Читать книгу Schuldrecht I - Allgemeiner Teil - Jacob Joussen - Страница 36
ОглавлениеBeispiel: A möchte ein Haus kaufen und sucht auf dem Markt nach einem passenden Objekt. Dazu spricht er den Makler M an, der ihm unter anderem das Haus des B zeigt – dieses Haus wird später auch Gegenstand eines Kaufvertrags zwischen A und B.
102In dieser Situation beabsichtigen zwei Personen, miteinander einen Vertrag zu schließen, doch ist in dieses Gefüge eine weitere Person integriert, etwa als Makler oder sonstiger Vermittler. Nun kann ausnahmsweise auch zu diesem Dritten ein vorvertragliches Verhältnis entstehen. Das ist deshalb besonders, weil am Ende dieser Dritte überhaupt nicht mit dem Vertrag befasst ist, hier passt also der Ausdruck „vorvertraglich“ im Grunde genommen nicht. Gleichwohl kann man mit diesem Ausdruck arbeiten, da ja auch zu diesem Dritten ein Schuldverhältnis in einer vorvertraglichen Situation entsteht.
103Das Gesetz sieht in § 311 Abs. 3 zunächst nur allgemein vor, dass eine solche besondere Dreieckskonstellation zur Entstehung auch von vorvertraglichen Pflichten zu dem Dritten denkbar ist. Genaueres enthält die Norm nicht, vielmehr wird man hier auf bereits vor der Schuldrechtsreform anerkannte Fallgruppen zurückgreifen können.146 Eine von diesen hat die Norm dann jedoch sogar selber aufgeführt, nämlich in § 311 Abs. 3 Satz 2: Danach entsteht ein solches Schuldverhältnis zu diesen Dritten insbesondere dann (es ist also nur eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung), wenn dieser Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.
Beispiel: Dies kann in dem vorangehenden Beispiel etwa der Fall sein, wenn der Makler entsprechend auftritt.
104Schon am Gesetzeswortlaut wird deutlich, warum der Gesetzgeber eine solche Situation als rechtlich relevant einstuft, auch hier geht es nämlich um die Inanspruchnahme von Vertrauen, die zum Entstehen von entsprechenden Schutzpflichten führen soll.147 § 311 Abs. 3 nimmt also auf, dass auch ein Dritter in den vorvertraglichen Bereich derart mit einbezogen sein kann, dass der Dritte sowohl berechtigt als auch verpflichtet ist. Dabei handelt es sich nicht um einen Vertrag zugunsten Dritter148, vielmehr geht es allein darum, in diesem besonderen vorvertraglichen Stadium bereits dem Dritten eine bestimmte Rechtsstellung mit entsprechenden Pflichten aufzuerlegen, was jedoch nur berechtigt ist, wenn dieser in besonderer Weise in den Vorgang involviert ist.149
105Wann aber ist nun von einer solchen vorvertraglich relevanten Einbeziehung des Dritten auszugehen, sodass auch zu ihm ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht, obwohl ein Vertrag mit ihm nicht Ziel der Verhandlung ist? § 311 Abs. 3 Satz 2 nennt exemplarisch einen möglichen Fall. Gemeint ist die Situation, dass der Dritte in besonderem Maße Vertrauen bei der Vertragsanbahnung für sich in Anspruch nimmt und auf diese Weise die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.150 Es reicht in dieser Situation nicht aus, dass der Vertreter bloß den Eindruck eigener besonderer Sachkunde erweckt; vielmehr kommt eine Eigenhaftung nur in Betracht, wenn er zusätzliche Merkmale aufweist, die zu einer besonderen Vertrauenssituation ihm gegenüber führen. Hier hilft letztlich nur eine gewisse Kasuistik seitens der Rechtsprechung und Kommentarliteratur weiter.
