Читать книгу Flucht - Marian Liebknecht - Страница 17

16:35 Uhr

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Obike saß vor der Tür, neben sich die vierschrötigen Wärter, von denen einer einen Schäferhund an der Leine hielt. Die Aufseher ließen ihn nicht aus den Augen und behandelten ihn wie einen, dem alles zuzutrauen ist. Margreiters Hinweis auf die Gefährlichkeit des jungen Schwarzen hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Draußen begann das Tageslicht, langsam einer unmerklich voranschreitenden milchig-trüben Dämmerung zu weichen. Vom schon etwas düsteren Gang aus sah man über die Oberlichten ins hell erleuchtete Zimmer.

‚Was machen die da drin so lange mit Rasul?‘, dachte sich Obike, ‚wir haben doch vereinbart, so wenig wie möglich zu sagen.‘

Ihm selbst hatte ihr Plan von Anfang an nicht gefallen. Der krampfhafte Versuch, zu verheimlichen, wie sie über die Leiche gestolpert waren, konnte doch nicht gutgehen. Sie hätten gleich zur Polizei gehen sollen, möglicherweise hätte man ihnen geglaubt. Er überlegte auch, ob er nicht jetzt einfach die Wahrheit sagen sollte, fühlte sich aber Rasul verpflichtet, der seinen Teil der Abmachung einhielt, dessen war er sich sicher. Seit sie geholt worden waren, hatte ihn ein mulmiges Gefühl in der Magengrube nicht mehr verlassen. Es war weniger die Angst, für etwas zu büßen, das sie nicht getan hatten. Dafür hatte er schon zu viel erlebt. Ihn bedrückte eher die Aussicht, dass jetzt auch sein künftiges Leben, das er als Hoffnung und Chance gesehen hatte, durch seine eigene Schuld nur ein Traum bleiben würde. Durch seinen wirren Kopf gingen aber noch andere Gedanken. Vielleicht war das, was ihnen hier bevorstand, die Strafe für die vielen in ihrem bisherigen Leben verübten Morde. Von ihrem ehemaligen Anführer, einem gewissenlosen Kerl, der Widerspruch nicht zugelassen hatte, waren sie dazu gezwungen worden. Sich ihm zu widersetzen hätte bedeutet, sein Leben für einen sinnlosen Akt des Mutes wegzuwerfen. Die meisten damaligen Mitkämpfer waren noch keine fünfzehn Jahre alt gewesen. Nur bei einer kleinen Gruppe Älterer, die sich um den Anführer geschart hatten, war es wohl Überzeugung gewesen, die sie dazu gebracht hatte, diesen Kampf zu führen. Aber welche Überzeugung blieb nach jahrelangen Kämpfen, bei denen keine längerfristigen Erfolge zu erzielen waren, noch übrig? Wohl nur jene, dass ein Dasein, das sein Selbstwertgefühl von nichts anderem als dem Töten bezieht und das seinen Sexualtrieb nur durch Vergewaltigungen befriedigt, dennoch erträglich sein kann. Nach genügend langer Zeit würde es wahrscheinlich das einzige Leben werden, zu dem man noch fähig war. Rasul war diese Lebensweise immer leichter gefallen als Obike. Er hatte sich mit all dem nie abfinden können. Auf der anderen Seite hätte er selbst nicht den Mut aufgebracht, diesem Zwang zu entfliehen. Davon hatte Rasul ihn erst überzeugen müssen, und bis zum Schluss hatten ihm die Knie gezittert, genauso wie er sie jetzt kaum ruhig halten konnte, da er vor dem Zimmer wartete, in dem sein Freund, mit dem zusammen er das alles erlebt hatte, in die Mangel genommen wurde. Ihm schien, als würde die Zeit nicht weitergehen, als wäre Rasul schon eine Ewigkeit drinnen. Vielleicht war er inzwischen schon zusammengebrochen und hatte gesagt, wie es wirklich gewesen war, was sonst sollten sie so lange mit ihm machen? Immer wieder drehten sich Obikes Gedanken im Kreis und er konnte ihnen nicht entfliehen, selbst wenn er versuchte, sich zurück zu lehnen und an gar nichts zu denken.

Plötzlich ging die Tür auf und die beiden Männer, die sich als Polizisten deklariert hatten, wurden sichtbar. Einer führte Rasul heraus. Obike versuchte, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Er wollte erfahren, was Rasul gesagt hatte, obwohl er wusste, dass dies unmöglich war. Aber ihm gelang nicht einmal, sein Gesicht zu erkennen, so schnell wurde er von den Aufsehern in den Raum geschoben.

„Hallo!“ Derjenige der beiden, der es irgendwann übernommen hatte zu fragen, empfing ihn mit einem Lächeln, das ihn noch mehr verunsicherte und wies ihn an, sich auf den ihm schon bekannten Sessel zu setzen.

Flucht

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