Читать книгу Das verlorene Paradies - Mark Greengrass - Страница 31
Pflug und Spaten
ОглавлениеDem Boden Nahrung abzuringen war harte Arbeit, und die große Mehrheit der Bevölkerung plagte sich damit ab. Die Technologie war nur rudimentär entwickelt, der Ertrag gering, die Abhängigkeit vom Wetter immens. Wer das Land bebaute, versuchte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ohne die ohnehin vorhandenen hohen Risiken noch zu vermehren. So betrachtete der Landmann jeden Wandel mit Argwohn und sorgte mit ökologischer Umsicht für alles, was längerfristig zu erhalten war. Derlei Vorsicht war systembedingt – fest eingearbeitet in das Gewebe der ländlichen Welt durch tradierte Wirtschaftsformen und rechtliche Rahmenbedingungen.
Blickte man von einem Satelliten auf Europa herunter, sähe man die große europäische Ebene, die weiten, sanft gewellten Flächen, die sich von Polen über Norddeutschland, Süddänemark und Südschweden nach Nordfrankreich und bis in die englischen Midlands erstrecken. Das vorherrschende Bild wäre das einer offenen Landschaft, unterteilt in große Felder, auf denen die bäuerlichen Hofstellen ihre Flurstücke besaßen. Im Sommer wären die Farben Gelb und Braun gewesen, weil man mehr als 90 Prozent der Fläche für den Anbau von Getreide nutzte. Damit der Boden nicht ausgelaugt wurde, erfolgte der Getreideanbau in einem System von Wechselwirtschaft – in weiten Teilen von Nordeuropa war dies die Dreifelderwirtschaft. Im Schnitt musste ein Bauer wenigstens 25 Tage im Jahr für die Vorbereitung der Felder aufwenden, und dann noch einmal drei bis fünf Tage für die Ernte.
Die bäuerliche Wirtschaftsweise folgte den tradierten dörflichen Gepflogenheiten. Jedes Jahr gab es eine Menge zu erörtern, von dem richtigen Zeitpunkt für Aussaat und Ernte bis zur Instandhaltung der Pflüge, der Größe der Parzellen, dem Recht auf Nachlese oder der Anzahl der Tiere, die jede bäuerliche Einheit auf der Brache weiden lassen durfte. Derartige Entscheidungen fällte man nicht leichthin, denn sie konnten Spannungen hervorrufen – und das bäuerliche Leben war ebenso auf den Ausgleich von Streitigkeiten ausgerichtet wie auf den Umgang mit ökologischen Unwägbarkeiten. Man musste miteinander auskommen, denn auch davon hing das Ergebnis der harten körperlichen Arbeit ab. Wir wissen nicht viel über die jährlichen Gesamterträge an Getreide, sind vielmehr auf Schätzungen und Folgerungen angewiesen. Die Brache entzog jedes Jahr ein Drittel bis eine Hälfte des nutzbaren Landes dem Anbau, was den Ernteertrag von vornherein einschränkte. Die Ernte selbst war ineffizient, weitere Verluste gab es beim Dreschen und Lagern. Hatte der Bauer das Saatkorn für das nächste Jahr beiseitegelegt, konnte er mit Glück einen Weizenertrag von mehr als 4:1 erzielen. Den jedenfalls erreichten die Bauern des Domkapitels von Krakau in Rzgów-Gospodarz 1553. Bis 1573 wurden hier nur zweimal bessere Erträge verzeichnet. Weiter im Westen, bei Wolfenbüttel, war man mit einem Ergebnis von 6,5:1 im Jahr 1540 erfolgreicher. Jedoch änderte sich die Gesamtsituation, wenn überhaupt, nur sehr langsam.
