Читать книгу Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen - Katharina Becker - Страница 75
c) Hypothetischer Fremdvergleich
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Ein tatsächlicher Fremdvergleich, dem grds Vorrang vor anderen Verfahren gebührt, ist jedoch immer dann nicht durchführbar, wenn es an einer faktischen Vergleichsmöglichkeit fehlt.[341] Das ist regelmäßig der Fall, wenn tatsächlich vorhandene Daten nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können oder aber, wenn die Ermittlung von Vergleichsdaten ausgeschlossen ist. Aber auch für solche Fälle ist es notwendig, einen Fremdvergleich durchführen zu können, um den konkreten Verrechnungspreis einer Prüfung zu unterziehen. Es besteht daher die Möglichkeit und Notwendigkeit, auf Hilfs- und Simulationsverfahren zurückzugreifen;[342] maW: Es ist zu prüfen inwieweit mit Hilfe von Plausibilitäts- und Simulationserwägungen das Verhalten zwischen fremden Dritten nachgebildet werden kann.[343] Es handelt sich dann um einen fiktiven Preisvergleich, der sich danach richtet, was „voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten“.[344] Die Ermittlung des Vergleichsmaßstabes auf diese Weise wird als hypothetischer Fremdvergleich bezeichnet. Da die Überlegungen bei der Durchführung eines hypothetischen Fremdvergleichs durch einen höheren Grad an Unsicherheit und Ungenauigkeit geprägt sind, sind sie gegenüber dem tatsächlichen Fremdvergleich subsidiär.[345]
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Der hypothetische Fremdvergleich basiert auf der Fiktion unverbundener (§ 1 Abs 2 e contrario) Geschäftspartner, die sich auf einen – für beide – betriebswirtschaftlich vernünftigen Preis einigen würden. Am Ende dieser Simulation ist ein Preis gefunden, der als „Sollpreis“ den Vergleichsmaßstab für den „Istpreis“ als Erg der konkreten Geschäftsbeziehung bildet. Der hypothetische Fremdvergleich ist mithin als „Denkmodell“ dergestalt zu verstehen, dass durch Nachdenken zu erforschen ist, welche Bedingungen untereinander unabhängige Dritte für das konkrete Geschäft vereinbart hätten.[346]
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Bei Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs sind die fiktiven Geschäftspartner in die Lage zu versetzen, wie sie der Geschäftsbeziehung der verbunden Unternehmen zugrunde liegt. Aus der konkreten Geschäftsbeziehung sind jedoch die Umstände herauszunehmen, soweit sie gerade die Verbundenheit der Unternehmen betreffen. Das ist die logische Konsequenz der Fiktion unverbundener Geschäftspartner. Zu berücksichtigen sind hingegen Sonderverhältnisse durch die Struktur der Märkte oder der Versorgung, durch die Unternehmensstruktur und durch staatliche Maßnahmen sowie bestehende Handelsbräuche.[347]
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Ist der Verrechnungspreis einer konkreten Geschäftsbeziehung im Wege des hypothetischen Fremdvergleichs zu überprüfen, ist es durchaus möglich, einzelne Bestandteile aus einem (durchgeführten) konkreten Fremdvergleich in den hypothetischen Fremdvergleich einzubeziehen und dergestalt zu korrigieren, dass die Situation widergespiegelt wird, in der sich die nahe stehenden Personen der konkreten Geschäftsbeziehung befanden. Ist etwa ein zwischen fremden Dritten vereinbarter Preis als Vergleichsmaßstab ermittelbar, der eine Ware der gleichen Art betrifft, weichen aber Menge, Garantien und Zahlungsziele von den Bedingungen des konkreten Geschäfts ab, kann der Vergleichspreis korrigiert werden, um die unterschiedlichen Nebenbedingungen zu reflektieren.[348] So könnten die abw Garantie – und Zahlungsbedingungen bewertet und der Preis entspr erhöht oder verringert werden.[349]
