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b) Erstellung des Finanzplans

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Um die Zahlungsunfähigkeit abschließend feststellen zu können, reicht eine stichtagsbezogene Betrachtung jedoch nicht aus, da ein Betrieb täglich variierende Zahlungsbewegungen hat, also kontinuierlich Neuverbindlichkeiten begründet, Auszahlungen an einzelne Gläubiger tätigt und Gelder vereinnahmt. Sowohl die Zahlungsfähigkeit als auch die Zahlungsunfähigkeit können bereits am nächsten Tag durch Fälligwerden von weiteren Verbindlichkeiten oder durch Vereinnahmung von Zahlungen wieder entfallen. Zudem erhöhen vereinzelte Vollzahlungen die Überschuldungsquote in Bezug auf die Restverbindlichkeiten. Schließlich besteht die Gefahr einer Bugwelle, wenn man (so wie der IX. Zivilsenat des BGH für Schadensersatz- oder Anfechtungsklagen[21]) auf der Passivseite lediglich die am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten ansetzt und danach fragt, ob der Schuldner diese binnen drei Wochen liquide bedienen kann[22]. Um die Zahlungsunfähigkeit (jedenfalls ex-ante) realistisch feststellen zu können, muss man also Korrekturen vornehmen und im dreiwöchigen Beobachtungszeitraum nicht nur die zu erwartenden Zahlungseingänge, sondern auch die anfallenden neuen Verbindlichkeiten berücksichtigen[23]; gegebenenfalls sind Durchschnittswerte[24] zu bilden, weil der Schuldner sonst gar nichts mehr auszahlen dürfte.

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Bei der Ermittlung der insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit ist die betriebswirtschaftliche Betrachtung maßgeblich[25]. Somit ist auf der Grundlage des (statischen) Stichtags-Liquiditätsplans (s Rn 96) eine (dynamische) Liquiditätsbilanz zu entwickeln[26]. Demnach sind nicht nur die am Stichtag bestehenden Verbindlichkeiten („Passiva I“), sondern auch die im Planungszeitraum (drei Wochen, s sogleich Rn 104) zu erwartenden fälligen Verbindlichkeiten (als künftige Auszahlungen, sog. „Passiva II“) zu erfassen und den am Stichtag vorhandenen („Aktiva I“) und den innerhalb des Planungszeitraums erwarteten Zahlungsaktiva (Liquiditätspotenzial im Dreiwochenzeitraum, sog. „Aktiva II“) gegenüberzustellen[27]; auf die Berücksichtigung der im Betrachtungszeitraum zusätzlich fälligen Verbindlichkeiten (Passiva II) kann schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen keinesfalls verzichtet werden[28]. Auf der Aktivseite sind auch Veräußerungserlöse und Kapitalbeschaffungsmaßnahmen zu berücksichtigen, wenn im Planungszeitraum gefestigte Realisierungschancen bestehen, beispielsweise die Ausschöpfung nicht ausgenutzter Kreditlinien oder die kurzfristige Veräußerung von Umlaufvermögen. Auch verbindlich vereinbarte Nachschussverpflichtungen solventer Gesellschafter können passiviert werden, wenn der Schuldner uneingeschränkten Zugang zu den Zahlungsmitteln hat oder die Zahlungszusage tatsächlich erfüllt wird[29].

