Читать книгу Die Elegien des Properz - Hans Peter Syndikus - Страница 36
1. Elegie
ОглавлениеDas Eröffnungsgedicht des 2. Buches ist im Kern eine Verteidigung der Eigenart des eigenen Dichtens vor Maecenas, in dessen Kreis Properz nach dem Erfolg des 1. Elegienbuches aufgenommen wurde.5 Properz scheint vorauszusetzen, daß Maecenas gern eine breitere Thematik und vor allem einen Preis der augusteischen Gegenwart in einem Epos gesehen hätte.6 Er nimmt dabei ein Motiv der 6. Ekloge Virgils auf. Virgil hatte dort in Anlehnung an den Aitienprolog des Kallimachos gesagt, der Dichtergott Apollon selbst habe ihn gemahnt, kein hohes Epos zu schreiben, sondern die kleine Form und den schlichten Stil zu wählen.7 Die schroffe kallimacheische Ablehnung des traditionellen Epos, die noch Catull in seinem 95. Gedicht übernommen hatte, findet sich in der Ekloge nicht mehr: Virgil verweist auf andere, die das besser vermöchten. Ebenso beruft sich Properz ohne Kritik am hohen Epos auf seine Eigenart und vor allem auf sein Unvermögen, die hohe Form zu bewältigen. Dabei beruft er sich auf Kallimachos, den er in Vers 39f. zitiert; der Grieche habe wegen einer ähnlichen Begabung auch kein kriegerisches Epos schreiben können.
Diesen Kerngedanken der Verse 17–42 hat der Dichter auf vielfältige Weise erweitert. Bevor er überhaupt auf seine bescheidene Begabung zu sprechen kommt, macht er in Vers 1–16 klar, daß seine Inspirationsquelle allein die jedem Leser aus dem 1. Buch bekannte Geliebte sei. Dabei spricht er überhaupt noch nicht zu Maecenas, sondern ganz allgemein zu seinen Freunden oder zu seinen Lesern.8 Diplomatisch unterstellt er also dem Publikum und nicht Maecenas eine Verwunderung darüber, daß sein einziges Thema die Liebe sei und daß er auch in seinem neuen Buch nur Liebesgedichte schreibe (scribantur amores, mollis liber).9 Seine Antwort ist, daß seine Dichtung allein von der Geliebten inspiriert werde.10 Er schildert in den Versen 5ff. ihre ungewöhnliche Anziehungskraft ähnlich, nur ausführlicher wie schon in der Elegie 1,4,11–14. Er nennt in der ersten Aufzählungskette des Gedichtes ihre strahlende Erscheinung, ihren stolzen Gang, das Spiel der Locken auf ihrer Stirn, ihre musikalischen Gaben und schließlich ihren erotischen Reiz.11 All das sei das unerschöpfliche Thema seiner Dichtung. Entsprechend der folgenden Gedichtsituation umschreibt er den Gedanken scherzend, das sei der Stoff für seine Iliaden und sein Geschichtsepos (Vers 14. 16).12 Properz macht also vor dem Einsatz seines zentralen Themas klar, daß von einem nur von der Liebe beflügelten Dichter kein ernsthaftes Gedicht in hohem Stil erwartet werden kann.