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Der hypothetische Fremdvergleich wird in Abs 1 S 1 ausdrücklich geregelt.[350] Die Formulierung „Bedingungen, …, als sie voneinander unter gleichen oder vergleichbaren Bedingungen vereinbart hätten“ stellt nicht auf solche Bedingungen ab, die unter vergleichbaren Umständen im realen Marktgeschehen festgestellt werden, also auf einen Ist-Ist-Vergleich, sondern auf einen Vergleich mit einem fiktiven Geschäft.[351] Allerdings deckt Abs 1 S 1 auch den tatsächlichen Fremdvergleich ab. Somit ist auch der Fremdvergleich im Rahmen eines Ist-Ist-Vergleichs und nicht nur durch einen Soll-Ist-Vergleich (hypothetischer Fremdvergleich) von § 1 Abs 1 S 1 erfasst.[352] Daran ändert auch die Verwendung des Konjunktivs („hätten“) nichts. Dem tatsächlichen Fremdvergleich ist nämlich der Vorrang einzuräumen, während der hypothetische Fremdvergleich als subsidiär hinter dem tatsächlichen Fremdvergleich zurücktritt. Denn die Umstände, welche die Grundlage für den tatsächlichen Fremdvergleich bilden, haben sich tatsächlich am Markt zwischen unabhängigen Dritten gebildet. Bilden diese Marktdaten ein – auf die konkret vereinbarte zu untersuchende Geschäftsbeziehung – adäquates Vergleichskriterium, führen sie augenscheinlich zu genaueren Erg. Insofern wird der tatsächliche Fremdvergleich auch als besserer Fremdvergleich bezeichnet.[353] Der Gesetzeswortlaut ist daher weit auszulegen, weil der Gesetzeswortlaut insoweit unzureichend ist; richtigerweise müsste die Formulierung lauten: „Bedingungen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen vereinbart haben oder vereinbart hätten.“[354]
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Hingegen lässt der Wortlaut des Abs 1 S 1 im Dunkeln, von wem der hypothetische Fremdvergleich durchgeführt wird. Durch die im Gesetz genannten „voneinander unabhängigen Dritten“ kann jedenfalls kein hypothetischer Fremdvergleich durchgeführt werden, weil ihr Verhältnis zum tatsächlichen Fremdvergleich führen würde.[355] Maßstab für den Fremdvergleich ist vielmehr ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, der mit verkehrsüblicher Sorgfalt agiert.[356] Die Figur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters stammt aus dem Zivilrecht (§ 93 Abs 1 S 1 AktG, § 43 Abs 2 GmbHG) und wurde erstmals durch den BFH[357] im Steuerrecht angewendet.[358]
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Der objektive Bezugspunkt für die Ermittlung des fremdüblichen Verhaltens wird durch den ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter manifestiert. Eine allg Definition, was unter einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter zu verstehen ist, gibt es nicht. Eine Definition wäre schwierig zu fassen, denn die Anforderungen an einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter werden je nach zu leitendem Unternehmen stark variieren. Dabei wird der jeweilige Geschäftsleiter insb der Art, Größe und Funktion des Unternehmens Rechnung tragen müssen. Desweiteren verfügt ein Geschäftsleiter über einen (Ermessen-)Spielraum bei der Lagebeurteilung und der geschäftlichen Entsch, wie er sich aus der Teilnahme am allg Wirtschaftsverkehr und aus der Marktsituation ergibt,[359] den der Geschäftsführer nach den Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung auszuüben hat. IRd Untersuchung der konkreten Geschäftsbeziehung des StPfl ist die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in die Situation zu versetzen, die der StPfl zu entscheiden hatte. Einzubeziehen sind die allg Gepflogenheiten des Betriebs, der Branche oder des allg Geschäftsverkehrs.[360] Bei verbundenen Unternehmen ist zu beachten, dass der Geschäftsleiter ausschließlich zum Wohl und Zweck des von ihm geleiteten Unternehmens handeln muss. Der BFH[361] entschied, der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter einer Organgesellschaft dürfe den Gesellschaftern auch dann keine Vermögensvorteile zuwenden, wenn seine Handlungsweise für den Organträger von Vorteil wäre. Der Vorteilsausgleich müsse sich zwischen der Kapitalgesellschaft und ihrem Gesellschafter vollziehen.
