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Rückblick – Dankbarkeit und Buße

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Die Wahrnehmung der eigenen Person und ihres Lebensweges über Höhen und Tiefen hinweg bringt glaubende Menschen zur Dankbarkeit. Der Dank kann sich beziehen auf die Menschen, die begleitet und gefördert haben, auf Ereignisse, die beglückend waren, auf eigenes Wachsen, Reifen und Vorankommen, auf glückende Beziehungen zu anderen, auf das Beziehungsnetz von Familie, Freundeskreis und nachbarschaftlicher Gemeinschaft. Die Dankbarkeit kann sich durchaus auch auf schwierige Lernprozesse beziehen, auf Konflikte, die man überstanden hat, auf leidvolle Phasen des Lebens, die man aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer überwunden hat. Für glaubende Menschen kann sich die Dankbarkeit auch darauf beziehen, dass es Erfahrungen von Führung und Begleitung, von Schutz und Segen, von Sicherheit und Geborgenheit gegeben hat, die über alltägliche Erfahrungen hinausweist auf einen tieferen Grund des Lebens, auf ein Fundament, das der Glaubende Gott nennt. Solche Dankbarkeit kann mit Staunen verbunden sein über den Reichtum und der Vielfalt des Lebens: Nichts ist selbstverständlich – so darf der Glaubende dankbar sein für jeden einzelnen Tag, für das Geschenk des Lebens selbst. Wer sich so – bildlich gesprochen – über die Sonne am Morgen freut und dafür dankbar ist, der kann zum Frieden mit sich selbst finden. Wer sich als gesegnet erfährt, kann zum Segen für andere werden (vgl. Genesis 12,2: »Gott spricht zu Abraham: ›Ich will dich segnen – ein Segen sollst du sein.‹). Ein chinesischer Chan-(Zen-)Meister formuliert diese Einsicht so: »Jeden Tag Ja zum Leben sagen, nicht zu viel Energie an Widerstände verschwenden und dankbar sein für alles.«

Neben der Dankbarkeit erwächst aus dem Rückblick auf das eigene Leben eine zweite Haltung, die der Buße. Das Wort Buße hat in unserer Zeit einen schlechten Klang, doch ist Buße – richtig verstanden – ein Grundthema nicht nur der jüdisch-christlichen Bibel und des islamischen Koran, sondern auch der anderen Religionen. In Religionen mit einem als Person verstandenen Gott wird Buße als Entgegenkommen Gottes verstanden, der in seiner überwältigenden Barmherzigkeit (vgl. Koran) zu Vergebung und Versöhnung bereit ist und den Menschen neu annimmt. Buße bedeutet von diesem Glauben auf einen menschenfreundlichen Gott her eine Umkehr, die befreit, ein »neues Herz« schenkt und einen Aufbruch zu Liebe und Gemeinschaft darstellt.


Pilger bei der Semana Santa, der Heiligen Woche, Sevilla, Spanien

Auf dem Pilgerweg kann Buße als Umkehr so verstanden werden, dass sich ein Mensch über das Belastende und auch Einengende seiner Geschichte bewusst wird und er durch Akzeptanz auch unter diese Seiten seines Lebens eine Art Schlussstrich ziehen kann – ein Aufbruch zu neuen Horizonten (vgl. Seite 23) wird möglich. Aus dem »Gefängnis der Vergangenheit« erfolgt ein Aufbruch zu neuen Lebensmöglichkeiten, eine Versöhnung mit sich selbst, mit Gott und den Menschen. Solche neu gewonnene Freiheit wird durch das Bildwort des »neuen Herzens« ausgedrückt, das eine Lebenswende meint. Dies drückte der biblische Prophet Ezechiel (36,26) so aus: »Gott spricht: ›Ich schenke euch ein neues Herz. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz aus Fleisch.‹« Diese Neuorientierung – für den Glaubenden auf dem Pilgerweg ein Geschenk Gottes – gibt die Kraft, Böses und Schlimmes zurückzulassen und einen Aufbruch zur Liebe und zum Guten zu wagen. Buße und Umkehr haben von da aus einen aufbauenden und heilenden Charakter.

Viele Pilgerwege und Pilgerorte sind von den Haltungen Dankbarkeit und Buße geprägt. Es gibt Votivtafeln, auf denen Menschen solche Dankbarkeit bekunden – oft bei Heilungen und nach Krankheiten oder Verletzungen durch die bildhafte Darstellung von Gliedmaßen, manchmal auch nur durch Schrifttafeln mit dem Wort »Danke«. Solche Votivtafeln finden sich nicht nur in christlichem oder muslimischem Umfeld, sondern auch in hinduistischen Tempeln. Von der Haltung der Buße geprägt sind aber auch die Prozessionen der andalusischen Semana Santa, wo einige Teilnehmer – vergleichbar bei Prozessionen und Wallfahrten im hinduistischen und buddhistischen Bereich – barfuß gehen, zudem in einfachen Gewändern, asketisch. Auch das fragwürdige Motiv der Selbstbestrafung taucht bei Pilgerfahrten auf, etwa im schiitischen Islam bei den Selbstgeißelungen anlässlich der schiitischen Passionsfeiern (Ta‘ziya oder Muharram); hier geht es um Trauer um die im Kampf gefallenen Imame, aber auch um Buße für individuelle und kollektive Schuld.

Man ist dann mal weg

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