Wählt man jedoch eine weitere Perspektive, wandelt sich das Bild etwas, gab es doch Gegenden mit stärker ausgeprägter Viehzucht und Milchwirtschaft. In den Niederlanden, im friesischen Marschland oder in Mecklenburg und Vorpommern zwischen Elbe und Oder wirkte sich die Nutzviehhaltung positiv auf den Ernteertrag beim Getreide aus, denn die Tiere düngten den Boden und lockerten beim Beweiden die Ackerkrume auf. Die Weideflächen wurden provisorisch eingezäunt, sodass sich eine Einfriedung der Felder erübrigte. Wenn es gelang, einigermaßen konstant zu düngen, erbrachten die Böden gute Erträge: In den Jahren 1570–1573 wurde im friesischen Hitzum ein Ertragsdurchschnitt von 10:1 erzielt. Die Bauern konnten dort sogar die Wechselwirtschaft aussetzen und auf allen Feldern jedes Jahr Hafer ernten. Unterdessen hatte man in Teilen von England und Westfrankreich mit der Rationalisierung des Anbaus begonnen, indem man die Felder um die einzelnen Höfe herum gruppierte und einfriedete. Zu diesem Zweck wurden an den Besitzgrenzen Gräben ausgehoben und auf dem Aushub Hecken gepflanzt – das Äquivalent von Stacheldraht in unserem sicherheitsbesessenen Zeitalter. Das sollte die ärmeren Leute davon abhalten, von ihren Gewohnheitsrechten Gebrauch zu machen, auf die sie oft so dringend angewiesen waren: Nutzung der Allmenden, Nachlese auf abgeernteten Feldern und Holzsammeln in Waldgebieten. Allerdings sollte man die Veränderungen nicht überbewerten: Zwischen 1455 und 1617 wurden in England etwas mehr als 300.000 Hektar Land eingehegt, aber nur 35.000 Landarbeiter von Grund und Boden vertrieben. Das Parlament war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass die eingeleiteten Maßnahmen zu Unruhen führen könnten. Es setzte Untersuchungskommissionen ein und verabschiedete 1517, 1548, 1566 und 1607 Gesetze, um die Auswirkung der Einhegungen (enclosures) zu mildern.
Vielleicht erklärt die Angst vor sozialer Unruhe ein Stück weit auch, warum der Wandel in der Landwirtschaft nicht weiter um sich griff. Noch stärker fällt hier freilich ins Gewicht, dass der Landbau auf ausgleichenden Maßnahmen beruhte. Die Bauern wussten, wie wichtig es war, Nährstoffe wieder dem Boden zuzuführen. Rein intuitiv war ihnen klar, dass zu viel Nutzvieh mit seinen Ausscheidungen den Boden sauer machte. Dagegen konnte man angehen, indem man Mergel (Ton, kalkreiche Erde) ausbrachte, doch ging das nur dort, wo entsprechende Transportmöglichkeiten zur Verfügung standen. Dehnte man die Anbaufläche zu stark aus und verzichtete auf die Brache, würde die Fruchtbarkeit des Bodens leiden. Bezog man Waldland und weniger gute Böden in die Anbaufläche ein, waren vielleicht die langfristigen Erträge die Mühe nicht wert. Erhöhte man die Anzahl des Weideviehs, hatte man möglicherweise nicht genug Heu, um es durch den Winter zu bringen. Zu viel Nutzvieh beeinträchtigte das Frühlingswachstum der Wiesen und damit die Heuernte für die Wintersaison. Die europäischen Bauern waren nicht faul, unwissend oder dumm, vielmehr trafen sie innerhalb enger Grenzen kluge Entscheidungen.
In manch anderer Hinsicht vollzogen sich Veränderungen einfach im Stillen. Rienck Hettes van Hemmema, ein Bauer in Hitzum, experimentierte mit dem Anbau von Erbsen und Bohnen auf dem Brachland, und es gelang ihm, dadurch den Anteil von unbebautem Boden auf seinem Besitz auf zwölf Prozent zu reduzieren. 1558 wurden in Leicestershire 14 Bauernhöfe inspiziert. Die Untersuchung ergab, dass weniger Winterweizen und dafür mehr Frühlingsweizen angebaut wurde, während auf dem Brachland in den meisten Jahren Erbsen und Bohnen angepflanzt wurden. Ein Vertrag, der 1548 über Land in Montrouge bei Paris geschlossen wurde, sah vor, dass der Bauer gleich nach der Ernte das Feld pflügen und Wurzelgemüse pflanzen sollte. Wie andere Bauern im Pariser Umland nutzte er die Nähe der Hauptstadt, indem er Viehmast betrieb und Ställe für Pferde bereithielt. Derlei Veränderungen gab es auch im Umkreis anderer Städte. Aber die landwirtschaftliche Innovation ging langsam voran und ereignete sich nur dann und dort, wo das natürliche Umfeld und der Markt dies hergaben.
