Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 27
Berlin, Treptow
ОглавлениеIm GTAZ, dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum der deutschen Sicherheitsbehörden, liefen weiterhin die Drähte heiß. Der Anschlag hatte international hohe Wellen geschlagen. China verlangte zügige Aufklärung und verdächtigte sogleich japanische Nationalisten, worauf Japan mit erbitterten Kommentaren reagierte. China kritisierte daraufhin Deutschland indirekt, indem es darauf hinwies, dass ein „falsches Verständnis von Demokratie und Menschenrechten“ die staatliche Sicherheit unterhöhlen und solchen Anschlägen Vorschub leisten könne, worauf deutsche Oppositionspolitiker heftig reagierten, während sich die Regierung eher kleinlaut auf die üblichen „entschiedenen Verurteilungen“ des Anschlags beschränkte. Zusätzliche Aufregung entstand, als am Nachmittag das Gerücht die Runde machte, die Handgranate sei mit einer radioaktiven Substanz verunreinigt gewesen, was aber von den Behörden rasch dementiert worden war.
„Ich habe da ein ganz dummes Gefühl.“ Oberkommissar Hartmut Seitz saß in seinem mit Akten zugemüllten Zimmer im dritten Stock und blickte seinem Gegenüber, Dr. Friedrich Fels vom BND, starr in die Augen. „Irgendwann stellt sich doch heraus, dass wir den Menschen nicht die volle Wahrheit gesagt haben. Dann muss wohl wieder mal die Polizei den Kopf hinhalten und das BND ist fein raus.“
„Schmutzige Bomben sind darauf angelegt, für Panik unter der Zivilbevölkerung zu sorgen. Das wollten wir in diesem Fall unbedingt verhindern, da schließlich keinerlei Grund zur Panik besteht.“
„Weil diese schmutzige Bombe in Wirklichkeit wiederum hochrein war. Diesen Punkt habe ich immer noch nicht verstanden.“
„Also, nochmal: Schmutzige Bomben nennt man bekanntlich konventionelle Sprengvorrichtungen, die mit radioaktivem Material kontaminiert sind, das durch die Explosion verteilt wird und die unmittelbare Umgebung verseucht. Anders als bei einer Atombombe findet also keine Kettenreaktion statt. Für solche Bomben kommen giftige Radioisotope wie etwa Cäsium oder Plutonium in Frage. Nun hat sich herausgestellt, dass unsere Handgranate mit Spuren von hochangereichertem, nahezu reinem Uran 235 kontaminiert war, also genau jenem Stoff, den man für echte Atombomben braucht – in größeren Mengen von verheerender Wirkung, in so geringer Beimengung aber praktisch harmlos. Glauben Sie mir: Wir haben niemanden gefährdet, indem wir das nicht an die große Glocke gehängt haben. Und für die internationale Sicherheit war es wichtig, jenen, die hier ein gefährliches Statement abgeben wollten, eben keine Bühne zu verschaffen.“
„Die Uranbeimengung war also nur von symbolischer Bedeutung?“
„Genau das. Hier wollte jemand zeigen, was er kann. Wozu er fähig ist. Dass er radikal und zu allem bereit ist. Dass er schmutzige Bomben bauen kann. Und mehr als das. An hochangereichertes Uran kommt keiner so leicht ran. Aber die hatten das. Und wenn sie noch mehr da von haben, dann ...“
„Dann haben wir die Bombe in den Händen von Terroristen. Das alte Schreckensszenario wäre endlich wahr geworden. Aber wer kann das sein? Wer sind diese Schlitzaugen? Ich bin ja nach wie vor der An sicht, dass dieser Anschlag gar nicht in unserem Zuständigkeitsbereich liegt. Das ist doch ein anderes Kaliber als damals die Sauerland-Gruppe, der wir das Handwerk gelegt haben, als sie einen islamistischen Sprengstoffanschlag vorbereitete. Hier haben wir es eher wieder mit durchgeknallten Japsen oder so zu tun, die ihre alten Rechnungen mit China auf unsere Kosten begleichen wollen. Haben wir eigentlich schon das Datum überprüft? Ich meine, asiatische Terroristen wählen für ihre Anschläge ja gerne irgendwelche symbolischen Jahrestage. Das war vor ein paar Jahren in Shanghai auch schon so.“
