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Schon immer – Pilgern in der Antike
ОглавлениеDer Blick auf das Pilgern in den Weltreligionen richtet sich in erster Linie auf das Pilgern der religiösen Traditionen unserer Zeit, mögen sie – wie im Falle des Buddhismus – auch bereits über zweitausend Jahre alt sein. Doch gibt es Formen des Pilgerns auch in den antiken Kulturen und Religionen – Pilgern ist eine religionshistorische Konstante über Epochen und Kulturen hinweg. Bereits ab dem 3. Jahrtausend vor Christus gab es bei Sumerern, Hethitern und Ägyptern Pilgerreisen zu herausragenden Orten.
Der früheste Ansatz des Pilgerns und Wallfahrens führte zu Zielen mit herausragenden Phänomenen der Natur: Dies konnte ein besonders gestalteter Berg sein oder eine beeindruckende Höhle (vgl. Seite 38); oft waren die Ziele aber heilige Quellen, zu denen ein »Heilpilgern« stattfand: Vom reinen Wasser einer Quelle erhoffte man sich Heilung verschiedener Krankheiten; so gibt es Spuren eines solchen Pilgern bei den Quellen der Seine in der Nähe des französischen Dijon. An solchen Orten suchte man auch die Begegnung mit der Gottheit oder göttlichen Kräften, mit den wohltätigen Geistern der Berge, Bäume und Grotten, die rund um das lebendige Wasser zu spüren waren. Die Germanen kannten deshalb heilige Haine, die Ziel religiöser Wege wurden. Hinter solchen Aktivitäten steht die Auffassung, dass die Wirkungsmacht der Gottheit mit solch herausragenden Orten verbunden ist.
Das Pilgern und Wallfahren gewann eine neue Qualität im griechischen, später auch römischen Kultur- und Religionsraum; Orte wie Delphi, Epidaurus, Eleusis und Ephesus künden davon. Der Artemis-Tempel im kleinasiatischen Ephesus wurde sogar als eines der sieben Weltwunder angesehen. Dabei unterschieden sich diese Orte durchaus. Es gab Pilgerziele, wo man auf den Spruch eines Orakels vertraute wie in Delphi, bei anderen stand die Heilung im Vordergrund wie in Epidaurus auf dem Peleponnes. Es gab Orte, an denen wie in Eleusis bei Athen Mysterienkulte vollzogen wurden, zu denen die Eingeweihten von weit her kamen. Es gab schließlich auch Orte, die eine Mischung von sakralen und profanen Motiven kannten und mit sportlichen oder musischen Wettkämpfen verbunden waren wie Olympia. Doch was uns heute bei einer Olympiade als rein weltliches Tun erscheint, geschah damals auf religiösem Hintergrund: Der heilige Hain von Olympia war ein Kultort des obersten Gottes Zeus – ihm zu Ehren wurden die sportlichen Spiele veranstaltet.
Eine ähnliche Verknüpfung von weltlichem Tun und religiösem Hintergrund gilt auch für Delphi. Dieser Ort mit seinem berühmten Orakel diente nicht nur als Stätte, wo man sich bei der Orakelpriesterin Pythia Rat und Hilfe holte. Dies geschah in einem Apollon-Tempel entsprechend der Vorstellung, dass Delphi der omphalos war, der »Nabel der Welt«, an dem die göttlichen Kräfte konzentriert dem Menschen begegnen. Auch Delphi war ein heiliger Pilgerort.
Ebenso verbreitet wie Orakelstätten – Delphi ist nur der bekannteste davon, andere sind in der altgriechischen Kultur Ephyra, Dodona, Didyma, auch gab es altägyptische Orakelstätten – sind Heilorte. Hier ging es vorrangig um Heilung von Krankheiten und Unfruchtbarkeit, um das Austreiben von dämonischen Kräften, um wieder zu einer Harmonie von Körper und Geist zu kommen, auch um Lebensberatung und Hilfe in schwierigen Situationen. Bereits im alten Ägypten gab es in Orten wie Alexandria und Memphis Bereiche für Heilung und Gesundung, die wie alle antiken Heilungsorte nicht allein medizinisch ausgerichtet waren, sondern die religiöse Verbindung mit den Göttern als Grundlage einer Heilung ansahen. In der altgriechischen Kultur ist besonders der Heilgott Asklepios, Sohn des Lichtgottes Apollon bekannt. Er wurde vor allem in Epidaurus, aber auch in Athen, Pergamon, auf der Insel Kos und ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. auch auf einer Tiberinsel in Rom verehrt.
Die Römer bauten ihre religiösen Vorstellungen auf denen der Etrusker, vor allem aber der Griechen auf und wandelten sie ihren Bedürfnissen entsprechend. So gab es neue Orakelstätten, etwa im (heute libanesischen) Baalbek, wo im riesigen Tempel des Jupiter Heliopolitanus geweissagt wurde. Es gab individuelles und kollektives Pilgern, religiöse Feste mit Prozessionen, Pilgergaben (Votive) wie etwa Bilder oder Skulpturen von geheilten Körperteilen oder Dankinschriften, umgekehrt Devotionalien, Segensandenken, Amulette, Talismane, welche die Pilgerfahrt in Erinnerung hielten. Pilgern – auch in seinem bunten Formenreichtum – ist also nichts Neues; das gab es schon immer.