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Berlin, BND-Zentrale, Chausseestraße

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Dr. Friedrich Fels saß in seinem erst vor wenigen Wochen mehr provisorisch bezogenen Büro, in dem er sich noch immer nicht heimisch fühlte, kritzelte mit dem Kugelschreiber Krakellinien über das vor ihm liegende Papier und fasste in Gedanken zum x-ten Mal den Ergebnisstand seiner geheimdienstlichen Ermittlungen zusammen.

13.02 Uhr hatte der Anschlag auf die chinesische Botschaft stattgefunden, für den nun eine uigurische Splittergruppe der Terrororganisation Islamischer Staat die Verantwortung übernommen hatte. Aber im Moment interessierte Fels etwas anderes: Etwa eine halbe Stunde später hatte ein schwarzer Mercedes mit Diplomatenkennzeichen und getönten Fenstern die nordkoreanische Botschaft in der Glinkastraße verlassen und war stadtauswärts gefahren. Mitarbeiter des Geheimdiensts, die die Botschaft routinemäßig überwachten, waren dem Wagen gefolgt, hatten ihn aber im dichten Verkehr aus den Augen verloren. Überwachungskameras auf der Autobahn hatten den Mercedes jedoch kurz vorm Kreuz Zehlendorf aufgezeichnet. Und zwar, interessanterweise, zweimal innerhalb weniger Minuten: einmal auf dem Weg stadtauswärts, einmal auf dem Weg stadteinwärts. Zehn Minuten später hatte ein metallicfarbener Hyundai Genesis mit mehreren Insassen ostasiatischen Aussehens die Brücke nach Schwanenwerder passiert und war auf das Gelände des Hauses Inselstraße 10 eingefahren.

Das Haus, ehemaliger Sitz des Aspen-Instituts, jetzt im Besitz eines Schweizer Geschäftsmannes, der sich aber fast nie dort blicken ließ, stand schon länger im Visier des BND, da der Verdacht bestand, dass über diese Adresse brisante illegale Geschäfte organisiert wurden. Nun gab es ganz konkrete Hinweise, dass der Besuch der nordkoreanischen Delegation in Berlin letztlich nicht nur dem vorgeschobenen Kulturdialog mit Deutschland und auch nicht allein dem inoffiziellen Treffen mit ehemaligen US-Diplomaten dienen sollte, sondern daneben auch, wie so oft, der Devisenbeschaffung für das klamme Regime in Pjöngjang. Da ging es um Geschäfte. Und Geschäfte Nordkoreas in Europa waren in diesen Zeiten des Embargos zumeist illegale Geschäfte. Teils mehr oder weniger harmloser Art, wie wenn es sich um die Beschaffung exquisiter Luxusgüter und edler Genussmittel von altem Cognac bis zu japanischem Wal-Sushi für die Diktatorenfamilie handelte; oder auch um den Kauf von Feuerwehrautos, Geigerzählern, Telefonabhöranlagen und Ähnlichem. Teils aber waren das auch sehr dunkle Geschäfte. Und hier war der Geheimdienst gefragt. Da ging es um Drogenhandel und Waffenschmuggel, Verkauf und Einkauf von Nuklearmaterial, Falschgeld, Devisenbetrug und vielerlei mehr.

Friedrich Fels war sich sicher, dass sein verdienter „inoffizieller Mitarbeiter“ – ein treffender Begriff, so missverständlich er im heutigen Deutschland sein mochte – Walter Korff, mit all den undurchsichtigen Kontakten und alten Seilschaften, die bis in seine Stasizeit zurückgingen, noch einiges mehr über die Details dieser Geschäfte wusste. Wenn der Moment gekommen war, würde er schon mit der Sprache rausrücken müssen, Informantenschutz hin oder her.

