Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 24
Berlin, Insel Schwanenwerder
Оглавление„Wissen Sie was? Wir fahren jetzt gemeinsam in die Stadt und gehen noch was Schönes essen, was meinen Sie? Koreanisch, deutsch, italienisch, französisch, japanisch ... was Sie wollen. Vielleicht nicht unbedingt englisch. Auch wenn das Essen meines Heimatlandes besser ist als sein Ruf, heb ich mir das doch lieber für zu Hause auf.“ Jeremy strahlte Mie an und sprudelte wie ein Wasserfall. Sie hatte zugesichert, die Rolle zu übernehmen, die Details sollte J. D. mit ihr ausmachen. Als Jeremy sie in seinem Überschwang umarmte, hatte sie sich ihm nicht entzogen, sondern sich ihm dezent entgegengedrückt, so zumindest sein Eindruck. Er hatte sie allerdings rasch wieder losgelassen; hier ging es um seinen Film und das Besiegeln einer rein professionellen Beziehung. „Na, was halten Sie davon? Also, mich hat der Nachmittag an der frischen Luft richtig hungrig gemacht.“
Mie lächelte ihr rätselhaftes Lächeln. „Ganz, wie Sie meinen.“
„Dann rufe ich uns jetzt ein Taxi.“ Jeremy griff nach dem Kärtchen des Taxiunternehmens, das ihn hergebracht hatte, und wählte die Nummer. „Es ist in etwa fünf Minuten hier“, berichtete er Mie.
Sie gingen den Fahrweg zur Inselstraße zurück. Von der anderen Seite kamen einige Spaziergänger des Weges. Die einzigen Menschen, von Mie abgesehen, denen Jeremy in seinen zwei Stunden hier draußen begegnet war. „Wir können dem Taxi ja noch ein Stück entgegengehen“, schlug er vor. „Es kann uns wohl kaum verfehlen. Schließlich gibt es nur diese eine Straße. Auch wird mir allmählich kühl.“ Und dann war da noch dieser Druck auf seiner Blase.
„Gerne. Ganz wie Sie wollen.“
Jeremy blickte sich in der einsetzenden Dämmerung um. Die Spaziergänger waren ein Stück weiter unter den Bäumen verschwunden. Da fiel ihm ein, dass er doch noch einen anderen Menschen auf der Insel gesehen hatte. Diesen seltsamen Typen unten am Aspen-Haus. Ob er immer noch dort war und ihn jetzt erneut anpflaumen würde? Er erzählte Mie von seiner merkwürdigen Begegnung. „Der wirkte echt unheimlich und hat gemeint, ich soll abhauen. Eigentlich möchte ich ihm oder seinen Kollegen nicht nochmal über den Weg laufen.“
Mie kniff kurz die Brauen zusammen und musterte ihn. Dann kehrte ihr Lächeln zurück. „Ich kann ja schon mal schauen, ob die Luft rein ist“, schlug sie scherzhaft vor.
„Nein, wo kommen wir da hin, ich werde Sie doch nicht allein gehen lassen. Aber ich, äh ... vielleicht ...“ Unruhig trat er von einem Bein auf das andere. Er müsste sich jetzt dringend mal in die Büsche schlagen, aber ihr das zu sagen, erschien ihm höchst unromantisch.
Musste er auch nicht. Plötzlich lachte sie auf. „Versteh schon. Bis gleich.“ Und war davongestürmt. Jeremy seufzte. Diese Frau hatte ihn mal wieder durchschaut. Und war immer für eine Überraschung gut. Er sah sich um, ob die Spaziergänger nicht zurückkamen, überquerte die Straße und trat hinter einen der großen Bäume am Zaun. Puh, war wirklich höchste Zeit. Jetzt nichts wie ihr nach.
Ein Wagen fuhr vor, hupte. Er wandte sich um. Oh schon, das Taxi! „Se hatten eene Taxe jerufen?“ Er sprang auf den Beifahrersitz.
„Ins Zentrum. Aber erst müssen wir die Frau auflesen, ein Stück die Straße hinunter. Sie haben sie sicher gesehen.“ Der Fahrer grunzte etwas Unverständliches im Berliner Dialekt.
Sie rollten am Aspen-Haus vorbei. Aus den Ritzen der Rollladen drang schwaches Licht. Mindestens zwei Autos standen seitlich hinter den Bäumen. Vom mysteriösen Überwacher nichts zu sehen. Aber etwas ging dort vor. Vielleicht wieder eines dieser internationalen Krisen-Vermittlungstreffen? Und, verdammt, wo war Mie? Auf einmal wurde es viel zu schnell dunkel. Unheimlich schnell.
