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15. Elegie

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Die an Cynthia gerichtete Elegie beginnt in Vers 1–8 mit einem schweren Vorwurf. Properz habe oft von Cynthias Leichtfertigkeit Schlimmes befürchtet, aber nicht diese Treulosigkeit.223 Er befinde sich in äußerster Gefahr – er liegt wohl schwer erkrankt danieder224 – sie aber sei davon wenig berührt und besuche ihn kaum. Aber schlimmer als das, trotz seiner Bedrängnisse mache sie sich in aller Ruhe schön und schmücke sich mit Geschmeiden,225 als ob sie einen neuen Liebhaber beeindrucken wolle. Das Wort perfidia, also der Vorwurf der Treulosigkeit, bei einer bloßen Vernachlässigung ohne einen konkreten Verdacht der Untreue könnte übertrieben erscheinen. Aber wie die Elegie 1,2 zeigt, hat die Kritik am mondänen Luxus einer römischen Frau eine allgemeinere Bedeutung; sie zielt auf den Abfall von der altrömischen Sitte auch in moralischer Hinsicht. Properz fürchtet also durchaus, daß sich Cynthia für einen anderen schmückt.226

Sehr ausführlich folgen dann in Vers 9–24 als Wunschbilder vier Mythenbeispiele, die die treue Liebe von Frauen der griechischen Sage schildern. In ihrer unverbrüchlichen Liebe stellen sie Kontrastbilder zu Cynthias Kälte und Gefühllosigkeit dar.227 Während sich Cynthia ungerührt schmückt, zerraufte sich die von Odysseus verlassene Kalypso am einsamen Strand weinend das Haar. Sie und Hypsipyle klagten unentwegt um ihren fernen Geliebten, obwohl sie wußten, daß er nie wiederkehren werde. Properz greift hier vermutlich hellenistische Sagenfassungen auf, in denen die Liebe und das Liebesleid berühmter Gestalten der alten Sage gefühlvoll ausgebreitet wurde.228

Der zusammenpassende Einsatz at non sic nec sic in Vers 9 und 17 wird durch den anderen Einsatz in Vers 15f. störend unterbrochen. Lachmann nahm darum eine Fehlplazierung des Distichons in der frühen Überlieferung an und schlug als passende Reihenfolge Vers 22, 15, 16 vor, nicht unmöglich wäre auch die von Markland vorgeschlagene Reihenfolge 20, 15, 16. In dem so hergestellten Text folgen also auf zwei ausführliche, mit non sic / nec sic eingeleitete Mythenbeispiele zwei kurze, nur ein Distichon umfassende, die von einer noch ungewöhnlicheren Liebe zweier anderer Heroinen berichten: Euadne habe sich auf den brennenden Scheiterhaufen ihres toten Gatten geworfen229 und Alphesiboia habe den Tod ihres Gatten an den eigenen Brüdern gerächt.230 Resigniert stellt dann das die Partie abschließende Distichon fest, daß solche berühmten Beispiele Cynthia nicht bewegen können, ihnen nachzufolgen und selbst eine so vorbildliche Gestalt zu werden.231

Vers 25 fährt fort, als ob Cynthia auf den Vorwurf von Vers 23f. mit einer Beteuerung ihrer Treue geantwortet und dabei die Götter zum Zeugen angerufen hätte.232 In seiner Antwort beginnt Properz feierlich beschwörend in hohem Stil.233 Cynthia solle keine Meineide schwören und die Götter herausfordern. Für ihn wäre es ja entsetzlich, wenn sie eine Strafe träfe und ihr etwas Schlimmes geschähe. Auch wenn er natürlich lieber eine treue Geliebte hätte, wie sie die vier Mythenbeispiele vorgeführt haben, könnten auch Treulosigkeiten der Geliebten an seiner Haltung nichts ändern. Seine Liebe sei unverbrüchlich wie ein Naturgesetz. Dabei werden in der ganzen Partie, Vers 25–28, die Vorwürfe deutlicher. Wenn er sagt, Cynthia solle nicht zu ihren früheren gebrochenen Eiden neue Meineide hinzufügen, wirft er ihr klar vor, daß sie ihre Liebeseide gebrochen habe, also andere Liebhaber habe.

