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Zürich

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Energisch drückte Dr. Urs Welti von der Treuhandgesellschaft Fiducia seine Zigarette im übervollen Aschenbecher aus. Schenkte sich mit zittrigen Fingern die nächste Tasse Kaffee ein. Zog eine neue Parisienne Noire aus dem Päckchen. Gut, dass er zumindest in seinem Büro rauchen durfte. Und jetzt, wo sein einziger Partner, Kurt-Anton Stirnimann, im Urlaub war, auch in der kleinen Kaffeeküche. Das war aber schon der einzige Vorteil seiner Abwesenheit. In allen anderen Bereichen vermisste Welti seinen Kollegen von Tag zu Tag mehr. Wieso musste er ihn auch gerade jetzt mit all den dringenden Entscheidungen alleinlassen! Denn wenn Stirnimann im Urlaub war, war er im Urlaub. Der kreuzte mit dem Cocktailglas in der Hand auf seiner Jacht durch die Karibik und war für niemanden zu erreichen. Welti hatte es längst aufgegeben, auf Stirnimanns Mailbox zu sprechen.

Welti war jung, intelligent und ehrgeizig, trug stolz seinen nagelneuen Doktortitel. Nur an der Berufspraxis fehlte es ihm noch. In diesem Punkt griff er gern auf die langjährige Erfahrung seines Partners zurück. Welti wusste, dass er noch viel zu lernen hatte. Und er wollte auf keinen Fall einen Fehler machen. Und hier hatte er es mit einem wichtigen Kunden zu tun, mit dem er es sich nicht verscherzen durfte. Aber je weiter er prüfte und bohrte, desto abgründiger schien ihm die Sache. Nahm allmählich gar strafrechtliche Dimensionen an.

Im Grunde war es eine Routinearbeit. Die Schweizer Finanzaufsicht Finma hatte sich für eine Prüfung bei der Gao-Feng-Stiftung mit Sitz in Zug angemeldet, deren Gelder und Geschäfte von der Zürcher Century Bank verwaltet wurden. Die Finma, die für die Geldwäschereibekämpfung zuständige Behörde, war 2009 eingerichtet worden, um das Schweizer Finanzsystem vor dem Missbrauch durch zwielichtiges Gesindel zu schützen. Stiftungsgründer Gao Feng in Shanghai und Geschäftsführer Jeremy Gouldens hatten entschieden, die Bücher sicherheitshalber zunächst von der kleinen Revisionsgesellschaft Fiducia prüfen zu lassen. Dabei ging es auch darum, den jährlichen Ethikbericht vorzubereiten, zu dem die Stiftung laut Satzung verpflichtet war, und in diesem Zusammenhang zu überprüfen, ob bei der Anlage der Gelder die in der Stiftungssatzung festgelegten strengen moralischen Kriterien eingehalten worden waren – keine Spekulation mit Agrarrohstoffen, kein Geschäfte mit Waffen und dergleichen. Zunächst hatte alles nach einer schnell erledigten, alltäglichen Aufgabe ausgesehen. Die Bücher schienen vorbildlich geführt, keine Verstöße gegen die Compliancekultur der Stiftung waren ersichtlich. Doch sobald Welti noch einen Schritt weiterging und hinter diese makellose Fassade blickte, ergaben sich immer mehr Fragen und Ungereimtheiten. Und irgendwie wollte sich niemand finden lassen, der ihm auf diese Fragen eine Antwort gab. Gouldens verwies auf die Bank, die Geldwäschebeauftragte der Bank, Chloe Bodmer, verwies auf den Leiter des Londoner Büros, Jonathan Creed, der für die Geldanlage der Stiftungsgelder zuständig war, aber der war praktisch nie zu erreichen. Und jetzt hatte zu allem Überfluss auch noch den Bankbesitzer Beat Bodmer ein schwerer Herzinfarkt ereilt.

