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19. Elegie

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Der Gedanke an den vielleicht schon nahe bevorstehenden Tod ist, wie schon oben festgestellt, eine Konstante in Properzens Dichtung. Über dieses Sich-Vordrängen des Todesgedankens bei Properz hat man vielfach nachgedacht. J.-P. Boucher sah ihn in einer Grundstimmung der Zeit verwurzelt: Todesgedanken und -ängste seien im späten ersten vorchristlichen Jahrhundert in dem von Bürgerkriegen geschüttelten Italien sehr verbreitet gewesen.287 Aber bei Properz ist anders als bei manchen Schriftstelllern der Bürgerkriegsgeneration der Todesgedanke nicht durch eine äußere Bedrohung bedingt. Bei ihm handelt es sich wie bei dem Maecenas der Horazode 2,17 um eine persönliche Befindlichkeit.288 Abgesehen von den beiden Schlußgedichten des 1. Buches, die das Schicksal eines im Bürgerkrieg umgekommenen Verwandten betrauern, tritt bei Properz der Todesgedanke immer im Rahmen seiner persönlichen Liebeswelt auf. Die Frage ist immer, was mit der Liebe geschieht, wenn er stirbt. So tritt er dem Gedanken an den Tod nicht wie Cicero im ersten Buch der Tusculanen mit philosophischen Gedanken entgegen, sondern mit der Überzeugung, daß der Tod seine Schrecken verliert, wenn die Liebe ihn überdauert.

Die Vorstellungen über das Schicksal nach dem Tode sind wechselnd. Neben Worten wie ossa, pulvis, favilla, funus, exequiae und rogus, die das Ende ohne Beschönigung bezeichnen, stehen wie bei Tibull 1,3,57–82 auch die herkömmlichen Bilder einer Schattenwelt im Jenseits, in der auch die Gestalten der alten Sagen weiterleben.

Die Eingangspartie, Vers 1–6, klammert sich an den erstaunlichen Gedanken, daß der Tod keine Macht über die Liebe habe.289 Der Dichter wendet sich in Vers 1 unvermittelt wie inmitten eines Gesprächs290 an Cynthia und versichert ihr, daß er den Tod nicht mehr fürchte; viel schlimmer als der Tod wäre es für ihn, wenn er bei seinem Begräbnis auf ihre liebende Teilnahme verzichten müßte. In Vers 5f. begründet er, warum das für ihn so wichtig ist: Die Liebe habe ihn nicht so leicht erfaßt, daß einst sein Staub von ihr loskommen könne.291 Dabei wird durch die Wahl des Wortes pulvis das Unglaubliche der Behauptung sehr betont. Es ist, als ob Properz durch das Irreale dieser Vorstellung die Maßlosigkeit und Grenzenlosigkeit seines Liebeverlangens ausdrücken wolle. Dabei ist der Ausdruck, daß der Liebesgott sich nicht so flüchtig seinen Augen eingedrückt habe,292 treffend gesagt, da ja in den Augen die Liebe geweckt wird.293

In der nächsten Verspartie, Vers 7–10, unterstreicht Properz seinen Gedanken durch einen Mythos, in dem eine große Liebe die Todesschranke durchbricht. Properz berichtet, der vor Troia gefallene Protesilaos habe im Land der Finsternis die geliebte Gattin nicht vergessen können und sei aus dem Hades in sein altes Haus hinaufgestiegen, um, wenn auch als wesenloser Schatten,294 die geliebte Frau noch einmal zu berühren. Properz formt den überlieferten Mythos bewußt um, weil es ihm auf die noch im Toten lebende Liebe ankommt. Die alte Sage berichtete, besonders auch in der Darstellung in Catulls 68. Gedicht, vor allem von der heißen Liebe der jungen Laodamia, die ein Leben ohne ihren Gatten nicht ertragen konnte.

In Vers 11f. stellt sich dann der Dichter auf eine Ebene mit der alten Mythengestalt:295 Was immer sein Schicksal im Jenseits sein werde, er werde auch als Schatten von seiner Liebe geprägt bleiben, und sentenzenhaft schließt er, daß eine große Liebe auch die Gestade des Jenseits überschreite, was den Schlußsatz der ersten Versgruppe, der veränderten Bildlichkeit entsprechend, variiert. Der Lethetrank, der allen Toten das Diesseits vergessen läßt, hat keine Macht über einen Liebenden.

Die nächste Versfolge, Vers 13–18, bleibt bei den mythischen Vorstellungen, sie beginnt mit einem poetischen Phantasiebild. Auch wenn die schönen Trojanerinnen, die einst die Beute der siegreichen Achaier wurden, ihm in der Unterwelt wohl als reizender Chor entgegenkämen, so wie im Unterweltsbuch der Odyssee die verstorbenen Heroinen Odysseus umringen,296 werde keine dieser Schönheiten die Erinnerung an Cynthia verdrängen können.297 Er werde nur auf sie warten. Und wenn sie ein noch so langes Leben haben sollte – er wünscht ihr das natürlich, die Erde möge das erlauben –, würde er sie im Jenseits mit Freudentränen empfangen. Noch einmal wird also wie in den Schlußversen der beiden ersten Versgruppen der Gedanke wiederholt, daß der Tod der Liebe kein Ende setzt.

Aber da kommen Eintrübungen. Was wäre das für ein Empfang? Die krasse Wortwahl zerstört den Traum von einem Weiterdauern der Schönheit in einem mythischen Jenseits.298 Von der Geliebten blieben nach dem Tode ja nur ossa, die auf dem Scheiterhaufen nicht verbrannten Gebeine. Wie das gemeint ist, zeigt die thematisch verwandte Elegie 2,13. Dort sagt Properz in Vers 31 klar, seine Manen, also seine Todesgestalt, sei die Asche, die eine Urne aufnimmt, und in Vers 57f., nach dem Tode könne ihn Cynthia nicht mehr zurückrufen, denn seine Gebeine (ossa) könnten dann nicht mehr reden. Die Desillusionierung hat Properz in die Nähe in die Nähe eines skeptischen Epigramms des Asklepiades geführt (A.P. 5,85), für den es die Freuden der Liebe nur im Diesseits gibt: Nach dem Tod bleiben vom Menschen nur Knochen und Staub.299

Nach dieser desillusionierenden Wendung der Gedanken richtet der Dichter den Blick wieder auf die Gegenwart. Er kehrt in Vers 19f. zu dem Gedanken des Gedichtbeginns zurück. Wie dort nimmt er an, daß er vor der Geliebten sterben werde und versichert noch einmal, daß ihm der Tod nichts bedeute, wenn sie ihn liebend betrauere. Entscheidend ist ihm also, daß ihm Cynthias Liebe auch nach seinem Tod erhalten bleibt.300

In den Versen 21–24 bricht dann doch die Befürchtung durch, daß die Geliebte keine die Zeit so überdauernde Liebe besitze, wie er von sich behauptet. Er fürchtet, sie könne ihn durch einen anderen Liebhaber vergessen. Aber dann schiebt er im letzten Distichon diesen ängstlichen Gedanken entschlossen beiseite. Er läßt die Todesgedanken überhaupt fallen und mit der Catullischen Aufforderung,301 solange es möglich ist, die Freuden der Liebe zu genießen, richtet er den Blick auf die Gegenwart. Sentenzenhaft schließt dann das Gedicht, für eine große Liebe sei keine noch so lange Zeit genug.302 Properzens maßlose Liebe will im Blick auf das Leben wie vorher im Blick auf den Tod nichts von einer Grenze, nichts von einem Ende wissen.

Die Elegien des Properz

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