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3.Die Pflichten der Parteien des vorvertraglichen Schuldverhältnisses und entstehende Ansprüche

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110Das vorvertragliche Schuldverhältnis entsteht nach dem zuvor Gesagten, wenn entweder der Normalfall des § 311 Abs. 2 vorliegt oder ausnahmsweise eine Situation, in der ein Dritter in ein solches vorvertragliches Verhältnis mit einer Person eingebunden ist. Es bedarf hier keiner Willenserklärung, auch keines Vertragsschlusses. Sobald ein solches vorvertragliches Schuldverhältnis allein durch die entsprechenden beschriebenen Situationen entstanden ist, liegt aber wie bei einer Vereinbarung ein Pflichtengefüge vor, an das sich die Parteien dieses vorvertraglichen Schuldverhältnisses halten müssen.

111a) Die Pflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Der Wortlaut des § 311 Abs. 2 ist der einzige Hinweis darauf, welchen Inhalt das Schuldverhältnis im vorvertraglichen Stadium annehmen kann. Die von den Parteien zu beachtenden Pflichten ergeben sich danach (nur) aus § 241 Abs. 2. Es entsteht eine Pflicht zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Eine solche Rücksichtnahmepflicht besteht in der Fallsituation des § 311 Abs. 2 für die beiden Parteien, die später einen Vertrag schließen wollen oder sich in der entsprechenden Anbahnungssituation befinden; dieselben Rücksichtnahme- und Schutzpflichten bestehen aber auch zwischen denjenigen, die in Vertragsverhandlungen stehen, denen gegenüber aber ein Dritter i. S. v. § 311 Abs. 3 aufgetreten ist. Auch dieser muss die entsprechenden Pflichten des § 241 Abs. 2 gegenüber den beiden anderen wahren. Der Wortlaut und der Inhalt des § 241 Abs. 2 sind zwar nicht sehr ergiebig, gleichwohl machen sie Eines deutlich, es entstehen in einem solchen vorvertraglichen Schuldverhältnis keinerlei Leistungspflichten, wie sie § 241 Abs. 1 formuliert. Das ist deshalb richtig, weil die Parteien sich ja (noch) nicht auf irgendwelche Leistungen geeinigt haben. Der Grund für das besondere Schuldverhältnis in dem vorvertraglichen Bereich liegt nicht in einer freiwilligen Entscheidung der Parteien, sondern in der besonderen Vertrauenssituation. Weil nur das Vertrauen geschützt werden soll, das die Parteien auf einen zukünftigen Vertragsschluss haben, wäre es nicht gerechtfertigt, hier besondere Leistungspflichten zu konstruieren. Inhalt der vorvertraglichen Pflicht der Beteiligten ist daher allein die Beachtung besonderer Schutzpflichten. Erfasst davon sind vor allem Aufklärungspflichten.163 Es geht zudem darum, die sonstigen Rechte und Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum des anderen Teils vor Schäden zu bewahren. Schließlich ist auch – anders als bei § 823 Abs. 1 – das Vermögen als solches von § 241 Abs. 2 erfasst.

Beispiel: Der Staubsaugervertreter hat bei einer häuslichen Verkaufsvorführung dafür Sorge zu tragen, dass nicht durch eine Fehlfunktion des Staubsaugers Schäden am Teppich des potenziellen Kunden entstehen, der Fahrzeughändler für die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs bei einer Probefahrt.

112b) Die Rechtsfolgen und die Anspruchsprüfungen: §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 oder Abs. 3, 241 Abs. 2. Da in dem vorvertraglichen Schuldverhältnis keine Leistungspflichten entstehen, kann deren Erfüllung auch nicht verlangt werden. Fraglich ist jedoch, in welcher Höhe ein entstandener Schaden dann ersetzt wird. Im Ergebnis geht es, da ein vorvertragliches Schuldverhältnis ein Schuldverhältnis i. S. d. § 280 ist, um einen Anspruch aus dieser Norm. Durch einen Schadensersatzanspruch in dieser Situation ist daher auch im vorvertraglichen Bereich der Verletzte so zu stellen, wie er stünde, wäre die entscheidende Pflicht beachtet worden.164 Welchen Schaden hat der Beklagte also gerade durch sein vorgenommenes rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten verursacht? Das muss die Prüfungsreihenfolge prägen.

Beispiel: Wenn M und V über einen Mietvertrag verhandeln und M beim Verlassen der Wohnung des V aufgrund mangelnder Beleuchtung im Treppenhaus des V stürzt, erleidet er einen Schaden: Er muss für seine Genesung Geld aufwenden.

113Die Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch aus einer Pflichtverletzung im Rahmen einer „culpa in contrahendo“ liegt also in den Normen der §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 (oder Abs. 3), 241 Abs. 2. Als Erstes ist wie stets ein Schuldverhältnis zu prüfen. Dieses liegt in einer solchen Situation in dem vorvertraglichen Schuldverhältnis: Insofern greift die Verweisung in § 311 Abs. 2 oder Abs. 3 auf § 241 Abs. 2. Im Rahmen dieses Schuldverhältnisses müsste zweitens eine Pflicht verletzt sein. Eine Pflichtverletzung liegt in einer Verletzung der zuvor vorgestellten Pflichten des Beteiligten dieses vorvertraglichen Schuldverhältnisses, also etwa darin, dass man den Körper, die Gesundheit oder das Eigentum des Gegenübers nicht ausreichend geschützt hat. Das Verschulden, das im Rahmen von § 280 Abs. 1 erforderlich und als Drittes zu prüfen ist, richtet sich wie stets nach § 276: Vorsatz oder Fahrlässigkeit müssen gegeben sein, wobei die Zurechnungsnorm des § 278 zu beachten ist. Gegebenenfalls hilft insofern die Beweislastregel des § 280 Abs. 1 Satz 2.

