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Sich dem Geheimnis nähern – mystische Orte

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An heiligen Orten und auf den Pilgerwegen dorthin soll eine, den Alltag durchbrechende und den Alltag übersteigende Beziehung zur verehrten Gottheit aufgebaut werden. Dies wird von den Pilgern in manchen Religionen durch besondere Kleidung deutlich gemacht: Muslimische Männer müssen beim Hadsch ein einheitliches, weißes Gewand aus zwei Leinentüchern anziehen – jeder Unterschied aufgrund von sozialem Stand wird so zurückgestellt, Gemeinschaft gebildet und zugleich geschieht eine innere Vorbereitung auf das heilige Tun des Pilgerns und der Gottesverehrung. Ähnliches geschieht an hinduistischen Pilgerorten der indonesischen Insel Bali, hier ist beim Besuch der Tempel ein Sarong und eine Schärpe (Tempelschal) zu tragen. Die japanisch-buddhistischen Pilger auf dem Shikoku haben mit runden Grashüten, weißen Gewändern, Pilgerstab und weißer Pilgertasche eine eigene, sie von touristischen Besuchern abgrenzende Kleidung, die ihre religiöse Motivation ausdrückt, sich auf den Weg zum Göttlichen zu machen. Auf den Jakobuswegen war dies früher mit Pilgermantel (Pellerine), Pilgerhut, Stab und Tasche, dazu das Muschelabzeichen, ähnlich.


Shinto-Torii, Zugang zu einem Tempel auf einer Insel des Ashi-Sees, Japan

Grenzt solche besondere Pilgerkleidung sich von weltlichem, profanem und sakralem, heiligem Tun ab, so sind auch die Pilgerorte meist deutlich von ihrer Umgebung unterschieden: Bei Tempel- und Klosteranlagen gibt es in der Regel eine Umzäunung durch eine Mauer, die das Areal »einfriedet« und zu einem dem weltlichen Tun entzogenen Gebiet macht. Dies wird in japanischen Shinto-Schreinen besonders durch die Torii sichtbar, leuchtend-rot gestrichenen Toren am Eingang des heiligen Bereiches (vgl. das Bild auf Seite 45). Die indischbuddhistischen Torana (etwa in Sanchi), die Gopuram, Tortürme am Eingang der ummauerten riesigen südindischen Tempelanlagen, die chinesisch-daistischen Pailou, aber auch die skulpturenreichen gotischen Kathedralportale, die gespaltenen Tore balinesischer Tempel und die Torhäuser (Iwane) vor islamischen Moscheen, Medresen und Mausoleen haben eine vergleichbare Funktion: Sie führen die Gläubigen und Pilger langsam in den heiligen Bereich, lassen sie eine Schwelle überschreiten (vgl. die Eingangsschwelle in vielen südostasiatischen Tempelgebäuden), bringen sie aus dem weltlichen Bereich in den Erfahrungsbereich göttlicher Nähe. Eine ähnliche Aufgabe haben durchaus auch Reinigungszeremonien wie die für Muslime vor dem Gebet in der Moschee verpflichtende Waschung; das katholische Weihwasserbecken am Eingang der Kirchen ist ähnlich zu sehen.

Viele heilige Orte sind nur mit großer Mühe über lange Zugänge zu erreichen, zu den Bergheiligtümern führen Aufstiegstreppen, für deren Besteigung Stunden benötigt werden: etwa 7000 Stufen = 1500 Höhenmeter bei der Besteigung des daoistischen Berges Taishan, über 4000 Stufen hinauf zu den 836 Tempeln des heiligen Berges Shatrunjaya, bei Palitana, Gujarat, Indien, dem wohl wichtigsten Pilgerziel des Jainismus.

Hat man sich aber dann ausreichend vorbereitet, ist man den oft mühsamen und langen Weg zum Pilgerziel gegangen (den japanischen Saigoku-Weg etwa mit ca. 1400 km), so erreicht man das Ziel des Weges – heilige Orte mit ihrer konzentrierten Religiosität, die über allerlei Lehren und Dogmen einer Religion hinaus in die Tiefe führen, in das Geheimnis des Göttlichen, das der Pilger sucht und erfahren will. Der Weg und die äußere Gestaltung dieses Weges mit Meditation, Gebet, Gesang, Kleidung, Ritualen und anderem mehr, auch die Tempel, Pagoden, Mausoleen, Kirchen, Gebetsstätten, Schreine selbst sind im Letzten nur Vorbereitung auf das Eigentliche hin: auf die Gotteserfahrung an heiligen Orten.


Pagoden in Bagan, Myanmar

Man ist dann mal weg

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