Der Zusammenhang der Verse 25–38 wurde als schwierig empfunden. Die dringende Warnung vor einer Götterstrafe, die auf den Bruch von Liebeseiden folge, schien wenig in die von solchen Bedenken wenig geplagte damalige römische Gesellschaft zu passen. Seltsamer schien noch, daß mitten in dieser warnenden Versreihe der Dichter in Vers 29–32 seine unverbrüchliche Treue beteuert. Diese Motivverbindung wird aber verständlich, wenn man an ihre literarische Herkunft denkt. Properz entnahm beides der Geschichte von Akontios und Kydippe aus dem 3. Buch der Aitien des Kallimachos.234 Die entscheidende parallele Partie ist zwar bei Kallimachos nicht erhalten, sie kann aber aus einem Brief des Aristainetos erschlossen werden. In der Epistel 1,10,58–79 Mazal bringt Aristainetos in einer Kallimachos folgenden Erzählung der Geschichte von Akontios und Kydippe einen Monolog des in der Einsamkeit klagenden Akontios, der zuerst seine Liebe beteuert und dann fürchtet, daß die Geliebte ihren bei Artemis geschworenen Eid bricht und deshalb von der Göttin getötet wird. Der Zusammenhang der Motive heiße Liebe und Angst, die Geliebte könne einen Eid brechen und werde darauf von der Gottheit bestraft, ist in der Geschichte von Akontios und Kydippe ganz natürlich. Akontios hatte aus heißer Liebe dem Mädchen einen Apfel zugespielt, auf dem stand: „Bei der Artemis, ich werde Akontios heiraten.“ Diese Worte hatte Kydippe, wie es üblich war, laut gelesen und so einen Eid geschworen. Daß aber die Göttin den Bruch eines bei ihr geschworenen Eides nicht ungestraft läßt, wird dadurch klar, daß Kydippe dreimal, als sie ihr Vater mit einem anderen Mann verheiraten wollte, auf den Tod erkrankte.235

Properz sieht sich also hier gewissermaßen in der Rolle eines zweiten Akontios. Vergleichbar mit Akontios’ Liebesworten beteuert Properz in den Versen 29–32 Cynthia seine unwandelbare Liebe: Eher strömten die Flüsse vom Meer her zurück236 und eher änderte das Jahr seinen Lauf, als daß sich seine Gesinnung änderte.237 Was immer sie tue, sie werde ihm immer lieb sein. Er scheint also wie Catull im 68. Gedicht, Vers 135–140, bereit zu sein, auch Treulosigkeiten der Geliebten hinzunehmen, wenn sie ihm nur nahe bleibt. Dann wird aber wieder sein Unmut über diesen Verrat wie vorher in den Versen 25–28 übermächtig. Aber er klagt nun nicht mehr direkt wie oben in den Versen 23f., daß Cynthia nicht so treu sein will, wie jene mythischen Gestalten. Vielmehr nimmt er die Warnung vor dem Bruch von Göttereiden wieder auf und übernimmt so gewissermaßen Akontios’ Rolle, der eine Strafe der Götter für einen Eidbruch gefürchtet hatte. So warnt er Cynthia in eindringlichen Worten, daß ein Bruch der Liebeseide,238 die sie beim Heil ihrer Augen geschworen hatte,239 eine schlimme Götterstrafe herabziehen werde. Natürlich hat er kaum eine wirkliche Angst vor einer Götterstrafe für einen Meineid wie einst Akontios,240 aber durch die Übernahme dieser Rolle kann er seine widerstreitenden Gefühle aufdecken.

Gewiß folgen die Verse, die die Angst um die Geliebte ausdrücken, und die, die dann wieder die eigene Liebe beteuern, in Vers 28/29 und Vers 32/ 33 recht hart aufeinander, aber das ist ein Zeichen leidenschaftlichen Sprechens. Daß beide Partien zusammengehören, zeigt nostro dolitura periclo in Vers 27: Wenn ihr etwas geschähe, wäre das für ihn der größte Schmerz (Vers 27). Die Liebe ließe ihn einen Schmerz Cynthias als eigenen Schmerz empfinden.241 Die Anlehnung an Kallimachos’ Akontiosgeschichte zeigt gut, wie römische Elegiker durch das Studium diffiziler Gefühlslagen in hellenistischen Sagendarstellungen fähig wurden, ähnlich diffizile Gefühlslagen und widerstreitende Seelenzustände bei sich darzustellen.

In den beiden letzten Distichen ändert sich erneut der Ton. Der Dichter wird sich der Absurdität seiner Lage bewußt. Die unverbrüchliche Liebe, zu der er sich eben noch bekannt hatte, erscheint ihm auf einmal als Unglück, als böses Verhängnis. Wie aus einem Traum erwachend, fragt er Cynthia, warum sie ihn mit einer geheuchelten Liebe angelockt hat, die ihn jetzt zugrunderichtet. Und in einer sentenziös zugespitzten Schlußwendung mahnt er Leidensgenossen, nie solchen Schmeicheleien zu trauen.

Die Elegien des Properz

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