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Ergibt sich aus dem (als erstes aufzustellenden) stichtagsbezogenen Liquiditätsstatus (Rn 96), dass die am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten vollständig gedeckt sind, ist der Schuldner an diesem Tag zahlungsfähig, eine weitere Betrachtung ist in diesem Fall nicht indiziert. Erst wenn am Stichtag – ungeachtet ihrer Höhe – eine Deckungslücke besteht, müssen im Rahmen einer Prognose oder einer ex post-Zeitraumbetrachtung die Zahlungseingänge und fällig werdenden Verbindlichkeiten der dem Stichtag folgenden drei Wochen anhand einer dynamischen Liquiditätsbilanz (Rn 101, 102) untersucht werden[30]. Ist eine relevante (Rn 105) Deckungslücke zu verzeichnen, ist Zahlungsunfähigkeit gegeben; allerdings wird diese nur dann rückwirkend auf den Stichtag bezogen, wenn an diesem bereits eine Deckungslücke bestand. Ansonsten, wenn also am Stichtag eine hundertprozentige Deckung gegeben ist, kann die Zahlungsunfähigkeit erst an einem späteren Stichtag eintreten, nämlich sobald eine Lücke auftritt. Dabei kann infolge der Einbeziehung der Passiva II ein positiver Volumeneffekt zu Gunsten des Schuldners dadurch eintreten, dass die prozentuale Unterdeckungsquote nicht nur im Verhältnis zu den Passiva I, sondern zum kumulierten Wert aus Passiva I und II ermittelt wird[31].

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Es ist nicht zu übersehen, dass die Schwäche dieser Messungsmethoden die immanenten Prognosen sind, denn der prüfende Schuldner muss ex ante von einer wirtschaftlichen Entwicklung ausgehen, die sich ex post als Fehleinschätzung herausstellen kann. Soweit die Zahlungsunfähigkeit hingegen ex nunc (Insolvenzrichter, Sachverständiger) oder gar ex-post im Rahmen von Anfechtungsansprüchen oder Haftungsansprüchen gegen den Geschäftsführer (§ 64 GmbHG) als Tatbestandsmerkmal relevant ist, ist eine rein objektiv/retrospektive Betrachtung ausreichend (s Rn 108). Diese objektive Bewertung benachteiligt jedoch den Schuldner bzw Geschäftsführer, der grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Geschäftsbetrieb entsprechend der von ihm prognostizierten Einnahmen- und Ausgabenrechnung verläuft, wenn diese fachgerecht erstellt worden ist. Stellt sich später (zB im Haftungsprozess oder Beschwerdeverfahren, s Rn 172) heraus, dass die Geschäfte abweichend von der Finanzplanrechnung verlaufen sind, darf man dem Schuldner bzw Geschäftsführer die (planwidrig doch eingetretene) objektive Zahlungsunfähigkeit subjektiv nicht anlasten[32]; ihm obliegt jedoch die volle Darlegungs- und Beweislast für die Nichterkennbarkeit[33].

Entsprechendes gilt auch im Insolvenzstrafrecht (§ 15a Abs. 4 InsO). Dort wird zwar auch eine sog. „wirtschaftskriminalistische Methode“ zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit anerkannt und aus dem Ignorieren von Rechnungen und Mahnungen, der Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern, Sozialversicherungsabgaben und Betriebskosten als Beweisanzeichen auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen; aber für eine Verurteilung aufgrund der betriebswirtschaftlichen Methode (Rn 102) ist die (negative) Prognose der künftigen Entwicklung unerlässlich[34]. Der Umstand, dass eine sorgfältige Prognose den Schuldner bzw Geschäftsführer in subjektiver Hinsicht entlasten kann, darf jedoch nicht dazu führen, dass der Schuldner in Bezug auf die strafbewehrte Antragspflicht die einschlägige Dreiwochenfrist (§ 15a Abs. 1 InsO) zweimal beanspruchen kann. Erfüllt sich die positive Prognose wider Erwarten nicht, wird der Schuldner trotzdem rückwirkend zum Stichtag zahlungsunfähig. Die Dreiwochenfrist läuft auch dann bereits ab dem Stichtag, sie beginnt also nicht erst dann (erneut), wenn die Zahlungsstockung endgültig in die Zahlungsunfähigkeit umschlägt[35]. Der Geschäftsführer ist daher gut beraten, den Insolvenzantrag nach Erkennen der Nichterfüllung der Prognose unverzüglich zu stellen, da er nicht nochmals drei Wochen abwarten darf[36].

Insolvenzrecht

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