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Das BMF[362] erläutert die Anwendung dieser Grundsätze am folgenden Bsp:
Beispiel:
In den Export eines deutschen Unternehmens wird ein Vertriebsunternehmen in einem Niedrigsteuerland eingeschaltet. Bei den Warenlieferungen an dieses Unternehmen werden bestehende Beurteilungsspielräume stets so ausgenutzt, dass bei dem Vertriebsunternehmen ein nach seiner Funktion unangemessen hoher Rohgewinn anfällt. Ein ordentlicher Geschäftleiter des benachteiligten deutschen Unternehmens würde eine solche Gestaltung nicht hinnehmen. Die Einkünfte sind zu berichtigen.
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Kommt man hingegen zu dem Erg, dass sich der Geschäftsleiter (StPfl) iRd ihm – auch von der FinVerw[363] – zugebilligten Ermessens gehandelt hat, sind die Bedingungen der konkreten Geschäftsbeziehung auch mit steuerlicher Wirkung anzuerkennen.[364]
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Nach Auffassung des BFH[365] wird der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter jeder Vereinbarung zustimmen, die für die von ihm geführte Gesellschaft vorteilhaft ist. Der Fremdvergleich erfordert daher auch die Einbeziehung des Vertragspartners. Es ist darauf abzustellen, ob das Vereinbarte von dem abweicht, was unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen untereinander vereinbart hätten. So gesehen ist der Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nur ein Teilaspekt des Fremdvergleichs, der allerdings in vielen Fällen schon zu einem zutreffenden Erg führt. In der Lit[366] wird daher die „Verdoppelung“ des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vorgeschlagen. Dabei wird der Vertreter des Geschäftspartners (die iSv Abs 2 nahe stehende Person) durch einen fremden Dritten ersetzt. Auch dieser fremde Dritte ist ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter. Da nun für den hypothetischen Vergleich auf Seiten des „StPfl“ als auch auf Seiten des Geschäftspartners („die nahe stehende Person“) ordentlich und gewissenhafte Vertreter stehen, tritt letztlich eine „Verdoppelung“ ein. Damit wird dem Wortlaut sowohl des § 1 als auch des Art 9 MA Rechnung getragen, den Fremdvergleich auch auf die nahe stehende Person auszudehnen. Denn nach § 1 als auch nach Art 9 MA ist eine Einkünftekorrektur schon dann möglich, wenn ein StPfl im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten. Es reicht mithin aus, dass nur einer der an dem Geschäft (fiktiv) beteiligten Dritten dieses nicht eingegangen wäre; in diesem Fall hätte auch der StPfl das Geschäft nicht so vereinbaren können, wie es tatsächlich vereinbart wurde.[367] Da beide Geschäftspartner, der StPfl und die nahe stehende Person, am Markt teilnehmen und in die Preisfindung eingebunden sind, müssen auch für den hypothetischen Fremdvergleich beide Unternehmen im Hinblick auf ihren Vertreter an der Vereinbarung der Bedingungen beteiligt sein.[368]
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In den Fällen, in denen entweder ein ordentlicher Geschäftsleiter auf Seiten des StPfl oder aber ein ordentlich handelnder Geschäftsleiter auf Seiten der nahe stehenden Person dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft nicht zugestimmt haben würde, besteht Grund anzunehmen, dass die aufgrund des Geschäfts erbrachten Leistungen zu einer Einkünfteminderung geführt haben.[369] Diese Folge setzt jedoch voraus, dass ein Einigungsbereich zwischen den Parteien schlicht nicht gegeben ist. Erfasst werden hingegen nicht die Fälle, in denen sich die Vertreter beider Unternehmen im Rahmen ihres jeweiligen Ermessens bewegen und das Erg eine Bandbreite von möglichen Preisen ergibt. Innerhalb der Schnittmenge beider Bandbreiten liegen fremdvergleichskonforme Preise, die für Zwecke der Besteuerung anzuerkennen sind.