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2.Umfang der Grundrechtsbindung der vollziehenden Gewalt

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154Die Grundrechtsbindung der vollziehenden Gewalt ist unzweifelhaft, soweit es um öffentlich-rechtliches Handeln der Exekutive geht.21 Nimmt die öffentliche Hand hingegen Verwaltungsaufgaben in privatrechtlicher Form wahr, so wurden bisher drei Fallgruppen unterschieden:

155a) Verwaltungsprivatrecht. Der Staat hat im Rahmen der Leistungsverwaltung die Möglichkeit, entweder in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form tätig zu werden. Dies gilt insbesondere für staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge, wie z. B. die Wasser- oder Energieversorgung, aber auch für das Erbringen von Subventionen.22 Da die öffentliche Gewalt hier ungeachtet der privatrechtlichen Rechtsform zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben tätig wird, darf sie sich ihrer unmittelbaren Grundrechtsbindung nicht dadurch entziehen, dass sie sich im Rahmen ihrer Verwaltungstätigkeit für die Organisationsform des Privatrechts entscheidet (keine „Flucht ins Privatrecht“).23 Die Grundrechte binden die öffentliche Verwaltung somit auch dort, wo sie sich bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben einer privatrechtlichen Handlungsform bedient (sog. Verwaltungsprivatrecht).24 Über die in Fällen des sog. Verwaltungsprivatrechts bestehende volle Grundrechtsbindung bestand schon bisher und besteht weiterhin Konsens. Umstritten war indes, ob und in welchem Maße in den beiden nachfolgenden Konstellationen, also bei den sog. Hilfsgeschäften der Verwaltung und bei erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit des Staates eine Grundrechtsverpflichtung besteht.

156b) Hilfsgeschäfte der Verwaltung. Hilfsgeschäfte der Verwaltung dienen nicht der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, sondern der Beschaffung der für die Verwaltung erforderlichen Sachgüter. Hierzu gehören der Kauf von Büromaterial, die Anschaffung von Dienstfahrzeugen, die Vergabe eines Auftrags an einen Handwerker wie auch die Anmietung von Verwaltungsgebäuden.25 Man bezeichnet diese Hilfsgeschäfte auch als fiskalische Tätigkeit der Verwaltung. Da diese auf privatrechtlichen Verträgen beruht, lehnte die zivilgerichtliche Rechtsprechung in diesem Bereich eine Grundrechtsbindung der Verwaltung ab.26 Trotz des Vertragsschlusses durch einen Verwaltungsträger komme den Rechtsbeziehungen der Beteiligten ausschließlich privatrechtlicher Charakter zu, weshalb sie nicht von der unmittelbaren Bindung an die Grundrechtsnormen erfasst werden könnten.27

157c) Erwerbswirtschaftliche Tätigkeit. Die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates dient nicht der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, sondern vor allem der Gewinnerzielung. Dies gilt namentlich für den Betrieb privatwirtschaftlicher Unternehmen durch den Staat (z. B. Staatsweingut, Staatsbrauerei) oder seine Beteiligung hieran (z. B. Anteile des Landes Niedersachsen an der Volkswagen AG).28 Wie auch bei den fiskalischen Hilfsgeschäften wurde im Rahmen einer erwerbswirtschaftlichen staatlichen Tätigkeit die Grundrechtsbindung der Verwaltung überwiegend abgelehnt.29

158d) Neuere Entwicklung. Das BVerfG hat in seiner Fraport-Entscheidung dieser an die unterschiedlichen Ziele des Verwaltungshandelns anknüpfenden Unterscheidung eine Absage erteilt. Es hat ausgeführt:

„Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist […] jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt. 30

Damit liegt nicht nur Grundrechtsbindung vor, wenn Gemeinwohlzwecke verfolgt werden, sondern weil solche Zwecke verfolgt werden. Das BVerfG hat damit eine umfassende Bindung der Verwaltung an die Grundrechte für alle drei Fallgruppen, also unabhängig von den Zielen des Verwaltungshandelns, anerkannt.31

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