„Richtig, aber der 16. Februar scheint da nichts herzugeben.“
„Und dann hat es auch noch einen deutschen Ostasien-Diplomaten erwischt: Dr. Johannes Habrecht, der sich, wie unsere Recherchen ergeben haben, gerade in der chinesischen Botschaft befand, um ein Vermittlungsgespräch mit einer nordkoreanischen Delegation zu führen, in dem es wiederum um die Vorbereitung eines diplomatischen Geheimtreffens morgen Abend in der Borsig-Villa ging. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass da irgendein Zusammenhang besteht.“
„Und der wäre? Von den Schlitzaugen mal abgesehen.“
„Das weiß ich noch nicht. Da waren noch zwei weitere Diplomaten, der Bundestagsabgeordnete Schischkoff, deutsch-koreanische Parlamentariergruppe, und ein Kerl namens Korff, die hätten sich eigentlich mit Habrecht und den Nordkoreanern zum Mittagessen treffen sollen, kamen aber erst an, als das Ding schon explodiert war. Ich habe mit beiden Gespräche geführt. Schischkoff scheint mir integer zu sein, aber diesem Korff traue ich nicht über den Weg. Ich bin mir sicher, der schmierige Kerl wusste mehr, als er mir gesagt hat. Wieso lachen Sie jetzt? Ach so ...“ Seitz wusste, was nun kommen würde.
„Korff lassen Sie ruhig meine Sorge sein. Um den kümmern wir uns schon.“ Auf Fels’ meist so grau und ausdruckslos wirkende Züge legte sich ein wissendes Grinsen. Seitz hasste das. Er riss sich hier den Arsch auf und dann kamen diese arroganten Geheimdienstler und wussten immer schon mehr, rückten jedoch nicht heraus damit. Er war erfahren und frustriert genug, um gar nicht erst weiterzufragen. Er kannte sie alle, ihre Floskeln. Nationale Sicherheitsinteressen, komplexe internationale Verwicklungen, absolute Geheimhaltungsstufe, hochbrisante Sache, Aufklärung schön und gut, aber wir dürfen unsere Kontaktleute nicht gefährden, sonst richten wir am Ende mehr Schaden als Nutzen an. Seitz wusste nur zu gut, dass es in Deutschland ein Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei gab, auf das sich Fels in seiner Geheimniskrämerei berufen konnte. Aber welchen Sinn hat so ein „Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum“ dann überhaupt, wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht?
Ungefragt ließ Fels dennoch sein Sprüchlein vom Stapel. „Wissen Sie, wir sind da an einer hochbrisanten Sache dran, die absoluter Geheimhaltung und äußerster Behutsamkeit bedarf. Da könnten einige Menschenleben gefährdet und Leute unnötig gewarnt werden. Deshalb, nochmal: Lassen Sie Walter Korff mal unsre Sorge sein.“
Seitz sah Fels starr an. „Und was ist mit der Sache oben am Wannsee? Gibt es da auch eine Verbindung, die Sie mir verschweigen?“
Fels zuckte die Schulter. „Darüber werden wir mehr wissen, wenn wir unsere Aktion auf Schwanenwerder abgeschlossen haben.“
„Das heißt, sie dauert noch an? Bis so weit in die Nacht?“
Fels erhob sich, griff nach seiner Jacke. „Bisher hat sich dort noch nichts getan. Außer dass wir, wie ich höre, einen verdächtigen Engländer aufgegriffen haben. Ich fürchte, da ist was schiefgelaufen.“
Seitz’ Telefon klingelte. Er hob ab, gab Fels ein Zeichen, einen Moment zu warten. „Okay, ich verstehe ... Ja, schicken Sie es mir gleich rüber.“ Dann legte er auf. Sah Fels starr an. „Es ist ein Bekennervideo aufgetaucht. Von wegen Schlitzaugen.“