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3. Abgrenzung zu den Sonderabgaben

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Abgaben, denen keine zurechenbare Gegenleistung gegenübersteht, die aber im Unterschied zu Steuern nicht von der Gesamtheit der Steuerbürger, sondern nur von bestimmten Gruppen erhoben werden und zur Finanzierung besonderer Aufgaben dienen, werden im Anschluss an Werner Weber[20] als Sonderabgaben bezeichnet. Sonderabgaben sind Geldleistungspflichten, die wie die Steuer „voraussetzungslos“ (dh unabhängig von einer empfangenen oder bevorzugt angebotenen Gegenleistung des Staates) geschuldet werden, deren Aufkommen aber regelmäßig nicht in den allgemeinen Staatshaushalt fließt, sondern in Sonderfonds verwaltet wird[21].

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Sonderabgaben sind verfassungsrechtlich anerkannt, aber dennoch nicht unproblematisch. Dies rührt daher, dass sie in Konkurrenz zu den ebenfalls voraussetzungslos geschuldeten Steuern treten. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes trifft in Art. 104a ff GG detaillierte Regelungen über die Finanzausstattung des Staates, insb die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen. Da die Finanzverfassung weitgehend nur Aussagen über die Steuer als Finanzierungsmittel trifft, ist davon auszugehen, dass der Staat seinen Finanzbedarf im Wesentlichen über Steuern decken muss – Prinzip des Steuerstaates[22] (oben Rn 60).

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Die Gesetzgebungskompetenz für Sonderabgaben richtet sich nicht nach Art. 105 GG, sondern nach den Sachkompetenzen[23]. Dadurch kann die finanzverfassungsrechtliche Kompetenzverteilung unterlaufen werden. Auch die Ertragsverteilung nach Art. 106 GG gilt nur für Steuern, nicht für Sonderabgaben; diese stehen der Körperschaft zu, die die Regelung über die Sonderabgaben getroffen hat. Zudem gefährdet die Sonderabgabe, da ihr Aufkommen nicht in den allgemeinen Haushalt fließt, das Budgetrecht des Parlaments und verfälscht die an den Haushalt anknüpfenden Maßgrößen. Schließlich weist die Sonderabgabe bestimmten Bürgern eine besondere Finanzverantwortlichkeit zu und stellt damit die Belastungsgleichheit der Bürger, die die Steuer zu gewährleisten versucht, infrage[24].

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Aus diesen Gründen sind Sonderabgaben nur unter engen Voraussetzungen verfassungsrechtlich zulässig. Es ist zu unterscheiden zwischen Sonderabgaben, die hauptsächlich einen Finanzierungszweck verfolgen, und Sonderabgaben, die im Schwerpunkt auf Verhaltenslenkung gerichtet sind[25]. Sonderabgaben mit Lenkungszweck sollen dem Betroffenen einen wirtschaftlichen Anreiz geben, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. So soll etwa die Schwerbehindertenabgabe[26] die Arbeitgeber anhalten, Schwerbehinderte einzustellen. Tut der Arbeitgeber dies nicht, wird er mit der Abgabe belastet. Sonderabgaben mit Finanzierungszweck sind als „seltene Ausnahme“[27] nur unter folgenden Voraussetzungen[28] zulässig:

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- Der Gesetzgeber muss, um sich auf die Sachkompetenzen der Art. 70 ff GG stützen zu können, einen Sachzweck verfolgen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht[29].
- Die Sonderabgabe darf nur einer homogenen Gruppe auferlegt werden, die durch eine vorgegebene Interessenlage oder durch besondere Gemeinsamkeiten von der Allgemeinheit und anderen Gruppen klar abgrenzbar ist. Der Gesetzgeber muss darauf achten, die Gruppe im Hinblick auf den Sachzweck willkürfrei zu definieren[30].
- Diese mit der Abgabe belastete Gruppe muss der zu finanzierenden Aufgabe evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler – besondere Finanzierungsverantwortlichkeit, Gruppenverantwortung, Sachnähe[31].
- Das Aufkommen der Abgabe muss gruppennützig – dh überwiegend im Interesse der Gesamtgruppe – verwendet werden.
- Zudem sind Sonderabgaben, die über längere Zeiträume erhoben werden, in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen[32] und in einer dem Haushaltsplan beigefügten Anlage vollständig zu dokumentieren (haushaltsrechtliche Informationspflicht)[33].

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Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so kann die Abgabe auch nicht auf die jeweilige Sachkompetenz gestützt werden. Für (wesentlich seltenere) Lenkungsabgaben ohne Finanzierungszweck wie die Schwerbehindertenausgleichsabgabe sollen die Gruppenverantwortung und die gruppennützige Verwendung des Aufkommens nicht erforderlich sein[34].

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Fraglich ist, ob die nichtsteuerliche Abgabe, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wegen Verstoßes gegen die Kompetenznormen des GG (weder nach Art. 70 ff noch nach Art. 105 f GG zulässig) formell verfassungswidrig, oder wegen Verstoßes gegen das Steuerstaatsprinzip materiell verfassungswidrig ist.

