Читать книгу Die Elegien des Properz - Hans Peter Syndikus - Страница 24
11. Elegie
ОглавлениеVorgeprägt ist die Situation des Gedichtes in einem Meleagrosepigramm.170 In ihm fragt ein einsamer Liebender, ob in der fernen Geliebten noch ein Rest von Liebe geblieben ist und ob sie sich noch wenigstens in der Nacht halbträumend an die einstigen Liebesstunden erinnert oder ob eine neue Liebe das alles verdrängt hat. Bei Properz erhält das Epigrammotiv durch die Wahl von Baiae als Aufenthaltsort der Geliebten Konkretisierung und Verankerung in der gegenwärtigen römischen Welt.
Baiae am Golf von Neapel, das im Mittelpunkt unseres Gedichtes steht, war ein beliebter Erholungsort der stadtrömischen Gesellschaft. Aber es war nicht nur beliebt, es war auch berüchtigt. Römische Schriftsteller prangern wiederholt seinen Luxus und seine sehr freien Sitten an.171 Es ist also verständlich, daß eine Vergnügungsreise Cynthias an diesen Ort Properz Anlaß zu Besorgnis gab.
Die Elegie gibt sich als Brief an die in Baiae weilende Geliebte: Vers 20 bezeichnet die Elegie als libelli, also als Brief; auch das Futur ‚Du wirst verzeihen‘ ist typischer Briefstil.172 Properz setzt in Vers 1–8 mit besorgten Fragen ein, ob Cynthia nicht wenigtens in der Ruhe der Nacht noch an ihn denkt, daß also noch ein Rest von Liebe in ihr lebt,173 oder ob ein Rivale die Erinnerung an ihn verdrängt hat. Sie könnte dann nicht mehr das Thema seiner Dichtung sein. Dabei stellt sich der Dichter in den beiden Partizipialsätzen der Verse 1–4 das Leben, das Cynthia in der schönen Gegend wohl führt, anschaulich vor: Er denkt, sie werde in dem berühmten Badeort174 oder am Strand beim Lucriner See müßige Stunden verbringen und ein andermal175 den Ausblick über das Meer bis hin zum Kap Misenum genießen. Durch die Erwähnung der Sagengestalten Herakles und Thesprotos, die dort gewirkt haben sollen,176 erhält die schöne Landschaft einen mythischen Glanz.
In der nächsten Versgruppe, Vers 9–16, wiederholt sich die Gedankenbewegung der ersten Partie von der Vorstellung eines angenehmen Aufenthalts zu der Befürchtung, Cynthia könne einen anderen Liebhaber gefunden haben. Properz wünscht sich, daß sie in einem kleinen Boot auf dem Lucriner See rudert oder in einem anderen klaren Gewässer177 schwimmt und nicht, bequem am einsamen Strand gelagert, die verführerischen Worte eines Mannes anhört. Von niemand behütet,178 ließe sich ein Mädchen leicht verführen und vergäße die beschworenen Eide. Wie in der ersten Verspartie die Schönheiten der Umgebung beschrieben wurden, werden in der zweiten Möglichkeiten im Tagesverlauf der Geliebten in anmutigen Bildern vorgestellt: die kurzen Ruder, das kleine Boot, das klare Wasser des abgeschiedenen Sees und der angenehme Ruheplatz am einsamen Strand erwecken klare Vorstellungen. Aber gerade die genaue Vergegenwärtigung im letzten Bild zeigt die wachen Ängste des fernen Liebenden.
In Vers 17–20 will dann Properz keinen Zweifel an Cynthias Treue geäußert haben. Er habe an ihrer Treue keinen Zweifel, aber in einer solchen Lage179 sei die Liebe, also ein Liebender, eben immer ängstlich.180 Der Dichter hofft also, daß die Geliebte die geäußerten Befürchtungen verzeihen werde. Und wie um ein mögliches Mißverständnis auszuräumen, beteuert er in Vers 21–26 seine schrankenlose Liebe. Die Sorge um seine liebe Mutter sei nicht größer,181 und ohne die Geliebte sei ihm sein Leben nichts wert. Dann steigert er in leidenschaftlichen Anaphern tu mihi sola, tu sola, tu in einer feierlichen Formel:182 Cynthia allein sei ihm das, was anderen Menschen Familie, Vater und Mutter seien. Properz vergleicht also seine Bindung an Cynthia mit den Bindungen, die einem Römer am ehrwürdigsten waren. Er bringt so die Einzigartigkeit seiner Liebe, aber auch eine fast demütige Unterordnung gut zum Ausdruck. Properz hat hier wohl einen ähnlichen Familienvergleich in Catulls Gedicht 72,3f. im Auge, aber während Catull sich mit einem Vater vergleicht, also in der Rolle des Beschützers sieht, ordnet sich Properz wie ein gehorsamer Sohn unter.183 Man denkt an die Beschreibung seines Verhältnisses als servitium, aber anders als die Bezeichnung servitium drückt der Familienvergleich ein tiefes Gefühl aus. Der Dichter fährt dann, die emotionelle Seite nochmals betonend, fort, die Geliebte sei das Glück seines Lebens. Wenn er den Freunden froh oder traurig erscheine, ist nur sie die Ursache.
Die Schlußpartie, Vers 27–30, zeigt, daß die vorher geäußerten Befürchtungen unterschwellig immer noch da sind. Der Dichter bittet die Geliebte, sie solle so bald wie möglich das verruchte Baiae verlassen, die Küste, die Mädchen gefährlich sei, wie es sich schon oft gezeigt hat. Und im Schlußvers verflucht er den Ort, der die Liebe bedroht.184 Properz spricht gewissermaßen auf zwei Ebenen. Er behauptet, er zweifle nicht an Cynthias Liebe, und will sie durch die Beteuerung der eigenen Liebe für sich gewinnen. Aber die Befürchtung, Cynthia könne sich wie manch anderes Mädchen in Baiae verführen lassen, drängt immer wieder an die Oberfläche.