Aber auch nach der Anrede an Maecenas in Vers 17, schiebt Properz die entscheidende Aussage, daß er kein Augustusepos schreiben könne, auf und zeigt erst einmal in zwei irrealen Perioden seinen guten Willen: Wenn er die Gabe zu epischem Gesang hätte,13 würde er lieber als alles den großen Augustus und seinen treuen Helfer Maecenas preisen. Er würde als Thema nicht alte Götter- und Heldensagen oder Themen aus der griechischen und römischen Geschichte wählen, sondern allein die Taten des Augustus und Maecenas’ entscheidende Mitwirkung in Krieg und Frieden. Die beiden Aufzählungen der Verse 17–26 und dann 27–36, in denen zuerst die früher üblichen epischen Themen abgelehnt und dann die augusteischen Themen aufgezählt werden, die Properz gerne rühmen würde, wenn er es vermöchte,14 nennen eine Überfülle von grausamen Kämpfen und welterschütternden Ereignissen. In Ton und Gegenstand ist ein Gegensatz zu der heiteren Liebeswelt in den Versen vorher herausgearbeitet, so daß sehr deutlich wird, daß der Dichter jener privaten Welt dieser übergroßen Aufgabe nicht gewachsen sein kann. Auffällig ist, daß Properz in den Versen 27–30 nicht nur, wie es sonst üblich ist, den entscheidenden Sieg von Aktium, der den späteren Augustus zum Herrscher der Welt gemacht hatte, sondern in lockerer Reihenfolge15 auch den Sieg von Mutina, den über die Caesarmörder, über Sextus Pompeius und soger den über die Aufständischen von Perugia aufzählt, bis er zur Eroberung von Ägypten kommt und den folgenden Triumph feiert. Am erstaunlichsten ist, daß er in Vers 29 auch die Ereignisse von Perugia, unter denen seine Familie zu leiden hatte, klaglos in die Erfolgserie des späteren Augustus einreihte. Diese Rekapitulation aller Stufen des ja oft blutigen Aufstiegs des Herrschers hat man als Kritik an dieser Politik gedeutet,16 aber in einem Zusammenhang, der Maecenas’ Mitwirkung feiert, wäre das höchst seltsam. Eher ist in dieser breiten Entfaltung des augusteischen Themas eine bewußte Öffnung des Dichters für diese Welt zu sehen, und vielleicht sind die Ereignisse vor Aktium auch deshalb in den Vordergrund geschoben, weil Maecenas an ihnen einen gewichtigeren Anteil hatte als am Schlußkampf, an dem er wegen seiner Aufgabe in Italien wahrscheinlich gar nicht teilnehmen konnte.17 Auch der poetische Gesichtspunkt ist zu bedenken, daß der katalogartigen Aufzählungsreihe vorher eine ähnlich gestaltete Partie gegenübergestellt werden mußte, wie ja dann auch im weiteren Gedicht immer wieder Ketten von Namen gebracht werden. Vor allem aber muß es Properzens Absicht gewesen sein, durch die Überfülle der historischen Ereignisse zu zeigen, daß eine dichterische Bewältigung dieses Themas jedenfalls für ihn unmöglich sei.
Die Verse 37f. führen das Thema der Verse 25f. und 35f., die Maecenas in treuer Freundschaft mit Oktavian verbunden zeigen, durch einen Mythenvergleich fort: Achilleus und Patroklos galten wie Theseus und Perithoos als Muster treuer Freundschaft.18 Aber das Distichon ist so wenig mit seiner Umgebung verbunden und im Ausdruck so kryptisch, daß der Gedanke an eine Textverderbnis oder Textlücke naheliegt.19
In den Versen 39–46 beendigt Properz seine Entschuldigung und nennt erst jetzt den so lange hinausgeschobenen Kernpunkt. Kallimachos ist ihm Kronzeuge dafür, daß nicht jeder Dichter fähig ist, Epen zu verfassen: Wie Kallimachos wegen seiner schmalen Begabung keine Götterkämpfe in hochtönenden Versen geschildert hat,20 reiche auch sein bescheidenes Talent nicht für eine epische Dichtung, die Augustus feiert. So fügt Properz zu dem inhaltlichen Punkt der Ablehnung, daß er allein durch die Liebe zu seiner Dichtung inspiriert werde, einen von seinem Talent her begründeten: Er sei für eine epische Dichtung nicht geschaffen. Dabei zitiert er geradezu Wendungen, mit denen Kallimachos im Aitienprolog eine epische Dichtung abgelehnt hatte.21 Properzens Formulierung, daß er den Herrscher nicht mit einem Rückgriff auf seine trojanischen Urahnen in epischen Versen feiern könne,22 ist dann ein klarer Hinweis, daß er schon hier wie in 2,34,61–65 etwas von der damals entstehenden Aeneis Virgils wußte, der eben einen solchen Rückgriff zum Thema wählte.23 Wie Horaz in der Ode 1,6 auf den Dichter Varius hinwies, der ein geeigneterer epischer Dichter sei als er, wollte mit dieser Wendung wohl auch Properz auf einen Dichter hinweisen, der das von Maecenas gewünschte Thema besser als er bewältigen konnte. Nachdem Properz diesen eigentlich entscheidenden Punkt äußerst knapp in nur zwei Distichen behandelt hatte, schließt er, wie um über diese Absage schnell hinwegzugleiten, leichthin: Jedermann erzählte von seinem Metier, seines sei eben die Liebe.24 Er muß ja auch nicht ausführlicher sein; denn seine Bezauberung durch sie hatte er in den ersten 16 Versen dargestellt. Vers 46 setzt dann mit der sprichwörtlichen Wendung,25 jeder möge in der Tätigkeit, die er versteht, seine Zeit verbringen, einen pointierten Schlußpunkt.