Das BVerfG tendiert hier zu einer formellen Betrachtung und geht davon aus, dass die Kompetenznormen des GG nicht nur bestimmen, welcher Gesetzgeber (Bund oder Land) zum Erlass einer Regelung zuständig ist, sondern zugleich auch den Umfang der Regelungsbefugnis festlegen[35]. Aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der bundesstaatlichen Finanzverfassung (Art. 104a ff GG) folge eine Grenze für Abgaben, die der Gesetzgeber in Wahrnehmung einer ihm zustehenden Sachkompetenz auferlegt[36]. Für eine materielle Anknüpfung spricht hingegen, dass es nach der Systematik des GG zweifelhaft ist, Rechtsbereiche anzuerkennen, für die keinerlei Gesetzgebungszuständigkeit begründet ist[37].

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Auf sog. Zwecksteuern – das sind Steuern, deren Verausgabung für einen bestimmten Zweck gesetzlich festgelegt ist (Beispiele: Das Aufkommen an Mineralölsteuer [jetzt: Energiesteuer] ist für Zwecke des Straßenwesens zu verwenden, Art. 1 Satz 1 StrFinG[38]) – sind die strengen Zulässigkeitsanforderungen für Sonderabgaben nicht zu übertragen[39]. Der Gesetzgeber sucht insoweit nicht eine Gesetzgebungskompetenz außerhalb der Finanzverfassung, das Budgetrecht des Parlaments wird nicht eingeschränkt. Allerdings durchbrechen echte Zweckbindungen von Steuern den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Gesamtdeckung (Nonaffektation), so dass sie stets der Rechtfertigung bedürfen[40].

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Lösung Fall 2 (Rn 98):

Eine Kompetenz des Bundes zur Einführung der Berufsausbildungsabgabe könnte sich aus Art. 105 Abs. 2 GG ergeben. Dann müsste es sich hierbei um eine Steuer handeln. Steuern sind insb Geldleistungen zur Erzielung von Einnahmen, wobei die Einnahmeerzielung auch Nebenzweck sein kann (vgl oben Rn 102). Das Aufkommen der Berufsausbildungsabgabe dient jedoch weder als Haupt- noch als Nebenzweck der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs. Die Mittel sollen vielmehr zweckgebunden der Schaffung und Sicherung von Ausbildungsplätzen dienen[41]. Der Bund kann daher seine Kompetenz zur Einführung der Berufsausbildungsabgabe nicht aus Art. 105 Abs. 2 GG herleiten. Allerdings hat der Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG die Kompetenz zur Erhebung der im Ausbildungsplatzförderungsgesetz vorgesehenen Sonderabgabe, denn zum „Recht der Wirtschaft“ gehört auch der Bereich der praktischen beruflichen Ausbildung, die traditionell und strukturell von den in der Wirtschaft tätigen Arbeitgebern wahrzunehmen ist. Da nach dem zu beurteilenden Entwurf der Bund den Ländern die umfassende Verwaltungszuständigkeit belassen will, ist eine Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich[42]. Auch in materieller Hinsicht erfüllt die Berufsausbildungsabgabe die Voraussetzungen einer verfassungsrechtlich zulässigen Sonderabgabe. Die Ausbildungsabgabe soll nicht der Deckung des allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs dienen, denn aufgrund ihrer Zweckbindung zugunsten der Schaffung bzw Sicherung von Arbeitsplätzen fällt ihr Aufkommen dem öffentlichen Gemeinwesen nicht zu. Die mit der Ausbildungsabgabe belastete Gruppe der Arbeitgeber ist auch von der Allgemeinheit bzw anderen Gruppen zuverlässig abgrenzbar und deshalb homogen. Den Arbeitgebern kommt nach der Sozialwirklichkeit ferner eine spezifische Gruppenverantwortung zu, denn das in Deutschland bestehende duale Berufsausbildungssystem mit den Lehrarten „Schule“ einerseits und „Betrieb“ (Behörde) andererseits begründet eine spezifische Verantwortung der Arbeitgeber für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Unterstellt man, dass die Berufsausbildungsabgabe im Interesse der Gruppe der abgabenpflichtigen Arbeitgeber, also „gruppennützig“, verwendet wird, ist damit die Einführung einer Berufsausbildungsabgabe verfassungsrechtlich zulässig.

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Lösung Fall 3 (Rn 99):

Die Rückmeldegebühr im Bereich der Hochschulen unterfällt gem. Art. 70 Abs. 1 GG grds der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Das Wort „für“ bringt zum Ausdruck, dass die Rückmeldegebühr dem Grunde nach eine Gegenleistung für die Bearbeitung der Rückmeldung darstellt. Nach dem Wortlaut wird die Gebühr nicht „bei“ der Rückmeldung zur Deckung allgemeiner Kosten der Hochschulverwaltung oder ihrer Einrichtungen erhoben, sondern „für“ die Deckung der speziellen Kosten, die für „die Bearbeitung jeder Rückmeldung“ entstehen. Die Rückmeldegebühr übersteigt jedoch der Höhe nach den Wert der Gegenleistung beträchtlich. Wesentliche Teile der Gebühr werden – wie die Steuer – voraussetzungslos erhoben. Die für die Unterscheidung von der Steuer erforderliche Abhängigkeit der Rückmeldegebühr von einer Gegenleistung geht infolge ihrer überhöhten Bemessung verloren. Geht man davon aus, dass eine sachliche Rechtfertigung der Rückmeldegebühr durch Lenkungszwecke oder soziale Zwecke ebenfalls ausscheidet, ist die Gebühr im Fall 3 zur Finanzierung allgemeiner Kosten im Hochschulbereich verfassungsrechtlich nicht zulässig[43].

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