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Erinnerungen an die Großen – Orte der Heiligen
ОглавлениеAlle Religionen kennen neben den Religionsstiftern herausragende Gestalten, die sich – den Stiftern folgend – durch ein intensives religiöses Leben, durch eine Nähe zur Gottheit und durch Engagement für die Menschen ausgezeichnet haben. Solche Personen – Männer wie Frauen – werden als »Heilige« verstanden in dem Sinn, dass heilig nicht moralische Vollkommenheit bezeichnet, sondern eine besondere Beziehung zum Göttlichen.
Heilige sind Vorbilder, sie machen Mut, sich in nicht gleicher, aber vergleichbarer Weise an Gott zu binden und für die Menschen einzusetzen. Deshalb wird an wichtigen, »heiligen« Orten an die Heiligen erinnert, sie werden dort gefeiert und verehrt. Auch wenn solche Verehrung in der Volksreligiosität manchmal die Züge eines unkritischen Personenkults annimmt, so steht dahinter doch das Bemühen, den eigenen Glauben zu stärken und Kraft für ein Leben aus dem Glauben zu gewinnen – richtig verstanden soll jeder zum »Heiligen« werden.
Im jüdischen Bereich werden vor allem die Graborte der großen Gestalten der Hebräischen Bibel besucht, das Grab Abrahams, Saras und anderer in der Machpela-Höhle in Hebron etwa. Aber auch die Grabstätten von wichtigen Personen der späteren jüdischen Geschichte sind Zielorte von Pilgern, auf dem alten jüdischen Friedhof in der Prager Altstadt etwa das Grab von Rabbi Löw (1520–1609).
Im christlichen Bereich hatten in den ersten Jahrhunderten zum einen die Märtyrer und (wenn bekannt) ihre Gräber ein hohes Ansehen, zum anderen die (auch als Märtyrer gestorbenen) Apostel und ihre Grabstätten. Die vermeintlichen Grabstätten von Petrus (unter dem Petersdom) und Paulus (in der Kirche San Paolo fuori le mura) in Rom, Matthias (Trier) und Thomas (im südindischen Chennai) wurden zu den ersten christlichen Pilgerstätten; erst ab dem 9. Jahrhundert kam auch das Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela hinzu, auf das hin sich das größte europäische Netz von Pilgerwegen entwickelte und bis in unsere Zeit erhalten blieb. In späteren Zeiten der Kirchengeschichte entstanden auch Pilgerfahrten zu Marienwallfahrtsorten und zu Orten anderer Heiliger.
Ein strenger fundamentalistische Islam kann neben der Verehrung des einen Gottes keine Verehrung von Heiligen zulassen, doch in der muslimischen Volksfrömmigkeit sieht dies ganz anders aus. Schiiten verehren die Grabmoschee des vierten Kalifen Ali (des aus ihrer Sicht ersten Imam) in Nadschaf, Irak, auch andere Länder wie Afghanistan (Masar-e Scharif) und Usbekistan (Shihimardon im Ferganatal) kennen Ali-Mausoleen, die von Pilgern besucht werden. Auch die Söhne Alis, Hasan und Husein, werden durch den Besuch ihrer Grabstätten in Medina und Kerbala verehrt. Die Sunna kennt in Zentralasien, in Indien, in den Maghreb-Staaten und in Westafrika eine Fülle von Heiligengräber als Pilgerziele.
Da es im Hinduismus und im Theravada-Buddhismus wegen der Verbrennung der Toten keine Friedhöfe, Mausoleen und Grabstätten gibt, werden hinduistische und buddhistische Heilige nur selten an ihren Sterbeorten (etwa Kushinagara, vgl. das Bild auf Seite 41) verehrt, sondern häufiger an bekannten Orten ihres Wirkens: So ist etwa der Sri-Aurobindo-Ashram im indischen Puducherry zum Zentrum der Verehrung des Hindu-Mystikers Sri Aurobindo Ghose (1872–1950) geworden; der tibetische-buddhistische Heilige Padmasambhava (8. Jahrhundert) wird sowohl in dem von ihm gegründeten tibetischen Kloster Samye verehrt, dem ältesten Kloster des tibetischen Vajrayana, als auch in der Höhle des kleinen Klosters Tigernest im Parotal von Bhutan, wo er meditiert haben soll.