Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 39

Bern

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„Ja, ich werde das prüfen, versprochen. Bei unserem Treffen morgen weiß ich sicher schon Näheres. Ja, ich fahre noch heute Abend von Bern zurück. Wie bitte? Warum das eine was ist? Eine ‚verwandte Angelegenheit‘? Das habe ich wirklich gesagt? Na ja, Mirjam und ich, wir hatten da einen Mitschüler ... Ach, das ist jetzt am Telefon zu kompliziert; ehrlich gesagt, weiß ich es selbst nicht, ich hoffe, ich weiß morgen mehr. Dann also bis morgen, Jeremy.“

Chloe beendete das nun schon dritte Telefongespräch ihrer Autofahrt und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Musste sie jetzt ab? Nein, das war erst die Autobahnausfahrt Bern-Wankdorf. Mirjam und ihr Mann wohnten in Oberbottigen, einem Stadtteil von Bern, der aber eigentlich nur ein stadtnahes Bauerndorf war, um das herum man einige Siedlungen für Pendler errichtete hatte. Chloe musste erst bei der übernächsten Ausfahrt, Bern-Brünnen, abfahren.

Hatte sie Jeremy zu viel verraten? In ihrer Verwirrung und dem Bedürfnis, nicht den Eindruck zu erwecken, als verschweige sie etwas, hatte sie ihm von ihrer Fahrt zu Mirjam erzählt, als habe das etwas mit jenen womöglich nicht ganz sauberen Privatkundengeschäften ihres Vaters zu tun, nach denen Jeremy sie befragt hatte. Mittlerweile war sie davon überzeugt, dass hier ein Zusammenhang bestand, auch wenn sie sich über dessen Natur nicht im Klaren war. Gott sei Dank hatte Jeremy nicht nachgehakt.

Jetzt war also eingetreten, was sie lange befürchtet hatte. Jeremy hatte, woher auch immer, Hinweise darauf erhalten, dass Beat Geschäftsbeziehungen mit Leuten unterhielt, mit denen er eigentlich keine Geschäfte machen durfte. Und Chloe hatte es natürlich immer gewusst. Gewusst und weggeschaut. Wie man etwa weiß, dass ein Familienmitglied Alkoholiker ist, aber keiner bringt es je zur Sprache. Dann wird es nicht so schlimm sein. Dann muss sich auch nichts ändern, es geht ja alles weiter wie bisher. Und man ängstigt sich vor dem Tag, wo es nicht mehr so weitergehen kann. Der Tag wird kommen, das weiß man. Aber ob morgen oder in fünfzehn Jahren, das weiß man nicht. Und so schiebt man alles von sich weg.

Jetzt konnte es Chloe nicht länger wegschieben. Jeremy hatte auch erwähnt, dass er als Nächstes mit Dr. Welti von der Revisionsgesellschaft sprechen wolle – schon da sie soeben selbst mit Welti telefoniert hatte, vermutete sie Schlimmes. Selbst Jonathan würde nun nicht mehr vor Jeremy verborgen halten können, dass es eine direkte Verbindung zwischen der Anlage der Zinserträge der Gao-Feng-Stiftung und den unerlaubten Geschäften Beat Bodmers gab. Welcher Art diese Verbindung war, konnte auch Chloe bisher nur erahnen. Aber es gab sie, das schloss sie nicht zuletzt aus Jonathans hektischem und oft widersprüchlichem Gebaren der letzten Tage. Mittlerweile war sie überzeugt, dass Jonathan viel stärker in die Geschäfte ihres Vaters eingeweiht und darin verwickelt war, als sie bisher geahnt hatte.

Das Telefongespräch, das sie vor Jeremys Anruf irgendwo auf der Strecke zwischen Olten und Solothurn mit Jonathan geführt hatte, hatte sie in ihrem Verdacht nur bestätigt. Von ihrer spontanen Fahrt nach Bern hielt er selbstverständlich nichts. Dass Mirjam nicht ans Telefon gehe, bedeute nicht gleich, dass ihr etwas zugestoßen sei. Das wusste Chloe natürlich auch. Und selbst wenn ihr etwas zugestoßen war – sei es da nicht unverantwortlich, wenn sich Chloe in die gleiche Gefahr begebe? Sie solle am besten sofort kehrtmachen und nach Küsnacht zurückfahren. Diese Sätze hatten Chloe hellhörig gemacht. Verrieten sie ihr doch endgültig, dass Jonathan ihre Befürchtungen nicht mehr als paranoide Spinnerei abtat. Er wusste, dass sie bedroht wurde. Und womöglich auch, warum. „Jonathan: Wenn du mich wirklich liebst, dann musst du mir sagen, was hier gespielt wird. Dann fahr ich auch zurück nach Zürich. Versprochen.“

