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Zur Gemeinschaft finden – Orte der Religionen
ОглавлениеDie Pilgerorte der jeweiligen religiösen Tradition tragen zur Gemeinschaftsbildung einer Glaubensrichtung bei – beste Beispiele sind der muslimische Hadsch und die hinduistische Kumbh Mela. Von da aus werden solche heiligen Orte oft Angehörigen anderer Religionen verschlossen. Nach Mekka und Medina darf – bei Androhung der Todesstrafe – kein Nichtmuslim reisen. In Marokko ist bis auf zwei Ausnahmen Nichtmuslimen das Betreten aller Moscheen verboten, somit auch der Grabmoschee des Staatsgründers und Heiligen Moulay Idriss. In ähnlicher Weise können Nichthindus in den wichtigsten Shiva-Tempeln Indiens zwar das Tempelgelände betreten, nicht aber das Allerheiligste besuchen. Hinter solchen Konzepten steht der Gedanke der religiösen Reinheit, aber auch eine Identitätsfindung durch Abgrenzung von anderen.
Es gibt Gegenbeispiele, wo ein heiliger Ort religionsübergreifend verehrt wird. Die Beispiele des Adams Peak in Sri Lanka (vgl. Seite 38) oder des Berges Kailash (vgl. Seite 39) sind bereits bekannt. Doch besteht vor allem in Süd- und Ostasien weithin die Auffassung eines »sowohl – als auch«, nicht eines »entweder–oder«. Deshalb kann ein gläubiger Hindu auch an einem christlichen Gottesdienst in der Thomaskathedrale in Chennai teilnehmen und das Grab des Apostels besuchen. Deshalb finden sich an buddhistischen Wallfahrtsorten Chinas auch Erinnerungen an daoistische Heilige und umgekehrt in daoistischen Tempeln nicht nur Buddha- und Bodhisattvafiguren, sondern auch solche von herausragenden buddhistischen Arhats, die als Heilige verehrt werden.
Um heilige Orte kann es heftigen Streit geben, so im nordindischen Mathura. Dort gab es seit alter Zeit einen Tempel, in dem an Krishna gedacht wurde, der wichtigste Pilgerort für die Verehrer dieses Avataras Vishnus. Der intolerante islamische Mogulherrscher Aurangzeb (1618–1707) ließ diesen Tempel abreißen und dort eine Moschee bauen – vergleichbar, als hätten Muslime in Betlehem die alte Geburtskirche Jesu durch eine neue Moschee ersetzt. Dass von gewaltbereiten Hindus versucht wird, dies in Mathura zu ändern, ebenso in Ayodhya, dem Geburtsort Ramas mit ähnlicher Geschichte, kann zum Ausgangspunkt eines Bürgerkriegs werden. Eine ähnliche spannungsgeladene Situation ist in Jerusalem der Tempelberg, der von Juden und Muslimen beansprucht wird. Heilige Orte können gemeinschaftsbildend, aber leider auch trennend sein.