114Schließlich müsste, viertens, ein Schaden entstanden sein. Da es vorliegend nicht um primäre Pflichten geht, sondern nur Schutzpflichten eingreifen (vgl. oben Rn. 111), führt die schuldhafte Verletzung vorvertraglicher Pflichten zur Haftung allein auf das negative Interesse, also auf den Vertrauensschaden.165 Der Anspruch richtet sich grundsätzlich allein auf das Vertrauensinteresse.166 Der Verletzte ist demnach so zu stellen, wie er ohne diese Pflichtverletzung gestanden hätte.167 Insofern ist etwa im Ausgangsfall des RG der Schaden zu ersetzen, den der Kunde durch die Linoleumrolle erlitten hat, also etwa sein Gesundheitsschaden. Denn er hat darauf vertraut, dass er in dem Geschäft, das er betreten hat, nicht in der Integrität seiner Rechtsgüter verletzt wird, dass er also insbesondere keine Gesundheitsverletzung erleiden würde. Dieses Vertrauen wurde enttäuscht, infolgedessen entsteht eine Ersatzpflicht im Hinblick auf die Gesundheitsverletzung. Entsprechendes gilt für den Fall einer Eigentumsverletzung. Gleiches gilt für den M im vorangegangenen Beispiel.

115Etwas differenzierter muss man die Situation beurteilen, in der das Vermögen als solches betroffen ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt werden. In dieser Situation kann nämlich zunächst der Nachteil für den Verletzten darin liegen, dass ein günstiger Vertrag nicht zustande kommt.

Beispiel: A wird vom Anlageberater seiner Bank falsch und schlecht beraten und investiert daher in Aktien, die er bei korrekter Beratung nicht erworben hätte.

116Der Schädiger muss dann den Geschädigten so stellen, als wäre dessen Vertrauen auf eine richtige Aufklärung und Beratung erfüllt. Bei den Fällen des reinen Vermögensschadens, der ja nicht über deliktische Anspruchsgrundlagen ersetzt werden kann168, kommt es zu einem Ersatzanspruch, wenn kein wirksamer Vertrag zustande kommen sollte.

117Ein Schadensersatzanspruch kann in diesem Zusammenhang auch dadurch begründet sein, dass eine der Parteien Vertragsverhandlungen abbricht.

Beispiel: A möchte von B ein wertvolles Gemälde erwerben. Da der Kaufpreis sehr hoch sein wird, zögert A, sich für das Bild zu entscheiden. Es werden langwierige Verhandlungen geführt, wobei A aber immer zu erkennen gibt, dass er das Bild unbedingt haben möchte. Plötzlich lässt er den B wissen, er sei nicht mehr interessiert. B ärgert sich, weil er im Hinblick auf die Verhandlungen mit A einen für ihn sehr günstigen Verkauf an C unterlassen hat.

118In dieser Situation ist ein vorvertragliches Schuldverhältnis gegeben, denn es liegt die Anbahnungssituation oder sogar Verhandlungssituation gem. § 311 Abs. 2 vor. Es müsste auch eine Pflichtverletzung gegeben sein. Eine solche Pflichtverletzung kann in dem grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen liegen.169 Es liegt auf der Hand, dass hier nur eine sehr eng geführte Fallgruppe vorliegen kann, denn sie kollidiert offensichtlich mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit: Prinzipiell ist es jedem unbenommen, einen Vertrag zu schließen, d. h. jeder kann auch Vertragsverhandlungen wieder abbrechen. Man muss also nicht zu einem Vertrag und zu einer Einigung kommen. Andererseits ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass jeder, der mit jemandem Verhandlungen über eine Einigung aufnimmt, ein gewisses Vertrauen darin setzt, dass die Verhandlung zumindest nicht zum Schein geführt wird. Er vertraut darauf, dass prinzipiell eine Einigung möglich ist, unabhängig davon, ob man sich später tatsächlich einigt. Daher ist zwar regelmäßig ein Abbruch der Verhandlung möglich, etwas anderes gilt aber, wenn ein Beteiligter die Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abbricht, nachdem er zunächst das Vertrauen des anderen Teils darauf geweckt oder genährt hatte, der Vertrag werde später mit Sicherheit zustande kommen.170 In diesen Fällen liegt in der Tat eine Schutzpflichtverletzung vor171, und es ist der Schaden zu ersetzen, der darin besteht, dass der Vertrag nunmehr nicht zustande kommt.172

119Keine Fallgruppe in dieser Hinsicht stellt die Situation dar, in der ein Vertrag unwirksam ist, es also um einen nichtigen Vertrag geht. Erkennt dies eine der Parteien nicht und erleidet dadurch einen Schaden, handelt es sich hier nicht um eine Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1, vielmehr sind Fälle dieser Art in den §§ 122, 179 geregelt.173

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