Außerhalb der europäischen Ebenen war die Dreifelderwirtschaft nie die Norm gewesen, sondern wurde neben der Zweifelderwirtschaft betrieben, bisweilen als Reaktion auf den intensiveren Anbau von Getreide oder Industriepflanzen wie Hanf oder Krapp. Auf den Heideflächen der Gascogne oder der Iberischen Meseta, der zentralen Hochebene in Spanien, mussten die Bauern für jedes Anbaujahr sogar zwei Brachjahre einplanen. Östlich der Elbe erstreckte sich in Ostpolen, Moldau und der Ungarischen Tiefebene Weideland. Dort wurde extensive Nutzviehhaltung betrieben. Die südlich der europäischen Ebenen liegenden Flusstäler wiesen die größte landwirtschaftliche Vielfalt in Mitteleuropa auf. Im milden Klima der Talböden herrschten ideale Bedingungen für den Getreideanbau, während auf den Hügelrücken Schafe weiden konnten. Dazwischen, an den geschützten Süd- und Osthängen, wuchsen Weinstöcke. An den übrigen Hängen boten Wälder und Haine landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten wie die Ernte von Walnüssen, Oliven und Esskastanien sowie den Holzeinschlag – Produkte, mit denen gleichfalls Handel getrieben werden konnte. Allmenden (Weiden, Waldgebiete, Brachland) ergänzten anderes, intensiver kultiviertes Terrain.
Diese landwirtschaftliche Vielfalt würde sich im Satellitenbild als Aufteilung offener Felder in kleinere, unregelmäßige, bisweilen eingehegte Flächen zeigen. In Nordengland, Wales, West- und Südfrankreich, Teilen von Niedersachsen, Westfalen und großen Gebieten Südwestdeutschlands war die Landschaft von Hecken und Mauern aus Feldsteinen durchzogen. Weitere Vielfalt boten die Mittelmeergebiete: Auf der Tierra de Campos in Nordkastilien und in Teilen des sizilischen Binnenlands dominierte der Getreideanbau, anderswo sah man Bewässerungsanlagen für Reis, gemischten Getreideanbau, Kastanien-, Oliven-, Walnuss- und Maulbeerhaine (für die Seidenproduktion) sowie die allgegenwärtigen Weingärten. Buchweizen, das „schwarze Getreide“, das gar kein Getreide ist, sondern zur Familie der Knöterichgewächse gehört, eroberte ab dem frühen 16. Jahrhundert die eher mageren Böden der Bretagne, wohin er aus Nordafrika gelangt war. Die Banco di San Giorgio als die Institution, die Korsika im Auftrag der Republik Genua verwaltete, wies die Gemeinden an, Esskastanienbäume zu pflanzen, um ein marktfähiges Produkt und zugleich Mehl für die Armen zu haben. Der Druck auf die Landwirtschaft, für neue Anbauflächen zu sorgen, nahm zu: Mauern und Terrassen bedeckten bald die Hügel.
Überall wurde Land für den Anbau erschlossen. In Nordnorwegen säte man, zum ersten Mal seit 200 Jahren, Hafer aus. Im baltischen Teil Russlands und in Polen vergrößerten Klöster und Adlige ihre landwirtschaftlichen Domänen. Der unternehmungsfreudige Kardinal und Minister Antoine Perrenot de Granvelle, einer der großen Staatsmänner des 16. Jahrhunderts, nutzte die Gewinne aus seinem Amt, um in den Ardennen und im Jura neue Dörfer zu gründen. Waldhüter kämpften gegen unberechtigte Eindringlinge. Die Landinspektionen im Bas-Languedoc zeigten, dass jedes Fleckchen Land genutzt wurde. Die Bereitschaft, auf Veränderungen flexibel zu reagieren, war jedoch am deutlichsten ausgeprägt in Regionen, die landwirtschaftlich vielfältig aufgestellt und stadtnah gelegen waren. Dabei waren es nicht immer die Städte, die ihre Bedürfnisse und Forderungen an das Hinterland richteten, sondern häufig brachte erst das Zusammenspiel komplementärer Kräfte eine Wirtschaftsregion hervor, in der Agrarprodukte stärker kommerzialisiert wurden. Der Einfluss des Marktes auf die Produktion – und den Preis – von Getreide war beträchtlich. Um 1600 verbrauchte Rom jährlich 60.000 Wagenladungen Getreide.