Mit diesen Versen könnte das Thema der Verteidigung seiner Lebens- und Dichtungsart abgeschlossen erscheinen, in der Tat haben einige Kritiker den weiteren Text als ein eigenes Gedicht hier abgetrennt.26 Aber jeder Leser des 1. Buches wußte, daß das, was bisher gesagt war, der Eigenart von Properzens Liebe noch nicht gerecht wurde. Seine Liebe war ja kein ungetrübtes Glück: Wohl konnte ihn Cynthia immer erneut anziehen und beglücken, aber ihre Unbeständigkeit konnte ihn auch in tiefe Verzweiflung stürzen. So fand es Properz für nötig, in diesem programmatischen Einleitungsgedicht des neuen Buches seine Liebe genauer zu charakterisieren. In den Mittelpunkt stellt er, daß er keine wechselnden Liebschaften suche, wie es ihm ein Freund in der Elegie 1,4 vorgeschlagen hatte, sondern daß er sein ganzes Leben lang unverbrüchlich an der Liebe zu Cynthia festhalten wolle.27
Vers 47 präzisiert die Aussage: Er nennt eine Liebe preisenswert, die bis zum Tod dauert.28 Wenn er dann aber fortfährt, rühmenswert sei auch, wem es zuteil wird, sich einer einzigen Liebe erfreuen zu können, verändert er die Bestimmtheit der Aussage. In dem si datur und posse liegt ein unüberhörbarer Hinweis auf die Zerbrechlichkeit eines solchen Glücks. Es hängt ja nicht nur von dem eigenen Willen ab, sondern auch von dem des Partners.29 So kann der Liebende nur hoffen, daß ihm dieses Liebesglück zuteil wird, daß sich also kein Fremder einschleicht. Er glaubt zwar, sich zu erinnern, daß die Geliebte Leichtsinn in der Liebe nicht billige, aber für wie verläßlich er diese Äußerungen hält, ist sehr die Frage; das si memini zeigt eine deutliche Unsicherheit. Aber trotz dieser leise zweifelnden Töne beteuert der Dichter in einem stilistisch wieder hochgreifenden mythologischen Katalog ab Vers 51 erneut eine lebenslange Liebe: Selbst wenn Liebestränke und fürchterliche Zaubermächte, von denen die alten Sagen erzählen, ihn von seiner Liebe abbringen wollten, werde er unerschütterlich bleiben (Vers 51–56).30 Da eine einzige Frau alle seine Sinne gefangen genommen hat, werde einmal sein Leichenzug von ihrem Hause aus gehen. Ihr Haus ist auch sein Haus. Properz zeigt so, wie sehr er sich seiner domina untergeordnet hat.
Einen neuen Gedanken, der wieder mit einer ganzen Reihe von Mythenbeispielen untermauert wird, bringen die Verse 57–64. Für alle menschlichen Gebrechen gebe es Heilmittel, allein der Liebende kann von seiner Krankheit nicht befreit werden.31 Auch seine ‚Liebeskrankheit‘ ist also unheilbar. So zeigt der Dichter noch einmal von einer anderen Seite her, daß man von ihm kein anderes Thema als das Liebesthema erwarten könne. Diese Gegenüberstellung der Liebe mit schlimmen Krankheiten und tödlichen Verletzungen zeigt aber auch, daß die Liebe hier nicht als ein unbeschwertes Glück gesehen ist, sondern daß sie auch eine quälende Leidenschaft sein kann. Und genau so hatte sie Properz in seinem ersten Elegienbuch geschildert.32 In den anschließenden Versen 65–70 steigert der Dichter: Wer ihm diese Leidenschaft (vitium)33 nehmen könne, könne auch Prometheus und alle Gequälten der Unterwelt von ihrer Pein befreien. Damit deutet er an, daß ihn niemand aus dieser Verstrickung befreien kann.