Drahtzieher hinter all diesen Aktivitäten sollte ein mächtiger nordkoreanischer General sein, über den man kaum mehr wusste, als dass er wohl nicht nur ein Phantom der westlichen Geheimdienste war: der sogenannte „Puppenspieler“. Offenbar entstammte er jenem militärischen Umfeld, in dem die Säuberungsaktionen des jungen Diktators – der nicht einmal vor seinem Onkel, dem zweitmächtigsten Mann im Staat, Halt gemacht hatte – besonders stark wüteten. Den Puppenspieler hatte Kim aber bislang in Frieden gelassen, obwohl er, als hoher Militär, dem hingerichteten Onkel nahegestanden haben dürfte. Vielleicht weil Kim seine Macht insgeheim fürchtete? Oder weil er auf ihn und seine Auslandskontakte, diese Schwarzhandel- und Devisenmaschine, in seiner bedrängten Lage nicht verzichten konnte?

Während der reiche Schweizer Geschäftsmann mit seinem Anwesen auf Schwanenwerder offenbar nur als Vermittler fungierte, der den illegalen Kontakten einen Treffpunkt zur Verfügung stellte, operierte als der eigentlich aktive Mittelsmann auf europäischer Seite, so die kolportierten Informationen, ein britischer Staatsbürger mit großen Erfahrungen im Geschäft mit den Staaten Ostasiens. Seine Identität war ebenfalls unklar. In Geheimdienstkreisen hatte sich der Codename „der Kofferträger“ eingebürgert – wiewohl diese Koffer wohl meist virtueller Natur waren und vor allem aus Geldschiebereien von Konto zu Konto rund um die Welt bestanden.

Der Plan des Geheimdiensts hatte vorgesehen, alle verdächtigen Personen, die den Ort des vermutlichen Treffens auf Schwanenwerder aufsuchten, zu beschatten, sobald sie das Haus verließen. Kurz vor dem Hyundai mit den Insassen ostasiatischen Aussehens war dort auch ein Kleinwagen mit vier Männern eingetroffen, von denen zwei dunklerer Hautfarbe mit eher vorderasiatischen Gesichtszügen gewesen waren und der dritte ein hellhäutiger Europäer mit rötlichem Haar. Doch dann hatte den ganzen Nachmittag und Abend über offenbar niemand das Haus verlassen. Und noch bis jetzt, Mittag des nächsten Tages, nicht. Dennoch war dem deutschen Geheimdienst dort am Vorabend ein in der Tat verdächtiger britischer Staatsbürger mit rotblond-graumeliertem Haar in die Hände gefallen: Er hatte am Vormittag, wie aus Videoaufzeichnungen hervorging, die nordkoreanische Botschaft aufgesucht und war nachmittags auf Schwanenwerder gesichtet worden, wo er sich mit einer ostasiatischen Frau getroffen hatte. Zudem hatte er über viele Jahre als Anwalt in Japan und China gewirkt und fungierte gegenwärtig als Geschäftsführer der um Versöhnung im ostasiatischen Raum bemühten Gao-Feng-Stiftung. Nach außen sicher eine ehrenwerte und untadlige Sache, aber doch mit einem leichten „Geschmäckle“, so der Eindruck von Friedrich Fels (der seine Stuttgarter Herkunft, ganz Geheimdienstler, in Berlin stets erfolgreich zu verschleiern gewusst hatte): Immerhin wurden dem Stifter, Gao Feng, Kontakte zur chinesischen Mafia der Triaden nachgesagt.

Trotz aller Indizien hatte Fels dennoch Zweifel, ob es sich bei Jeremy Gouldens um den gesuchten Kofferträger handelte. Vielleicht war er nur zufällig – oder über weniger zufällige, aber ihn nicht direkt belastende Ostasienkontakte – in die Sache reingerutscht.

Fels’ Sekretärin klopfte an die Tür. „Herr Gouldens ist eingetroffen.“ Dann würde er sich gleich ein besseres Bild von dem zwielichtigen Engländer verschaffen können. Er sah auf die Uhr. Punkt eins. Wo blieb Korff? Der Verhörexperte der speziellen alten Schule war sehr erfahren darin, einem Verdächtigen auf den Zahn zu fühlen.

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