Messbar wird der Markteinfluss an dem urbar gemachten Land, dem Ausbau von Wasserstraßen und Bewässerungsanlagen. Hier investierte städtisches Kapital am stärksten in die ländliche Infrastruktur. In der Lombardei vollendete der Bewässerungsbau im 16. Jahrhundert, was im Jahrhundert zuvor begonnen worden war. Von Mailand bis zum Ticino verlief der Naviglio Grande in einer Länge von 50 Kilometern, ein Triumph der Hydraulik. Zu den beteiligten Ingenieuren gehörte auch Leonardo da Vinci, und unter den Zeichnungen im Codex Atlanticus findet man seinen Entwurf für die doppeltorige Kammerschleuse, die für die Schleuse von San Marco in Mailand vorgesehen war. Im Vergleich zu Wehrschleusen arbeiteten Kammerschleusen wesentlich effizienter. Gegen 1530 war die lombardische Ebene von Mailand bis Pavia mit einem Netz von Seitenkanälen und Wasserstraßen bedeckt. Die Lombardei war ein reiches Land, jedenfalls für wohlhabende Notabeln aus Mailand.
Bologna setzte die Hydraulik besonders erfindungsreich ein. Zwei neue Kanäle lieferten die mechanischen Antriebskräfte für Getreidemühlen, Walkmühlen und hydraulische Sägen, die ihr Wasser aus unterirdischen Leitungen erhielten. Die bewässerten Gärten um Valencia und die Schleusen am Vinalopó sorgten für die Erweiterung des Reisanbaus. In der Provence leitete der Ingenieur Adam de Craponne ein Konsortium (dem auch der Astrologe Nostradamus angehörte), mit dessen Hilfe er die Durance kanalisierte, um 20.000 Hektar Schottersteppe der Crau zu bewässern. Kleinere Unternehmungen bestanden darin, Feuchtwiesen unter Wasser zu setzen, um im Frühling mehr Viehfutter zu haben. Allerdings waren nicht alle solche Bemühungen erfolgreich. Venedig gab den Versuch auf, die unteren Täler von Po und Etsch trockenzulegen, und Großherzog Ferdinando von der Toskana, der dasselbe mit den Seen des Chianatals vorhatte, konnte diesen Plan nur mit mäßigem Erfolg umsetzen. Papst Pius IV. wollte unbedingt die Pontinischen Sümpfe austrocknen und heuerte deswegen den Ingenieur Rafael Bombelli an. Im ersten Anlauf misslang der Plan, der dann von Papst Sixtus V. reaktiviert wurde. Doch starb der Pontifex nach einem Besuch auf der Baustelle an Malaria.
Nördlich der Alpen wurde Landgewinnung am stärksten in den Flussmündungsgebieten der Niederlande betrieben – es war die spektakulärste von Menschenhand bewirkte Veränderung der europäischen Küstenlinie vor 1650. Tatsächlich war die Trockenlegung von Land in Küstennähe ein weltweites Phänomen, das möglicherweise mit dem Klimawandel zusammenhing. In Südostasien verwandelten sich die Flussdeltas von Burma, Siam, Südchina, Kambodscha und Vietnam in bevölkerte Gebiete, wo – begünstigt vom interregionalen Handel – neue Reisfelder kultiviert wurden. In den Niederlanden konnten mithilfe hydraulischer Techniken in den 1540er- bis 1560er-Jahren jedes Jahr 1400 Hektar Land zusätzlich für die landwirtschaftliche Nutzung gewonnen werden. Diese Aktivitäten erfuhren eine Unterbrechung durch die religiösen und politischen Auseinandersetzungen nach 1560, wurden aber in den 1590er-Jahren wieder aufgenommen.
Die Geschichte bewegt sich in eine wohlbekannte Richtung: hin zum Triumph der kapitalintensiven Landwirtschaft mit großen, unabhängigen Höfen, geführt von marktorientierten bäuerlichen Experten, die mit flexibler Nutzviehdüngung hohe Erträge pro Hektar erzielen, ihre Felder einhegen und sich auf die Schnellstraße zur „landwirtschaftlichen Revolution“ begeben. Dahinter erstreckt sich der Schatten einer noch größeren Geschichte: Europas nordwestliche Atlantikküste war dazu ausersehen, den Kontinent in die Moderne voranzubringen. Es fällt schwer, diese Story nicht vom Ende her zu lesen. Doch gemahnt die Wirtschaftsgeschichte Europas in dieser Epoche daran, wie falsch die Ergebnisse sind, wenn man per Teleskop in der Geschichte nach den frühesten Ursachen für späteren „Erfolg“ fahndet. Erfolg in der bäuerlichen Welt zu haben, war damals eine schwierige Angelegenheit. Es beinhaltete auch, Risiken miteinander zu teilen und zu minimieren, die eigene Familie und die weitere Verwandtschaft Jahr für Jahr zu ernähren und die längerfristige Fruchtbarkeit des Bodens zu bewahren, vor allem, wenn Land kultiviert wurde, das nur bedingt für den Anbau von Nutzpflanzen tauglich war. Sind nicht die zahllosen Terrassen kultivierbaren Landes, die im Bas-Languedoc die Hänge bis zu der steinigen Hochebene emporkriechen, Anzeichen für eine kommende Ernährungskrise à la Malthus?