Man hat sich über die breiten, hochstilisierten Mythenbeispiele in den Versen 51–54, 59–64, 66–70 gewundert und gefragt, ob hier nicht einfache Gedanken überfrachtet werden. Aber diese Gestaltung ist sinnvoll. Der Hauptgrund scheint der Wunsch nach einem Gleichgewicht im Gedichtganzen gewesen zu sein. Der Dichter wollte wohl gegenüber den langen Aufzählungsketten von Epenstoffen in der ersten Gedichthälfte die zweite Gedichthälfte, in der er sein Liebesgeschick bedenkt, nicht zu kahl und gewichtlos sein lassen. Aber die Liebesdarstellung erhält in der zweiten Gedichthälfte auch einen anderen Charakter. Wenn auch die Aussage der mythologischen Beispiele mehr die Unveränderlichkeit der schicksalhaften Bindung unterstreicht, haben die Vorstellungen von Verwundung, Krankheit und Qualen doch auch viel Eigengewicht.34 Es wird deutlich, daß Properzens Liebesschicksal kein leichtes Los ist. Die zweite Gedichthälfte bildet so einen dunklen Kontrast zu den heiteren Liebesbildern des Gedichtbeginns.
In den letzten Distichen ab Vers 71 erhält das Todesmotiv, auf das schon die Verse 47, 53f. und 56 vorbereitet hatten, endgültig die Oberhand. Properz wendet sich wieder Maecenas zu. Er stellt sich wie schon im 1. Buch vor, daß er bald sterben werde35 und daß Maecenas dann einmal an seinem Grab vorbeifahren wird. Da erwartet er von ihm eine Haltung, wie sie ein Freund am Grabe eines Freundes zeigt:36 Er bittet ihn, dann Halt zu machen und ihm einige Worte des Bedauerns nachzuschicken, nämlich, daß das Schicksal des Armen eine allzu harte Geliebte gewesen sei.37 In diesem Schlußvers wird das, was angesichts der dunklen Töne der Mythenbeispiele schon lange vorbereitet war, klar ausgesprochen: Properz rechnet damit, daß die Schmerzen seines leiderfüllten Liebeslebens ihm bald den Tod bringen werden. So erhält in dieser Schlußwendung seine Liebe einen fast tragischen Charakter. Von Maecenas aber erwartet er, daß er Verständnis für sein Schicksal zeigt. Wenn er aber ein solches Verständnis annimmt, braucht er sich nicht nochmals entschuldigen, daß er kein großes Epos schreiben kann.38
Dieses erste Gedicht des 2. Buches zeigt, daß Properz neue Wege beschreiten will. Wenn auch alte Themen aufgenommen werden, ist die Darstellung anders. Properzens Dichtung scheint hintergründiger geworden zu sein. Es ist, als ob er die für ein Mitglied des Maecenaskreises schwierige Ablehnung eines Augustusepos in den Kaskaden seiner Aufzählungsketten verschwinden lassen wollte. Properz ist aber auch raffinierter geworden. Wie hier durch die erste Verspartie, in der er sich als reinen Liebesdichter charakterisiert, der nur dichten kann, wenn ihn die Geliebte inspiriert, der Aufforderung, ein kriegerisches Epos zu verfassen, jeden vernünftigen Boden entzieht, ist ungemein geschickt. In keinem anderen der sogenannten recusatio-Gedichte findet sich dergleichen. Aber Properz ist inzwischen doch auch Weltmann genug, daß er der Ablehnung jeden Stachel nehmen kann, indem er die augusteischen Themen als weit bedeutender erscheinen läßt als die größten Themen der bisherigen Epenliteratur.