Beispiel: So ist etwa die Haftung dieses Dritten aufgrund der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens i. S. v. § 311 Abs. 3 Satz 2 bei einem Gebrauchtwagenhändler bejaht worden, der das Fahrzeug im Namen des Vorbesitzers verkauft. Tritt er also nur als Vermittler oder Vertreter des Eigentümers auf, haftet er dem Käufer, wenn dieser wegen der besonderen Fachkenntnisse des Händlers auf dessen Angaben und Beratung vertraut.151 Ähnlich ist dies auch dann, wenn ein Unternehmenssanierer auftritt, denn dieser nimmt üblicherweise besondere unternehmerische Fähigkeiten und eine besondere persönliche Zuverlässigkeit für sich in Anspruch.152
106Ausnahmsweise kann man eine Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens bejahen, wenn der Dritte eine ganz außergewöhnliche, selten vorhandene Sachkunde aufweist, sofern er in das in Aussicht genommene Vertragswerk zwischen den eigentlichen Schuldvertragsparteien auch persönlich eingebunden werden sollte.153
107Zu beachten ist, dass die Rechtsprechung hier sehr streng vorgeht, zu Recht: Denn im Ergebnis steht der Dritte ja gerade außerhalb der Vertragsstruktur. Er tritt nur als externer Mittler oder Berater auf, er soll später nicht Partei des Vertrags sein, sodass man ihm gegenüber nur dann eine rechtlich relevante vorvertragliche Situation annehmen kann, wenn eben besondere Umstände hinzukommen. Dieses einschränkende Verständnis, was letztlich ein Regel-Ausnahme-Verhältnis begründet, dem zufolge regelmäßig der Dritte außerhalb der vorvertraglichen Situation steht und nur ausnahmsweise von einer Einbeziehung in die vorvertragliche Situation ausgegangen werden kann, führt dazu, dass die Rechtsprechung weitaus häufiger eine Einbeziehung des Dritten ablehnt. So reicht allein eine besondere Sachkunde des Dritten nicht aus.154 Insbesondere Vertreter von Versicherungen bieten regelmäßig in diesem Zusammenhang keine über das übliche Verhandlungsvertrauen hinausgehende Gewähr für die Erfüllung des Vertrags.155 Insgesamt spricht man in diesem Zusammenhang bei § 311 Abs. 3 Satz 2 von der sog. „Sachwalterhaftung“: Es geht also um solche Dritte, die als Sachverständige oder sonstige Auskunftspersonen ohne Eigeninteresse am Vertragsschluss allein durch ihr besonderes Auftreten Vertrauen erwecken und somit die Verhandlungen maßgeblich beeinflussen.156
108Neben dieser besonderen Sachwalterhaftung des § 311 Abs. 3 Satz 2 ist eine weitere Situation anerkannt, in der ein Dritter in die vorvertragliche Schuldvertragskonstruktion mit einbezogen ist. Das ist deshalb möglich, weil § 311 Abs. 2 ja nur eine beispielhafte Nennung einer Situation enthält (vgl. den Wortlaut: insbesondere). Daher entsteht anerkanntermaßen gem. § 311 Abs. 3 Satz 1 ein vorvertragliches Schuldverhältnis auch zu einem Dritten, der nicht selbst Vertragspartei werden soll, wenn dieser Dritte ein besonderes Eigeninteresse wirtschaftlicher Natur am Vertragsschluss hat.157 Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Dritte als Stellvertreter für eine der beiden späteren Vertragsparteien oder als Makler den Vertrag mit zustande bringen soll und dabei zwar kein besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, doch selber ein nicht unerhebliches Eigeninteresse am Vertragsschluss hat. Hier geht es also um einen Dritten, der vor allem als Vertreter einer der Parteien in die Vertragsverhandlung mit eingebunden ist; hat er in dieser Situation bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Interesse am Vertragsschluss, ist er dabei zudem in eine so enge Beziehung zum Gegenstand der Vertragsverhandlung gebunden, dass er wirtschaftlich gleichsam in eigener Sache beteiligt ist, so ist er nach § 311 Abs. 3 Satz 1 in das vorvertragliche Schuldverhältnis einbezogen, für ihn entstehen dann auch Rechte und Pflichten.158
109Diese Fallgruppe des sog. „wirtschaftlichen Eigeninteresses“ bejaht die Rechtsprechung etwa beim Ehegatten, der das Geschäft des anderen Ehegatten wie sein eigenes führt.159 Denkbar ist dies auch bei einem Gebrauchtwagenhändler, der ein in Zahlung genommenes Fahrzeug für eigene Rechnung veräußert.160 Auch hier ist die Rechtsprechung sehr streng. Als Eigeninteresse des Dritten, das eine vorvertragliche Einbeziehung dieses Dritten rechtfertigen würde, genügt daher nicht, dass der Dritte an dem Geschäft ein bloßes Provisionsinteresse hat.161 Vielmehr muss ein wirtschaftliches Interesse über die reine Provisionsgewinnung hinausgehen, er muss nämlich „gleichsam in eigener Sache“ tätig werden.162