Читать книгу Steuerrecht, eBook - Henning Tappe - Страница 69

V. Die Verteilung der Finanzhoheit in der EU

Оглавление

148

Fall 5:

Die Europäische Kommission möchte weitere Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen und daher eine Steuer auf Kohlendioxidemissionen (CO2-Steuer) einführen. Könnte der Rat mittels einer Verordnung unionsweit eine solche Steuer einführen? Könnte er über den Erlass einer Richtlinie die Mitgliedsländer zwingen, eine solche Steuer einzuführen? Rn 152

149

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) enthält in Art. 110–113 steuerliche Vorschriften. Sie befassen sich aber nur mit Fragen der steuerlichen Diskriminierung und Steuerharmonisierung. Eine eigene „Finanzverfassung“ enthält das europäische Primärrecht, anders als das Grundgesetz, nicht. Die Befugnisse auf abgabenrechtlichem Gebiet sind in verschiedenen Abschnitten des Vertrags zu finden[79].

150

Für die Gesetzgebung durch Organe der EU gilt das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit (Art. 5 EUV, Art. 7 AEUV). Jeder Rechtsetzungsakt des Rates bedarf somit einer eindeutigen Rechtsgrundlage innerhalb der Verträge. Eine Befugnis, Steuern zu erheben, findet sich (trotz immer wieder erhobenen Forderungen aus Brüssel[80]) in den Verträgen (noch) nicht. Die Europäische Union verfügt grds über keine eigenen Steuergesetzgebungskompetenzen. Das Recht, Steuern zu erheben, ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten[81].

151

Von diesem Grundsatz gibt es nur wenige Ausnahmen. So hat die EU die Befugnis zur Besteuerung ihres eigenen Personals[82]. Zudem gibt Art. 192 Abs. 2 Satz 1 lit. a AEUV dem Rat die Kompetenz, im Bereich der Umweltpolitik einstimmig „Vorschriften überwiegend steuerlicher Art“ zu erlassen. Der im neuen EU-Eigenmittelbeschluss (Rn 153) vorgesehene Abrufsatz auf Kunststoff-Verpackungsabfälle[83] ist keine Steuer, sondern nur ein Maßstab für Zahlungen der Mitgliedstaaten an die EU.

152

In Fall 5 (Rn 148) hat der Rat aus Art. 192 Abs. 2 AEUV die Kompetenz, eine CO2-Steuer einzuführen, wenn es sich um eine Vorschrift überwiegend steuerlicher Art im Bereich der Umweltpolitik handelt und sich aus der Systematik der Verträge nicht ergibt, dass die EU lediglich die Kompetenz zur Steuerharmonisierung und nicht zur Einführung neuer Steuern hat. Sieht man eine CO2-Steuer als eine indirekte Steuer an, bei der der Lenkungszweck, nämlich die Reduzierung der CO2-Emissionen, im Vordergrund steht, dann dient sie den in Art. 191 Abs. 1 AEUV normierten Zielen. Zwar fällt eine CO2-Steuer als „sonstige indirekte Steuer“ auch unter die Harmonisierungsvorschrift des Art. 113 AEUV, jedoch ist Art. 192 Abs. 2 AEUV lex specialis für alle Steuern, die ein umweltpolitisches Lenkungsziel verfolgen und nicht primär auf die Deckung der öffentlichen Haushalte abzielen. Der Rat hat daher die Befugnis, unter den Voraussetzungen des Art. 192 Abs. 2 AEUV (Vorschlag durch die Kommission, Anhörung, einstimmiger Beschluss) durch eine Verordnung eine europäische CO2-Steuer zu erlassen, oder die Mitglieder über den Erlass einer Richtlinie zu zwingen, selbst eine solche einzuführen.

153

Die Ertragshoheit ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union lediglich in Art. 311 Abs. 1 geregelt, nach dem der Haushalt unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird. Welche Eigenmittel den Gemeinschaften in welcher Höhe zustehen, legt der jeweilig aktuelle auf Grundlage von Art. 311 AEUV erlassene Eigenmittelbeschluss fest[84]. Danach stehen der Union ua die Erträge aus Agrarabschöpfungen und Zöllen (Art. 2 Abs. 1 lit. a) zu (traditionelle Eigenmittel). Dazu tritt ein Anteil an der Mehrwertsteuer (Art. 2 Abs. 1 lit. b) und am Bruttonationaleinkommen (BNE) der einzelnen Mitgliedstaaten (Art. 2 Abs. 1 lit. d)[85].

Erstmals sieht der Eigenmittelbeschluss zur Bekämpfung der Corona-Krise gestützt auf Art. 122 Abs. 2 AEUV auch eine Kreditaufnahme als sonstige Einnahme vor (Art. 5). Daneben sind weitere neue Eigenmittel eingeführt (Verpackungsabfall-Eigenmittel, Rn 151) oder geplant (Digitalabgabe, Finanztransaktionssteuer, CO2-Grenzausgleichssystem), die sich zumindest an Steuern anlehnen[86]. Neue Eigenmittel müssen die strengen Voraussetzungen des Art. 311 Abs. 3 AEUV (Anhörung des Europäischen Parlaments, einstimmiger Beschluss des Rates, Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten) einhalten[87]. Eine echte Steuerkompetenz folgt daraus (anders als aus Art. 192 Abs. 2 AEUV) nicht. Die Obergrenze für alle Eigenmittel der EU liegt zur Zeit bei 1,40 % des BNE der Mitgliedstaaten (Art. 3 Abs. 1).

154

Die Verwaltungshoheit über die Steuern einschließlich der Zölle und Abschöpfungen liegt ausschließlich bei den Mitgliedstaaten. Die EU verfügt über keine eigenen Steuerverwaltungsbehörden. Allerdings gibt es unionsrechtliche Vorschriften, die eine Zusammenarbeit der nationalen Steuerverwaltungen bei der Steuererhebung vorsehen (sog. Amtshilfe-Richtlinie/Directive on Administrative Cooperation [DAC][88]). Zu nennen ist hier insb der steuerliche Informationsaustausch, der zuletzt im Zuge der BEPS-Diskussion (Rn 1492) erheblich verstärkt worden ist und auch länderbezogene Berichte (Rn 1495) sowie Meldepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen vorsieht (Rn 234 f).

Steuerrecht, eBook

Подняться наверх