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20. Elegie

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Die Geschichte von Herakles’ Liebling Hylas, den Wassernymphen in eine Quelle hinabzogen und den dann Herakles lange herumirrend vergeblich suchte, wurde in der hellenistischen Dichtung ausgebildet.303 Wie Virgil im Prooemium des 3. Georgikabuches feststellt, war das auch in Rom ein verbreitetes Thema. 304 Als Properz dieses Thema behandeln wollte, schickte er, seiner persönlichen Dichtung entsprechend, der Sagenerzählung eine an den Freund Gallus gerichtete Einleitung voraus: Gallus solle bei Spaziergängen an Flüssen oder an der Meeresküste gut auf seinen Liebling achtgeben, daß ihn nicht dasselbe Schicksal wie Herakles trifft, daß ihm also Nymphen seinen Liebling rauben. Das ist eine so irreale Gefahr, daß das nur ein Scherz sein kann, es sei denn, Properz denke nicht an Nymphen, sondern an menschliche Rivalen oder Rivalinnen, vor denen sich Gallus hüten solle.305

Nach der allgemeinen, an Gallus gerichteten Warnung, daß leicht ein Unglück geschehen könne, wenn ein Liebhaber unachtsam ist,306 spielt Vers 4 auf die Argonautensage an – die Argonauten werden auch Minyer genannt –, um so auf die Hylasgeschichte vorzubereiten. Die Begebenheit, worauf Properz anspielt, ist nicht bekannt. Askanios hieß ein See und ein aus ihm fließender Fluß, der in die Propontis mündet; eine Sagenversion berichtet nun, daß Nymphen den Knaben Hylas nicht wie bei Properz in der Quelle Pegai oder Pege, sondern im Fluß Askanios in die Tiefe gezogen hätten.307 Aber kann ein Fluß sprechen (dixerat) und in der Rolle eines Warners eingeführt werden? Natürlicher ist, daß auf einen sonst nicht bekannten Sagenzug angespielt wird, daß der Warner also eine Person ist, die sonst nicht bekannt ist.308

Stilistisch ist die ganze Einleitung sehr gedehnt, als ob der Autor seine Absicht etwas rätselhaft im Dunkeln lassen wollte. Die Mahnung wird dreifach ausgedrückt: Das lege ich dir freundschaftlich ans Herz, das darfst du nicht leichtsinnig vergessen, das habe schon Askanios den Argonauten gesagt. Ebenso breit wird ausgeführt, wovor Gallus sich hüten soll: Er solle nicht sorglos (vacuus), er solle nicht unvorsichtig (imprudens) sein. In Vers 5f. wird die Ähnlichkeit von Gallus’ Liebling mit dem Hylas der Sage wieder mehrfach ausgedrückt: non infra, non dispar, proximus. Der nächste Satz huic tu ... defende rapinas309 wird durch vier dazwischengeschobene sive-Glieder, in denen verlockende Landschaften genannt werden, die gefährlich sein könnten, wieder sehr hinausgedehnt, bis dann in Vers 11f. die ebenso überraschende wie unwahrscheinliche Lösung erfolgt: Gallus solle seinen Liebling vor Wassernymphen schützen. Die Parallele mit dem Hylasschicksal wird dann in Vers 13–16 weitergeführt. Gallus wird gewarnt, er könne wie Herakles dann vergeblich wilde Bergregionen durchirren müssen.310

Nach dieser nicht sehr ernsthaften Einleitung beginnt Vers 17 die romantische Geschichte mit namque ferunt.311 Die Erzählung holt weit aus. Sie nennt Ausgangspunkt und Ziel der Fahrt der Argo und fixiert als Zeitpunkt, als das Schiff bereits den Hellespont durchfahren hatte und an der mysischen Küste gelandet war. Weiter wird der Reihe nach berichtet, daß sich die Argonauten einen bequemen Lagerplatz bereitet hatten,312 Hylas, der Liebling des Herakles, aber zum Wasserholen an eine entfernte Quelle gegangen war (Vers 17–24). Die Verse sind sichtlich als eine Einführung stilisiert, in der Erwartung auf das Kommende geweckt wird.

Die Verse 25–30 zögern weiter hinaus. Sie erzählen eine sonst nicht überlieferte Episode.313 Die beiden geflügelten Söhne des Boreas bedrängen den schönen Knaben aus der Luft und wollen ihn küssen. Zu der folgenden Gefahr aus dem Wasserelement ist also eine aus der Luftregion gefügt. Der erotische Reiz und die Schönheit des Knaben wird so sehr deutlich gemacht. Die Szene wird zum erstenmal breiter ausgemalt. Bald der eine, bald der andere naht, versucht einen Kuß zu erhaschen und schwebt wieder empor. Hylas aber verbirgt sich unter einer Flügelspitze oder, wenn man eine kleine Textänderung akzeptiert, unter den Ästen eines Baumes und wehrt sich mit einem Ast gegen die Angriffe der Flügelwesen.314

Vers 31f. bezeichnet den Übergang. Die Gefahr durch die Windwesen war vorüber, aber nun nähert sich Hylas den Wassernymphen, deren wechselnde griechische Namen den Versen einen ungemeinen Wohlklang verleihen. Diese Spachmelodie schafft mit der Farbenpracht der umgebenden Natur einen betörenden Reiz, dessen Verführung der Knabe rettungslos verfallen ist.

Der Dichter beginnt die Erzählung mit einem mitleidigen Weheruf, aber er schiebt das entscheidende Geschehen noch hinaus. Zunächst nennt er einen menschenfernen Platz, das ‚feuchte Heim der Nymphen‘, die unter Bäumen verborgene Quelle Pegai oder Pege315 und beschreibt ihre bezaubernde Umgebung.316 Von oben hängen betaute Äpfel herab, und auf der Wiese ringsum blühen weiße Lilien und roter Mohn. Der Anblick ist so schön, daß der Knabe, statt Wasser zu schöpfen, Blumen pflückt. Dann endlich beugt er sich, ohne die Gefahr zu ahnen, zu der lieblichen Wasserfläche, ist aber über sein Spiegelbild im Wasser so entzückt, daß er innehält und es betrachtet. Der Dichter zögert also geschickt noch einmal hinaus und zeigt nochmals, wie schön der Knabe ist. Als er dann schließlich doch das Wasser schöpft317 und das volle Gefäß heraufziehen will, gleitet er aus, und die Wassernymphen ziehen ihn, von seiner Schönheit entzückt, in ihr Element hinunter. Durch die Schilderung im einzelnen, daß die Nymphen nur leicht zu ziehen brauchten und durch die Attribute formosus und facilis des Wasserelements deutet der Dichter an, daß Hylas nicht nur schön war und bezauberte, sondern daß er auch selbst von der Schönheit der Nymphenwelt angezogen wurde. Der Rest ist dann sehr schnell erzählt. Herakles hört einen Laut, als Hylas in die Tiefe sinkt. Als er dann aber wiederholt seinen Namen ruft, hallt nur noch das Echo von den fernen Bergen wider.318

Das Schlußdistichon rundet ab. Mit einer erneuten Anrede an Gallus geht Properz zur Ausgangsituation zurück und mahnt den Freund nochmals, nicht so leichtsinnig wie bisher zu sein und besser auf seinen Liebling aufzupassen, wobei er hofft, daß ihm durch die Hylasgeschichte die Gefahr bewußt geworden ist.319

Die Elegien des Properz

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