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Berlin

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Jeremy hatte zunächst Chloes Nummer gewählt, dann diejenige Weltis von Fiducia. Welti hatte, wie Jeremy jetzt feststellte, in der Zeit, seit er sein eben zurückerhaltenes Handy gestern dem Geheimdienst überlassen musste, selbst mehrfach versucht, ihn zu erreichen. Nun hatte wiederum Jeremy Dr. Welti nicht erreicht und bei Chloe war ständig besetzt. Als sie zuletzt doch abgenommen hatte, war sie recht einsilbig gewesen. Was wohl auch daran lag, dass sie gerade im Auto saß und die Verbindung nicht besonders gut war. Sie hatte von ihrem kranken Vater erzählt und davon, dass er gewisse Kunden stets persönlich betreut habe. Sie sei momentan in einer schwierigen Lage, da sie dringend der Einweisung in jene Geschäftsbereiche bedürfe, die bislang allein ihrem Vater vorbehalten gewesen waren, Beat aber aufgrund seiner Herzkrankheit absolut geschont werden, alle Anstrengungen und Aufregungen von ihm ferngehalten werden müssten. Auf die Frage hin, ob Beat mit Privatpersonen aus Nordkorea finanzielle Beziehungen unterhalte, hatte sie für einen Moment geschwiegen. Nordkoreanern sei es nicht gestattet, in der Schweiz Konten zu eröffnen, sagte sie dann. Schon gar nicht sogenannten PEPs, politisch exponierten Personen, bei denen Geldwäscheverdacht bestehe. Aber sie werde das prüfen. Sie sei in einer verwandten Angelegenheit gerade zu ihrer alten Schulfreundin Mirjam in Bern unterwegs. Morgen, wenn Jeremy in die Schweiz komme, wisse sie mehr. Vielleicht wusste sie wirklich nicht mehr, als sie sagte. Aber für ihn bestand kein Zweifel, dass sie mehr ahnte. Und dass das eher ungute Ahnungen waren. Und dann dieser merkwürdige Satz von der verwandten Angelegenheit (oder Verwandtenangelegenheit?). Was hatten die nordkoreanischen Finanzbeziehungen in die Schweiz mit ihrer ehemaligen Schulfreundin zu tun?

Jeremys nächster Anruf, da saß er schon im Taxi zum Flughafen, galt seinem Freund Jonathan, der mit seinen Verwaltungs- und Finanztätigkeiten die direkte Schnittstelle zwischen der Gao-Feng-Stiftung und der Century Bank der Familie Bodmer war. Jonathan ging ausnahmsweise sofort ran. „Hey Jeremy, altes Haus, wo treibst du dich denn wieder rum? Hab gestern mit deiner besseren Hälfte telefoniert. Solltest dich mal wieder zu Hause blicken lassen. Familiensegen und so. Hast du sie inzwischen mal angerufen?“

Cathy, verdammt. Das hatte er gleich nach dem Mittagessen erledigen wollen. Aber er hatte gar kein Mittagessen gehabt. „Ja, ja, nein, mach ich gleich. Bin noch hier in Berlin und hatte heute einen sehr hektischen Tag. Hast du mal fünf Minuten Zeit?“

„Im Moment ist’s gerade schlecht, um ganz ehrlich zu sein, aber worum dreht sich’s denn?“ Jeremy schilderte ihm knapp die Verdächtigungen, die Korff gegenüber der Century Bank geäußert hatte, ohne aber seine Quelle zu nennen und konkreter zu werden.

„Das ist doch Quatsch, du kennst doch den alten Beat! Ein redlicher Schweizer von echtem Schrot und Korn. Zu schlimm, dass ihm das mit dem Herzinfarkt passiert ist. Für den leg ich meine Hand ins Feuer. Aber wir sollten uns mal zusammensetzen und die Sache bereden. Bin momentan in London nicht abkömmlich, aber soviel ich weiß, kommst du ja morgen in die Schweiz. Ich bin spätestens übermorgen wieder dort, und dann können wir ... Moment, ist gerade laut hier.“

Jeremy wollte dem Freund gerade mitteilen, dass er noch heute nach London fliege und sie sich am Abend gleich treffen könnten, da hörte er hinter Jonathan vernehmlich ausgelassene Stimmen, einen Sprechchor, Gegröle. Ha – hohe – Herta BSC! Ha – ho – he ... Jeremy war irritiert: Ähnliche Rufe hatte er zuvor selbst auf der Straße gehört. Ein Berliner Fußballverein. Hatte der heute womöglich ein Champions-League-Spiel gegen Arsenal oder Chelsea? Jeremy war kein großer Fußballfan, aber er glaubte doch zu wissen, dass der Berliner Club dieses Jahr nicht in der Champions League spielte.

„Jonathan? Sagtest du nicht gerade, du bist in London?“ – „Nein. Wie kommst du darauf? Gerade bin ich auf dem Weg nach London. Stecke im Moment auf dem Flughafen Tegel in Berlin fest. Zwischenlandung. Hab keinen direkten Flug bekommen.“ – „Na, so was, ich bin, wie gesagt, auch in Berlin und gerade auf dem Weg nach Tegel.“ – „Na prima, großartig! Wann geht denn dein Flug?“ – „In etwa zwei Stunden. 18.10 Uhr.“ – „Vergiss es, die machen hier gerade mächtig Stress von wegen erhöhte Sicherheitsstufe. Terrorwarnung und so. Keine Ahnung, was da los ist. Die meisten Flüge scheinen sich um ein bis zwei Stunden zu verspäten. Jedenfalls meiner, wie ich grade erfahren habe. Eigentlich hätte ich um 16.50 Uhr fliegen sollen. Es bleibt jedenfalls genug Zeit, was zusammen zu trinken und die ganze Angelegenheit durchzusprechen. Mensch, Zufälle gibt’s!“

Wirklich, ein Zufall. Aber Jonathan hatte eher nervös als erfreut geklungen. Und warum hatte er nicht gleich gesagt, dass er ebenfalls in Berlin war? Sein Freund war manchmal sehr merkwürdig. Undurchschaubar. Hatte sich nie gern in die Karten blicken lassen.

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