Читать книгу Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen - Katharina Becker - Страница 73
cc) Transparenz hinsichtlich der Bedingungen
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Eine bedeutende gesetzliche Regelung ergibt sich aus Abs 1 S 2, die durch das UntStRefG 2008[316] eingeführt wurde. Danach ist für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.[317] Der Gesetzgeber[318] begründet die Regelung mit dem Erfordernis, die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes verlange, dass der Besteuerung ein Handeln des StPfl und der nahe stehenden Person zugrunde gelegt werde, das dem Handeln ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter entspreche, da andernfalls das Zustandekommen marktkonformer Verrechnungspreise nicht erreicht werden könne. Die Regelung bestimme, dass zur Vermeidung willkürlicher Erg im Verhältnis der nahe stehenden Personen Transparenz hinsichtlich aller Informationen, die für die Geschäftsbeziehung wesentlich sind, anzunehmen sei. So werde sichergestellt, dass nicht jeder beliebige Fremdvergleich, der auch unter irregulären Umständen (zB wegen mangelhafter Information oder Qualifikation) zustande gekommen sein kann, zu berücksichtigen sei. Dies sei insb für den hypothetischen Fremdvergleich (vgl Rn 212 ff) wichtig. Für Fälle der Funktionsverlagerung (vgl Rn 304 ff) soll die Regelung in Abs 1 S 2 gewährleisten, dass die dt FinVerw die notwendigen Informationen über die zukünftigen Gewinnerwartungen der beteiligten Unternehmen und somit die maßgeblichen Informationen für die Ermittlung des Mindest- und des Höchstpreises erhält.[319] Von der Idee her folgt der Gesetzgeber damit den Ausführungen der OECD[320] über die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei konzerninternen Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter. Diese führen aus, Fremdpreise für die Überlassung immaterieller Vermögenswerte müssten für Vergleichbarkeitszwecke sowohl die Sicht des Übertragenden als auch die Sicht des Erwerbers berücksichtigen. Aus Sicht des Übertragenden stelle der Fremdvergleichsgrundsatz auf jene Preise ab, zu denen ein vergleichbares unabhängiges Unternehmen bereit wäre die Vermögenswerte zu überlassen. Ob aus Sicht des Erwerbers ein vergleichbares unabhängiges Unternehmen bereit wäre oder nicht bereit wäre, diesen Preis zu zahlen, hinge davon ab, welchen Wert und Nutzen die immateriellen Vermögenswerte dem Unternehmen des Erwerbers verschafften.
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An der Regelung in Abs 1 S 2 ist in der Lit[321] erhebliche Kritik geäußert worden. Die Formulierung in Abs 1 S 2 sei international unüblich, unklar formuliert und enthalte keine marktkonforme, sondern eine marktkonträre und damit inpraktikable Fiktion.[322] Unklar sei die Formulierung deshalb, weil sich die „Fiktion der gegenseitigen vollständigen Information“ dem Wortlaut und der Logik des Abs 1 nach sowohl auf den konkreten Fremdvergleich (vgl Rn 205 ff) als auch auf den hypothetischen Fremdvergleich (vgl Rn 212 ff) beziehen könne.[323] Desweiteren zieht die „Fiktion der gegenseitigen vollständigen Information“ gerade keine Marktkonformität nach sich, denn im realen Wirtschaftsleben gibt es gerade keine vollständige Information über die rechtlichen und wirtschaftlichen Geschäfts- und Preisbildungsbedingungen beider Vertragspartein.[324] Anders ausgedrückt ist die Fiktion in Abs 1 S 2, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen, die absolute Ausnahme im realen Wirtschaftsleben, während die nicht vorhandene Kenntnis über alle wesentlichen Umstände der realen Ausgangssituation bei der Verrechnungspreisbildung entspricht. Dies spiegelt sich bei der Bandbreiteneinengung von Fremdvergleichspreisen unter Anwendung des konkreten Fremdvergleichs wider.[325] Vor diesem Hintergrund sei es geboten, Abs 1 S 2 restriktiv auszulegen; lediglich im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs sei es nachvollziehbar, eine vollständige Informationsversorgung zu unterstellen.[326] Gegen eine Beschränkung der Rechtsfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter auf einen hypothetischen Fremdvergleich könnte der Wille des Gesetzgebers[327] sprechen, nach dem die Anordnung der fiktiven umfassenden Kenntnis insb für den hypothetischen Fremdvergleich wichtig sein soll. Aus der Verwendung des Wortes „insb“ kann der Schluss gezogen werden, dass für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes die Kenntnis über die wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung auch beim tatsächlichen Fremdvergleich angewendet werden soll. Für diese Auslegung kann auch die systematische Stellung der Anordnung in Abs 1 S 2 herangezogen werden: Sollte die Fiktion in Abs 1 S 2 auf den hypothetischen Fremdvergleich beschränkt sein, hätte eine Regelung in den „Spezialvorschriften“ in Abs 3 S 5 ff zu dem hypothetischen Fremdvergleich nahe gelegen. Will man die Fiktion in Abs 1 S 2 danach auch auf den tatsächlichen Fremdvergleich anwenden, besteht das eigentliche Problem darin, dass der deutsche Gesetzgeber im Alleingang Anordnungen außerhalb des international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatzes trifft,[328] was im grenzüberschreitenden Lieferungs- und Leistungsverkehr zu Schwierigkeiten der Einkunftsabgrenzung führen kann und unnötige steuerliche Mehrbelastungen nach sich ziehen kann.
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Der Fremdvergleich kann in zwei verschiedenen Formen durchgeführt werden. Dabei handelt es sich weniger um eine Wahlmöglichkeit, als vielmehr um die Notwendigkeit, den tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Je nachdem, ob für das konkrete Geschäft gleiche oder vergleichbare Bedingungen festgestellt werden können und es fremde Dritte gibt oder nicht, kommen verschiedene Formen des Fremdvergleichs zur Anwendung. Dabei handelt es sich um den tatsächlichen und den hypothetischen Fremdvergleich. Während bei ersterem das konkrete Geschäft mit anderen tatsächlich durchgeführten Geschäften verglichen wird, wird bei letzterem das konkrete Geschäft mit einem fiktiven (hypothetischen) Geschäft verglichen.