Das Taxi rollte über die Brücke. Konnte sie überhaupt so weit gekommen sein, auch wenn sie rannte? Warum hatte sie nicht auf ihn gewartet? Er selbst hätte spätestens hier an der Brücke gewartet. Jeder vernünftige Mensch würde das tun. „Halt! Halten Sie an. Wir müssen die Frau einladen.“ Der Taxifahrer warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. „Na jut, aber hier is et jerade schlecht halten.“
„Halten Sie schon! Oder wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit. He – da war eine Kreuzung; dort auf dem Kopfsteinpflasterweg hätte man doch wenden können, warum haben Sie das nicht getan?“ Was war da los? War er an einen Verrückten geraten? Oder waren die deutschen Taxifahrer alle so ... unflexibel?
Er konnte Mie doch nicht im Stich lassen! Jeremy zog mit fahrigen Fingern sein Handy hervor und wählte ihre Nummer. Dabei fiel ihm siedend heiß ein, dass er sie doch nicht gefragt hatte, warum sie nie ans Telefon ging. Wahrscheinlich gab es irgendeine banale Erklärung dafür – eine veraltete Nummer auf der Karte, eine Störung, ein Fehler seinerseits bei der Ländervorwahl –, aber sie hatte ihm diese Erklärung eben nicht gegeben, also war damit zu rechnen, dass es auch diesmal nur in die Leere der Sphären tuten würde.
Es tutete in die Leere der Sphären. „Verdammt, sind Sie schwer von Begriff? Jetzt wenden Sie doch! Die zierliche, schwarzhaarige Frau, Koreanerin! Die müssen Sie bei der Herfahrt gesehen haben.“
„Ik hab überhaupt keenen jesehen. Nur Sie, wie Se an den Baum jepinkelt ham. Se wissen ja wohl, dass dat in diesem Land verboten is. In Berlin kostet Se dat dreißig Euro, wenn Se erwischt wern.“
„Hören Sie, ich habe jetzt wirklich andere Sorgen. Sie wenden jetzt oder ich steige hier mitten auf freier Strecke aus.“
„Moment ...“ Der Taxifahrer ergriff sein Funkgerät. Eine metallisch klingende Stimme gab ihm halblaute Anweisungen. „Jut ... verstehe ... wird jemacht ... muss nur aufpassen, dat der mir nich rabiat wird.“ Dann wandte er sich zu Jeremy um. „Tut mir leid, Meester, Anweisung von oben.“
Der Taxifahrer bog in eine Waldstraße ein, die definitiv nicht in der Richtung lag, aus der Jeremy heute Nachmittag gekommen war. Aber noch immer machte er keinerlei Anstalten zu drehen. Stattdessen fuhr er tiefer in den dunklen Wald hinein.
„He, soll das jetzt eine Entführung sein, oder was? Vielleicht verwechseln Sie mich mit wem? Ich werde mich über Sie beschweren.“
„Nun machense mal halblang, Meester. Jeschieht allet nur zu Ihrer Sicherheit. Wir sin gleich da.“
Vor ihnen wurden in der Dunkelheit Scheinwerfer sichtbar. Dort parkten mehrere Wagen. Mitten im Wald. Das Taxi hielt. Drei Männer traten auf das Auto zu. Einer hatte eine Taschenlampe in der Hand. Ein anderer eine Waffe. Jeremy rüttelte an der Tür, aber sie ließ sich nicht öffnen. Der dritte Mann öffnete von außen. „Steigen Sie aus und machen Sie keinen Quatsch“, sagte er auf Englisch mit kaum hörbarem deutschen Akzent. „Wir bringen Sie zu Ihrem Hotel zurück, Mister Gouldens. Ganz umsonst. Guter Service, nicht wahr?“
Jeremy erstarrte. Wie konnten die seinen Namen wissen? Er zwang sich, ruhig zu bleiben. „Hören Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie von mir wollen – aber ich hoffe, Sie sind ein Gentleman: Auf dieser Insel wartet eine Frau auf mich, der ich versprochen habe ...“
Sein Gegenüber verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. „Schon gut, können wir alles auf der Fahrt klären. Los, steigen Sie ein, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Zigarette?“
Eigentlich rauchte Jeremy, wenn überhaupt, fast nur noch Zigarren, aber in manchen Situationen ... Beklommen zog er aus dem hingehaltenen dunkelgelben Päckchen mit blauem Aufdruck eine deutsche Filterlose.
Wenige Minuten später hatte der unauffällige graue Mercedes bereits das Kreuz Zehlendorf erreicht und raste auf der ehemaligen Strecke der hundert Jahre zuvor gebauten ersten deutschen Autobahn AVUS mit hoher Geschwindigkeit dem Stadtzentrum zu.