenschaftsrelevant“ bezeichneten Angelegenheiten verhält es sich anders. Es handelt sich dabei um ein weites Feld, beispielsweise um Forschungsplanung, das Aufstellen von Lehrprogrammen, die Planung des Lehrangebots, die Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit, die Harmonisierung der Lehraufgaben mit den Forschungsaufgaben, die organisatorische Betreuung und Sicherung der Durchführung von Forschungsvorhaben und Lehrveranstaltungen, insbesondere ihre haushaltsmäßige Betreuung einschließlich der Mittelvergabe, die Errichtung und der Einsatz von wissenschaftlichen Einrichtungen und Arbeitsgruppen, die Festsetzung der Beteiligungsverhältnisse bei wissenschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben, die Festlegung und Durchführung von Studien- und Prüfungsordnungen, die Personalentscheidungen in Angelegenheiten der Hochschullehrer und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter.[11] Der Gesetzgeber darf diese Angelegenheiten in die Hände von Hochschulgremien legen, die nach Gruppen (Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter, nichtwissenschaftliche Mitarbeiter, Studierende) zusammengesetzt sind. Sofern es um Fragen der Lehre geht, muss er dafür Sorge tragen, dass den Hochschullehrern in den Gremien ein „maßgebender Einfluß“[12] möglich ist, bei Fragen, die unmittelbar die Forschung betreffen, muss ihnen ein „ausschlaggebender Einfluß“[13] vorbehalten bleiben. Bei den Berufungsverfahren sind nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter von einem Stimmrecht auszuschließen, den Hochschullehrern ist auch hier gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten ein „ausschlaggebender Einfluß“[14] einzuräumen.[15] Diese im Wesentlichen schon im Hochschulurteil entwickelten Anforderungen hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Beschluss zum Hamburgischen Hochschulgesetz[16] und im Beschluss zur Medizinischen Hochschule Hannover[17] bestätigt und weiter entwickelt. Die Fortentwicklung besteht dabei darin, dass grundsätzlich alle hochschulorganisatorischen Regeln ein Gesamtgefüge bilden, in dem der Einfluss der Hochschullehrer je umfangreicher und intensiver vorgesehen sein muss, desto weiter Leitungsorganen wissenschaftsrelevante Befugnisse zugestanden werden.
127
Damit die entsprechenden organisatorischen Vorkehrungen ihre Wirkung nicht verfehlen, hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass die Gruppe der Hochschullehrer in sich homogen zusammenzusetzen ist (sog. Homogenitätsgebot).[18] Zu dieser Gruppe gehört dem Gericht zufolge jeder „Hochschullehrer im materiellen Sinne“. Dies ist,
„unabhängig von seiner dienstrechtlichen Stellung, der akademische Forscher und Lehrer (…), der aufgrund der Habilitation oder eines sonstigen gleichbewerteten Qualifikationsbeweises mit der selbstständigen Vertretung eines wissenschaftlichen Faches in Forschung und Lehre betraut ist.“[19]
Die Angehörigen einer Hochschule, die diese Voraussetzungen erfüllen, haben einen Anspruch darauf, der Gruppe der Hochschullehrer zugeordnet zu werden.
128
Personalautonomie, verstanden in dem Sinne, dass den Hochschulen Dienstherreneigenschaft zukommt, und Finanzautonomie der Hochschulen werden von der grundrechtlichen Garantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht zwingend gefordert, aber auch keineswegs ausgeschlossen. Insbesondere die Finanzautonomie darf dem Gesetzgeber aber nicht zum Deckmantel eines Ausstiegs aus seiner Funktionsgewährleistungspflicht[20] für die staatlichen Hochschulen dienen.
1. Kapitel Grundfragen des institutionellen Hochschulrechts › IV. Hochschulautonomie und Selbstverwaltung › 3. Satzungsautonomie