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2.Sachlicher Schutzbereich

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188Der sachliche Schutzbereich beschreibt den grundrechtlich geschützten Lebensbereich,5 den Gewährleistungsinhalt des Grundrechts in sachlicher Hinsicht.6 Dies betrifft die menschlichen Verhaltensweisen, Rechtsgüter oder Eigenschaften des Grundrechtsträgers, die ihm das Grundrecht verbürgt, also etwa die Äußerung seiner Meinung (vgl. Art. 5 Abs. 1), sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit (vgl. Art. 2 Abs. 2) oder seine Herkunft (vgl. Art. 3 Abs. 3).7

Der Schutzbereich eines Grundrechts wird bisweilen gleichbedeutend als Tatbestand bezeichnet.8 Auch wird der Begriff des Normbereichs eines Grundrechts verwendet. Dieser soll den Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit umfassen, der durch die jeweilige Norm gestaltet wird.9 Vom Schutzbereich zu unterscheiden ist der Regelungsbereich eines Grundrechts. Damit wird der natürliche Lebensbereich bezeichnet, dem das Grundrecht gilt und in dem es den rechtlichen Schutzbereich erst bestimmt (Bsp.: alle – auch „unfriedliche“ – Versammlungen in Art. 8 Abs. 1, wohingegen nur friedliche und waffenlose Versammlungen in den Schutzbereich der Norm fallen).10

189Die Grundrechtsausübung erfasst nicht nur das Handeln des Einzelnen im Schutzbereich des Grundrechts, welches im Verfassungstext in aller Regel positiv formuliert ist (sog. positive Freiheit); grundrechtlich gewährleistet ist vielmehr auch die Freiheit, die fraglichen Handlungen zu unterlassen (sog. negative Freiheit).11

190Der sachliche Schutzbereich ist durch Auslegung der Grundrechtsnorm zu ermitteln.12 Dabei kommt es in erster Linie auf den objektivierten Willen des Verfassungsgebers an, wie er sich aus Wortlaut und Systematik ergibt, wohingegen die Entstehungsgeschichte der Norm von eher untergeordneter Bedeutung ist.13 Rückschlüsse auf den Schutzbereich können sich ferner aus den ausdrücklich normierten Grundrechtsschranken ergeben.14

Beispiel: Aus der Erwähnung der Schranke der persönlichen Ehre in Art. 5 Abs. 2 lässt sich schließen, dass ehrbeeinträchtigende Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 fallen, weil andernfalls die Erwähnung der Schranke „Recht der persönlichen Ehre“ sinnlos wäre.

191Die Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs eines Grundrechts kann im Einzelfall mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Häufig betreffen die Grundrechte Rechtsgüter oder Verhaltensweisen, die einer rechtlichen Definition nur sehr schwer zugänglich sind (Bsp.: „Kunst“).15 Doch auch vermeintlich anschauliche Begriffe können zahlreiche Auslegungsfragen aufwerfen (Bsp.: „Leben“).16

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten kann auf die Definition des Schutzbereichs eines Grundrechts nicht verzichtet werden. Das BVerfG hat auf dieses Erfordernis im Rahmen der Kunstfreiheit hingewiesen:

„Die Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren, entbindet […] nicht von der verfassungsrechtlichen Pflicht, die Freiheit des Lebensbereichs Kunst zu schützen, also bei der konkreten Rechtsanwendung zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 vorliegen.“17

192Bei der Auslegung der Grundrechtsnormen gilt der Grundsatz der größtmöglichen Grundrechtseffektivität. So hat das BVerfG den Grundsatz aufgestellt,

„wonach in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet“.18

193In vielen Fällen wird dieser Grundsatz eine weite Auslegung der Grundrechtsbestimmungen zur Folge haben. Im Schrifttum wird allerdings im Rahmen der Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs eine allgemeine Freiheitsvermutung („in dubio pro libertate“) zugunsten des Einzelnen verneint.19 Eine sorgfältige Schutzbereichsbestimmung muss jedenfalls der Gefahr begegnen, dass das grundrechtliche „Abwägungsspiel von Grund und Gegengrund“ banalisiert wird.20

194Zahlreiche Grundrechtsnormen sind sachlich bestimmt, knüpfen also an natürliche Verhaltensweisen oder Rechtsgüter an, wie z. B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2), die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1), die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1).21

195Darüber hinaus kennt das Grundgesetz auch Grundrechte mit normgeprägtem Schutzbereich. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass ihr Schutzgut der rechtlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf.22 Dies gilt etwa für grundrechtliche Schutzgegenstände wie die Ehe (Art. 6 Abs. 1), den Verein (vgl. Art. 9 Abs. 1) und das Eigentum (Art. 14 Abs. 1).

Im Rahmen der normgeprägten Grundrechte scheint ein Widerspruch darin zu liegen, dass der Gesetzgeber auch an diese Grundrechte unmittelbar gebunden ist (vgl. Art. 1 Abs. 3), andererseits aber ihren Schutzbereich rechtlich konkretisieren muss.23 Eine denkbare Lösung besteht darin, dass der Gesetzgeber nicht befugt ist, beliebig über das Grundrecht zu verfügen, sondern die Bestimmung des Schutzbereichs durch dessen rechtliche Ausgestaltung bestimmten Grenzen zu unterliegen hat.24 So soll nach der in der Weimarer Zeit entwickelten Lehre von der Einrichtungsgarantie der Kernbereich bestimmter Rechtsinstitute gegen eine Beseitigung oder Antastung durch den Gesetzgeber besonders geschützt sein.25 Nach der Rechtsprechung des BVerfG sichert beispielsweise Art. 6 Abs. 1

„den Kern der das Familienrecht bildenden Vorschriften insbesondere des bürgerlichen Rechts gegen eine Aufhebung oder wesentliche Umgestaltung und schützt gegen staatliche Maßnahmen, die bestimmende Merkmale des Bildes von der Familie, das der Verfassung zugrunde liegt, beeinträchtigen“. 26

196Umstritten ist allerdings, welche Strukturprinzipien von diesem „Kernbestand der Ehe und Familie“ im Einzelnen umfasst sein sollen.27

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