Es gibt Hinweise für die Richtigkeit dieser Auffassung. Die Höfe der Kleinbauern wurden durch Realteilung noch kleiner, womit die Versuchung wuchs, das Risiko zu mehren und die Produktivität des Bodens über alle Maßen zu strapazieren. Und wenn beispielsweise in Wickham (Tyneside, im Norden Englands) der Kohleabbau eine kleine Armee von Arbeitern anzog, die ihre Hütten zum Teil in unmittelbarer Nähe zum Schacht errichteten, brachte diese Lebensweise eine starke Abhängigkeit vom Nahrungsmittelmarkt mit sich. 1596/97 mussten sie hungern, weil Nahrungsmittel knapp waren. In einigen Hochlandregionen von Nordengland wiederum konzentrierte man sich so sehr auf die Weidewirtschaft und deren Gewinnmaximierung, dass zum Teil auf den Anbau von Nutzpflanzen verzichtet wurde. Infolgedessen starben die Menschen in einigen Ausnahmejahren an Hunger. In den nichts verzeihenden Hochebenen von Kastilien bemerkten schon die Zeitgenossen, dass der Boden auslaugt und die Felder nicht mehr so produktiv waren wie einst, ein Eindruck, den etwa erhaltene Zehntaufzeichnungen zumindest teilweise bestätigen. Solche abnehmenden Erträge waren freilich auch Ergebnis fehlender Zusammenarbeit zwischen Schafzüchtern und Bauern, die realiter einander brauchten. Ebenso ist es möglich, dass das schlechte Wetter und die negativen Auswirkungen epidemischer Krankheiten in den 1590er-Jahren die Bauern durch besonders hohe Getreidepreise dazu verlockten, weniger verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen. In den 1620er-Jahren galt die Landwirtschaft auf den spanischen Hochebenen wegen der hohen Betriebskosten und der geringen Einnahmen jedenfalls als weithin unprofitabel. Doch einige Gemeinden wirtschafteten weiterhin erfolgreich, weshalb das Gesamtbild nicht eindeutig ist. Auch war Spanien im 18. Jahrhundert in der Lage, eine größere Bevölkerung zu ernähren, ohne dass die Landwirtschaft erhebliche Veränderungen erlebt hätte. Wenn es in jener Periode also malthusianische Krisen gegeben haben sollte, blieben sie auf bestimmte Zeiten und Orte beschränkt.
Obwohl sich der Einfluss des städtischen Wachstums auf dem Land also durchaus bemerkbar machte, wurden Zuwächse in der landwirtschaftlichen Produktion im Großen und Ganzen nicht durch kapitalintensive Agrarwissenschaft oder spektakuläre Ertragssteigerungen pro Hektar erreicht. Vielmehr geschahen sie durch lokale Veränderungen, die hauptsächlich im Bereich der landwirtschaftlichen Nutzfläche stattfanden, angetrieben durch ein Wachstum der ansässigen Bevölkerung und durch die Marktpreise für Nahrungsmittel, wobei sich die Rolle der Preisentwicklung unmöglich beziffern lässt. Der Einfluss des Marktes auf die Landwirtschaft variierte immer – abhängig von Preisgefüge, Risiko und Lohn – und war zudem häufig indirekt. Wer einen Pflug besaß, konnte zu den Gewinnern gehören; wer nur einen Spaten sein Eigen nannte, stand eher aufseiten der Verlierer. Mehrheitlich aber besaß Europas Landbevölkerung keinen Pflug, sondern Sicheln, Sensen und Spaten, und deren Besitzer waren vielen Fährnissen ausgesetzt.