„Gut. Ja, tu das. Und ich verspreche dir dafür, dass ich dir alles sage, was ich weiß. Aber nicht hier am Telefon. Ich hab dir schon mal gesagt, man weiß nie, wer alles mithört. Ich bin wahrscheinlich morgen Abend zurück in Zürich, hörst du? Dann alles Weitere. Fahr heim und bleib am besten zu Hause in Küsnacht; Beat hat das Haus so gut sichern lassen, dass dir da kaum etwas passieren kann. Bleib ruhig und tu so, als ob gar nichts wäre. Am besten zu keinem ein Wort. Und jetzt nimmst du die nächste Ausfahrt und drehst um, ja?“

An der nächsten Ausfahrt, Luterbach, fuhr Chloe geradeaus weiter.

Dass Jonathan am Telefon nicht mehr offen sprechen wollte, war auch so eine neue Marotte von ihm. Hatte er vielleicht wirklich Grund zu befürchten, dass sein Handy abgehört wurde? Waren ihm Polizei und Geheimdienste womöglich schon auf den Fersen?

Das zweite Telefongespräch während ihrer Fahrt nach Bern – noch vor Jeremys Anruf – hatte sie mit Dr. Welti von der Revisionsgesellschaft Fiducia geführt, jenem mittlerweile geweckten „schlafenden Hund“, der eine Witterung aufgenommen hatte, von der er nicht ablassen würde. Er hatte aufgeregt gewirkt und Chloe gebeten, sich so schnell wie möglich mit ihm zu treffen. Jeremy und Jonathan könne er nicht erreichen. Chloe konnte sich schon vorstellen, warum Jonathan die Anrufe von Dr. Welti nicht annahm. Das Gespräch mit Welti hatte viele von Chloes Befürchtungen bestätigt und andere noch übertroffen. Sie hatten vereinbart, sich noch heute Abend, direkt nach Chloes Rückkehr aus Bern, gegen 20.30 Uhr zusammenzusetzen.

Aber zuerst stand der Spontanbesuch bei Mirjam Meier an. Chloe erreichte die Ausfahrt Bern-Brünnen und bog am Kreisverkehr nach rechts in die Bottigenstraße ab. Nun war sie gleich da.

Sie fasste zusammen, was sie zu wissen glaubte. Marcus hatte aus irgendeinem Grund sterben müssen, weil er einst mit dem mutmaßlichen Sohn des damaligen nordkoreanischen Diktators befreundet gewesen war. Und dieser Tod hatte auch etwas mit ihr, Chloe, zu tun, die mit den beiden die gleiche Klasse besucht hatte. Deshalb hatte man ihr die Zeitungsartikel ins Rohr gesteckt. Auch ihre Begegnungen mit den ostasiatischen Männern waren kein Zufall. Sie hatten entweder etwas mit den Vorfällen um Marcus’ Tod zu tun oder damit, dass ihr Vater (und mit ihm vermutlich Jonathan) illegale Geschäfte machte: mit Nordkorea. Wieder Nordkorea – das musste auch irgendwie zusammenhängen. Aber was hatte der Mord mit den Bankgeschäften ihres Vaters zu tun? Und was war bei alledem Chloes Rolle?

In Oberbottigen bog sie nach links zur Siedlung Matzenriedstraße ab. Eines der hässlichen zweistöckigen Beton-Flachdachhäuser rechts gehörte Mirjam und ihrem Mann. Das vierte in der zweiten Reihe. Chloe parkte ihren Wagen am Straßenrand und stieg die Treppen zur Wohnsiedlung hinauf. Erst als sie das Haus erreicht hatte, fiel ihr ein, dass der eigentliche Eingang vorn lag, hier waren nur die Gartentüren. Sie müsste also die ganze Reihe aneinandergebauter Häuser zurücklaufen. Dann stellte sie fest, dass die niedrige Gartentür unverschlossen war, und beschloss, es auf diesem Weg zu probieren. Sie schritt über den Rasen zum Haus. Nichts Auffälliges. Kein Hundegebell. Keine Blutspuren. Sie erreichte die Hintertür und klopfte. Keine Antwort. Seltsam. Sie drückte gegen die Tür. Sie ließ sich öffnen. Nanu? Chloe wusste, wie entnervend ängstlich Mirjams Gatte war; so einer ließ eigentlich keine Tür unverschlossen. Sie trat ein. „Hallo?“, rief sie mit gedämpfter Stimme. Plötzlich hatte sie aller Mut verlassen.

Da hörte sie hinter sich vom Gartenweg her Schritte. Sie fuhr herum und blickte in die Mündung einer auf sie gerichteten Waffe.

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