Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 32
Küsnacht
ОглавлениеEs war für Chloe Bodmer an diesem Morgen kein leichter Gang, nach kargem Frühstück und einer umso ausgiebigeren Wellness-Dusche die Treppe hinunterzusteigen und die Zeitung aus dem Rohr zu ziehen. Wieder fiel ein weißes Kuvert heraus. Mit klopfendem Herzen hob sie es auf. Diesmal hatte man sich gar nicht erst die Mühe gemacht, rote Ausrufezeichen aufzumalen. Aber der entsprechende Artikel war wieder umringelt. Sie hätte ihn auch so gefunden.
Mord an ehemaligem Liebefeld-Steinhölzli-Schüler immer mysteriöser Bern. Im Mordfall am Berner Unternehmer Marcus B. sind die Ermittler noch nicht weitergekommen. Doch scheint eine Verwicklung ins kriminelle Umfeld des Rotlichtmilieus (wir berichteten) zunehmend unwahrscheinlich. Eine gewagte Hypothese hat gegenüber der Berner Zeitung der Journalist und Geheimdienstexperte F. A. Schliermeyer geäussert. Er wies darauf hin, dass B. während seiner Schulzeit im Steinhölzli in Liebefeld die gleiche Klasse besuchte wie der angebliche Sohn eines nordko reanischen Botschaftsangehörigen, der von 1998 bis 2000 unter dem Namen Pak Un Schüler der siebten bis neunten Klasse war. Neben einem Klassenkameraden portugiesischer Nationalität, dessen gegenwärtiger Verbleib unbekannt ist, war B. der einzige Schüler, mit dem Pak Un näheren Kontakt pflegte. Beide teilten eine Begeisterung für das Basketballspiel und besuchten sich gegenseitig. Schliermeyer hegt nun keinen Zweifel daran, dass es sich bei Pak Un in Wirklichkeit um den gegenwärtigen nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un handelte. „Marcus B. wurde bei lebendigem Leib von Hunden zerrissen“, so Schliermeyer, „und auch der junge Diktator in Pjöngjang soll seinen eigenen Onkel Jang Song Thaek von Hunden zerreissen haben lassen – eine unter dem Namen ‚quan jue‘ bekannte, äusserst brutale Exekutionsart. Ich glaube an keinen Zufall.“ Gefragt, welche Motivation hinter der Gräueltat stecken solle, antwortete der hochbetagte, doch nach wie vor sehr alerte Schliermeyer: „Diktatoren überhöhen sich systematisch zu göttergleichen Überwesen. Sie sehen es nicht gern, wenn es Zeugen aus der Zeit vor dieser Überhöhung gibt, die sie als normale, unvollkommene Menschen kennengelernt haben und darüber berichten können. So sorgte schon Adolf Hitler dafür, die eigene Person im wahrsten Wortsinn ‚mit aller Gewalt‘ zu verklären; er tat alles, damit die Spuren seiner Herkunft verwischt wurden und etwa die ungewöhnliche Häufung von Geisteskrankheiten in seiner Verwandtschaft nicht publik wurde. Zudem liess er Reinhold Hanisch, den Freund aus den Tagen im Wiener Männerheim, ermorden, nachdem er Informationen über Hitlers frühe Jahre hatte publizieren lassen. In Nordkorea ist der Führerkult seit Kim Il Sung Staatsdoktrin. Was daran rührt, wird ausgemerzt. Der junge Diktator hat auch seine Jugendgeliebte Hyon Song Wol ermorden lassen, obwohl sie als Sängerin des berühmten Pochonbo Electronic Ensemble ein Star war. Mit Hyon Song Wol verband Kim eine langjährige romantische Liebesbeziehung, direkt nachdem er 2000 von der Schweiz nach Korea zurückgekehrt war. Kim eliminiert gnadenlos alle, die an seinen Mythos rühren könnten. Ich würde mich nicht wundern, wenn noch weitere Personen aus dem ehemaligen Schweizer Umfeld des Diktators ihr Leben lassen müssten.“
Der letzte Satz war mit rotem Edding unterstrichen. Wie auch das Wort Jugendgeliebte.