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Lebensweg – mit Leib und Seele unterwegs

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Der Mensch bewegt sich durch diese Welt – seit Urzeiten ist er ein Wandernder, der sich immer wieder neu auf den Weg macht. Es läuft ihm allerlei über den Weg, was sein Leben prägt und formt, was ihm auch eine neue Ausrichtung geben kann. Nicht ohne Grund spricht man vom Lebensweg, den ein Mensch bewältigen muss – im Guten wie im Belastenden. Doch den Lebensweg gehen Menschen nicht allein, sondern mit Weggefährten, die stützen und helfen können. Allein und gemeinsam bleibt es eine lebenslange Aufgabe, den Weg durch das Leben zu suchen, nach Orientierung und Wegweisern Ausschau zu halten in den Höhen und Tiefen des Lebensweges. Auch Mut ist nötig – Weg hat mit Wagnis zu tun.

In solchem Sprechen vom Weg klingen Motive an, die sich in den drei Grundfragen des Menschen zusammenfassen lassen: »Woher kommen wir? Wozu leben wir? Wohin gehen wir?« Alle Religionen versuchen, auf diese Fragen tragfähige Antworten zu geben. Dazu greifen sie das Motiv des Weges, der Wanderschaft, der Pilgerschaft auf dem Lebensweg auf. So gibt es in allen Religionen und Kulturen Wandermönche und Pilger, die oft monatelang unterwegs sind, um ein vorgegebenes oder selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Es gibt Prozessionen und große Wallfahrten, von einzelnen, meist aber von Gemeinschaften unternommen. Solche religiös begründeten Be»weg«ungen von Menschen zeigen ihre Suche nach einem Weg durch das Leben, nach einem letzten tragenden Sinn überhaupt, nach einem sinnvoll gestalteten Leben, das auf ein letztes, den Menschen übersteigendes und transzendentes Ziel ausgerichtet ist.

Pilgern und wallfahren – das ist, meist unabhängig von religiösen Dogmen und der »reinen« Lehre einer Religion, die häufige Praxis einer Volksreligiosität, die oft auf uralte Traditionen aufbaut und sie in neue Zeiten fortführt. Dabei geben die beiden Begriffe Hinweise zum Verständnis dieses religiösen Tuns: Das Wort Pilger kommt vom lateinischen peregrinus (später abgewandelt zu pelegrinus, heute im Italienischen noch pellegrino, im Französischen pèlerin, im Englischen pilgrim) und hat die Bedeutung von »fremd, ausländisch, aus der Fremde stammend«. Der Pilger ist also auf seinem Weg in die Ferne ein Fremdling, der auf der Suche nach seinem Ziel ist. Das Wort Wallfahrt verweist auf heftige Bewegung; Flüssigkeiten können wallen und hoch aufkochen. Der Wallfahrer unternimmt also eine Reise (Fahrt), bei der eine intensive und anstrengende Bewegung erforderlich ist, um das Ziel der Wallfahrt zu erreichen.

Es geht also um ein Unterwegssein mit Leib und Seele, eine physisch wie psychisch einfordernde Reise in die Fremde, um ein Ziel zu erreichen, das verspricht, auf dem Lebensweg weiterzuhelfen. Solche Ziele sind in den Religionen unterschiedliche Kultstätten, die dem Pilger die Zusage machen, dass er hier in außergewöhnlicher Weise eine Beziehung zur verehrten Gottheit aufbauen kann. Die Ziele der Pilgerreisen und Wallfahrten sind also herausragende Orte der Gottesbegegnung. An den Pilgerorten soll durch eine den Alltag unterbrechende und übersteigende Weise eine vertiefte Gotteserfahrung ermöglicht werden. Die Gottheit wird herbeigerufen und erscheint dem Pilger in vielfacher Weise – gestärkt und geschützt kann er danach seinen Rückweg in sein alltägliches Leben antreten, oft tief verändert durch die spirituellen Erfahrungen auf seinem Pilgerweg.

Pilger machen sich aus unterschiedlichen Motivationen heraus auf den Weg zu den heiligen Orten der Gottesbegegnung. Das kann die Suche nach Heilung (physisch wie psychisch) sein und nach Heiligung, also Stärkung einer besonders intensiven Beziehung zur Gottheit. Pilgerfahrten können angesichts der Fehlbarkeit und Kontingenz menschlichen Lebens als Buße unternommen werden, Umkehr und Neubeginn stehen dann im Vordergrund. Umgekehrt machen sich Pilger auch aus Dankbarkeit auf den Weg, etwa für Heilung von einer Krankheit; die vielfältigen Votivtafeln und Dankesgaben (etwa Nachbildungen von geheilten Gliedern) an christlichen, aber auch hinduistischen Wallfahrtsorten zeigen dies auf.

In unserer Zeit sind zudem viele Menschen auf Pilgerwegen unterwegs (etwa auf den Jakobswegen oder dem Shikoku-Pilgerweg, vgl: Seite 195ff.), die nicht oder kaum von religiösen Motiven bewegt sind. Pilgern nicht nur als religiöse, sondern auch als säkulare Bewegung liegt im Trend. Vor allem jüngere Menschen gehen um des Gehens und der körperlichen Anstrengung willen. Sie suchen eine körperliche und sportliche Herausforderung unter dem Motto »Ich laufe gerne«. Sie setzen sich weite Ziele unter dem Motto »Ich leiste etwas«. Solches »Pilgerwandern« dient der Selbstbestätigung und Stärkung des eigenen Ichs, aber es führt naturgemäß – das ist auf Pilgerwegen einfach nicht zu verhindern – auch zu neuen Erfahrungen mit sich selbst, mit anderen Menschen, denen man begegnet, und vielleicht auch mit etwas, das den Menschen übersteigt.

Man ist dann mal weg

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