Dr. Weltis Fragenliste war lang. Er war auf Hinweise gestoßen, dass die Century Bank bei der Anlage der Stiftungsgelder ihre Sorgfaltspflichten verletzt hatte. Gelder in Millionenhöhe waren in einer verwirrenden Vielfalt von Transaktionen hin und her geschoben worden, bis sich die Wege nicht mehr nachvollziehen ließen. Häufig verloren sich die Spuren bei halbseidenen Offshore-Banken und Sitzgesellschaften von Vaduz bis nach Macao und den Kaimaninseln. Die wiederholte Überweisung von gestückelten Kleinbeträgen in kurzer Zeit an gleiche Konten legte den Verdacht auf „Smurfing“ nahe – Verschleierung hoher Zahlungen durch Aufteilung in eine Vielzahl von Tranchen. In diesem Zusammenhang war Welti immer wieder auf den Namen einer dubiosen Firma namens „Koryo Capital“ gestoßen, über die er bisher nicht mehr hatte in Erfahrung bringen können, als dass es sich dabei um eine auf der Kanalinsel Guernsey ansässige Sitzgesellschaft handelte – also wohl nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma. Wer sich hinter Koryo Capital verbarg, hatte Dr. Welti noch nicht herausgefunden, und womöglich wusste es auch die Bank selbst nicht. Letzteres wäre ein klarer Verstoß gegen das „Know Your Customer“-Prinzip, das Banken verpflichtet, ihre Kunden und die wahren wirtschaftlich Berechtigten (also diejenigen, die letztlich den Zugriff auf die Kontengelder haben) identifizieren zu können. Offenbar waren hier Geschäfte mit Partnern gemacht worden, die ihren Offenlegungspflichten nicht nachkamen, und die zuständigen Mitarbeiter der Bank hatten ihre Pflicht zur Legitimationsprüfung und damit ihre Pflicht zur Kontenwahrheit vernachlässigt. Für all das brauchte Welti überzeugende Antworten. Denn so ungern er einen wichtigen Kunden von Fiducia verprellen wollte, stand doch umgekehrt fest, dass es seine unumstößliche Pflicht war, mögliche illegale Praktiken zu benennen und aufzudecken. Schließlich würde die unbestechliche Finma dergleichen ohnehin auf die Spur kommen. Da durfte sich Fiducia auch nicht in den leisesten Ruch bringen, ein Auge zugedrückt zu haben.

Eine weitere Auffälligkeit, die Urs Welti stutzig machte, war die rätselhafte Häufung von anonymen Großspenden an die Stiftung in den letzten Wochen. Es war zwar nicht das erste Mal, dass die Stiftung anonyme Spenden erhielt, aber im vorliegenden Fall gab es nicht einmal Kontenverbindungen, die sich zurückverfolgen ließen; die Spenden waren in Teilen sogar bar oder über Kurierdienste wie Western Union auf Konten der Gao-Feng-Stiftung eingezahlt worden. Dr. Welti hatte die vage Vermutung, dass diese Spendenzuflüsse mit den Kontenbewegungen in Richtung Koryo Capital und Co zusammenhingen, doch fehlten ihm alle Beweise hierfür. Eine etwa zeitgleiche weitere Großspende in beträchtlicher Höhe hatte er auf eine Briefkastenfirma auf den Kanalinseln zurückführen können, hinter der letztlich wiederum offenbar ein südkoreanisches Start-up-Unternehmen namens Brainweb steckte, das spezielle medizinische Mikrochips und computergesteuerte Implantate einer neuen Generation entwickelte. Bestand hier auch eine Verbindung? Auffällig war, dass diese Spende ausdrücklich dem alleinigen Verwendungszweck „Einrichtung des Freundschaftszentrums, Ryugyong-Hotel, Pjöngjang“ vorbehalten war. Urs Welti nahm sich vor, dieses Unternehmen einmal unter die Lupe zu nehmen.

Zum wiederholten Male wählte er die Mobilnummer von Jeremy Gouldens. „Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.“ Dr. Welti schenkte sich seufzend Kaffee nach. Warum schaltete der sein Natel nicht an? Dann würde er sich jetzt eben auf die Fährte dieser rätselhaften Gesellschaft Koryo Capital setzen. Irgendwie musste er an das Register der wirtschaftlich Berechtigten kommen, herausfinden, wer die Namen und Köpfe waren, an die hier die Gelder flossen.

Er zündete sich eine neue Parisienne Noire an.

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