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8. Elegie

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Gegensätzlich beginnt die nächste Elegie. Properz zeichnet ein Bild grenzenloser Verzweiflung darüber, daß ihm Cynthia, die ihm so lange teuer war,108 entrissen wird. Die leidenschaftliche Bewegung brandet bald auf, bald sinkt sie wieder in sich zusammen. In den Versen 1–6 spricht er einen Freund an, der ihn ablenken wollte,109 aber Properz kennt keinen Trost; denn die so heiß geliebte Frau liege jetzt in den Armen eines Rivalen, und die eben noch sein war, ist es jetzt nicht mehr. Kein Haß aber könne größer sein als der auf einen glücklichen Nebenbuhler; wenn ihn jemand ermorden wolle, hasse er weniger.

Im folgenden wird der Freund ganz aus den Augen verloren, das Gedicht wird zum Selbstgespräch, und der Ton wechselt fortwährend.110 Zunächst scheint sich Properz in den Versen 7–10 in sein Schicksal zu fügen. Er nimmt Zuflucht bei der Lebensweisheit, daß sich alles wendet und verändert.111 Wie bei dem sprichwörtlichen Rad der Fortuna112 sei es auch in der Liebe: Auf den Triumph folgt der tiefe Fall. In den folgenden Vergleichen versteigt sich der Dichter in seltsame Höhen, wenn er sagt, so seien auch große Feldherrn und Könige, große Städte wie Theben und Troja zu Fall gekommen (Text in Vers 10: steterunt).113 Die Vergleiche scheinen zu hoch gegriffen, das ist aber nicht untypisch für Properz. Durch geschichtliche oder mythische Vergleiche will er dem eigenen Schicksal Größe geben, hier seinen leidenschaftlichen Schmerz in seiner ganzen Unaussprechlichkeit fühlbar machen. Catull war ihm darin vorausgegangen, wenn er im 51. Gedicht sein Verderben mit dem großer Könige und Städte verglich. So ist aber auch die Öffnung in den mythischen Raum im folgenden vorbereitet.

Der Trostversuch hält nicht vor. Der Zorn richtet sich nun gegen die einst so geliebte Frau. In Vers 11f. erinnert sich der Dichter, wie er mit all seinen Liebeserweisen keine wahre Gegenliebe fand: Vergeblich habe er ihr große Geschenke gegeben und Verse auf sie verfaßt.114 Dann steigert sich der Ton. In den Versen 13–16 spricht er die Treulose an, als ob sie gegenwärtig wäre. Alle Erniedrigungen, die er so lange Zeit in seiner Verblendung ertrug,115 werden ihm bewußt. Wie ein Sklave habe er sich behandeln lassen, und er fragt, ob er immerzu ihre Schmähworte werde hinnehmen müssen.

In Vers 17 sinkt er ermattet in sich zurück. Wie einst der verzweifelte Catull im 8. Gedicht spricht er sich mit seinem Namen an. Resigniert glaubt er, daß ihm in seiner verzweifelten Situation nur noch der Tod bleibe. Trotz allem, was er erduldet hat, kann er sich also ein Leben ohne Cynthia nicht vorstellen. Aber nachdem er sich entschlossenes „Stirb also“ zugerufen hatte, fügt er sarkastisch hinzu, die harte Geliebte möge sich dann über seinem Untergang freuen und wie ihn im Leben auch sein Grab verhöhnen.

Da tritt ihm in Vers 21 bei seinem Todesentschluß erneut ein Bild aus dem Mythos vor Augen. So habe sich Haimon ein Leben ohne Antigone nicht vorstellen können und sich aus Schmerz über den Tod seiner Braut in sein Schwert gestürzt.116 Properz denkt also nicht nur an einen Tod aus Liebeskummer, sondern an Selbstmord. Aber bei diesem Mythenvergleich trägt ihn eine Gedankenassoziation mit sich fort: ihm wird bewußt, daß es in der alten Sage ja zwei Tote gegeben hat. Und in einer wilden Mordphantasie will er, daß Cynthia, die er in Vers 25 erneut leidenschaftlich erregt anspricht, mit ihm stirbt. Von einem Dolch solle beider Blut rinnen. Die Obsession wird dabei durch die Wiederholung der Worte sterben, Tod sehr eindringlich gemacht: moriaris, eodem ferro stillet uterque cruor, mors, mors, moriere. Properz ist sich zwar bewußt, daß die Ermordung der Geliebten ihn entehrt, aber er will es trotzdem tun.

Dann brechen aber diese verstiegenen Gedanken abrupt ab. In Vers 29 setzt ein dritter Mythenvergleich ein. Der Dichter scheint sich der Absurdität seiner Mordphantasie bewußt geworden zu sein. So sucht er in der Sagenwelt ein Beispiel für eine Liebesverzweiflung, die ähnlich schreckliche Folgen hatte.117 Er denkt an Achill, der bei ihm nicht wie in der Ilias aus Zorn ob seiner gekränkten Ehre, sondern wie ein elegischer Liebender aus Liebeskummer das griechische Heer hinschlachten ließ, ja seinen besten Freund dem Tod preisgab. Die Erbarmungslosigkeit des Helden wird durch das wiederholte viderat unterstrichen: Im Zorne erstarrt, blickt er auf das entsetzliche Geschehen, das er verursacht hat. Und der Dichter imaginiert wirkungsvoll: Das Bild der vom Sand besudelten am Boden hingestreckten Leiche findet sich so in der Ilias nicht und auch die Rückgabe der Briseis ist in der Ilias nicht der entscheidende Wendepunkt.118 Wenn Properz dann in Vers 37f. berichtet, daß Achill nach der Rückgabe der Briseis zur Vernunft zurückgekehrt sei, scheint auch Properz zu einer ruhigeren Betrachtung der eigenen Lage gekommen zu sein. Im Schlußdistichon stellt er ernüchtert fest, wenn ein Göttersohn wie Achill so gehandelt hat, sei es kein Wunder, daß er selbst von der Liebe zu einem solchen Exzeß der Erregung getrieben wurde.119

Mit nüchternem Verstand betrachtet, sind die Mythenvergleiche des Gedichtes zu hoch gegriffen. Ein Mensch in einer alltäglichen Umwelt vergleicht hier seinen Schmerz über die Abkehr der Geliebten mit der Verzweiflung des thebanischen Königsohns über den grausamern Tod seiner Braut in der Tragödie des Sophokles und dann mit dem Zorn des großen Achill in der Dichtung Homers, der zahllose Menschen ins Verderben stürzte. Aber Properz wählt diese Beispiele, um seine unermeßliche Verzweiflung, die er anders nicht ausdrücken konnte, faßbar zu machen. Er schildert eine extreme Seelenlage mit extremen Mitteln.

Die Elegien des Properz

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