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Unterirdische Schätze

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Lucas Gassel war ein flämischer Maler und ein Zeitgenosse Brueghels. 1544 signierte er ein Bild, das unter dem Titel Landschaft mit Kupfermine bekannt wurde, obwohl es vermutlich die Herstellung von Roheisen im nahe gelegenen Lüttich zeigt. In hügeliger Landschaft breiten sich Industrieanlagen aus: Arbeitsstätten für die Metallproduktion, Schienen für Loren, Stolleneingänge und Flaschenzüge. Im Vordergrund werden Erzbrocken zusammengekehrt und auf Schubkarren geladen. Ein Arbeiter schleppt einen Tiegel auf dem Rücken, während ein anderer ein Metallstück aus einer Gussform hämmert. Deutlich zu sehen ist der mit Wasserkraft betriebene Hochofen, der all das ermöglicht. In der Bildmitte zeigt ein Arzt auf eine Schüssel mit Erbrochenem, das von einem Arbeiter stammt, der giftigen Dämpfen ausgesetzt war. Eine rot gekleidete Frau trägt einen Krug mit Wein, wobei die Art ihres Auftretens andeutet, dass sie den Arbeitern mehr bringt als nur flüssige Erfrischung. In einer angrenzenden Hügellandschaft ist dagegen die ländliche Ordnung noch intakt. Gassel schildert eine manichäische Welt zweideutiger Werte.

Diese Ambivalenz war weit verbreitet. Der Gelehrte Georgius Agricola (Georg Bauer), ein äußerst kundiger Mann auf dem Gebiet der Metalle und des Montanwesens, zählte die Mineralvorkommen zu den göttlichen Segnungen. Im Vergleich zum Feldbau erschien ihm der Bergbau riskanter, aber auch produktiver. Das Risiko trugen natürlich die Bergleute, die ihr Leben vielfach aufs Spiel setzten, sei es etwa durch Bergstürze oder das Einatmen verderblicher Grubendünste. Gefährlich war der Bergbau aber auch für die Umwelt, weil beispielsweise das Waschen der Erze die Bäche und Flüsse vergiftete. Agricola war dies durchaus bewusst. Andere Argumente der Gegner ließ er nicht gelten: „Da ferner die Bergleute meistenteils in Bergen graben, die gar keine Früchte tragen, sowie in Tälern, die von Finsternis umgeben sind, so verwüsten sie Felder entweder gar nicht oder nur in geringem Maße.“ Entscheidend war für ihn, dass der Gewinn aus einem Bergwerk den des besten Feldes um ein Vielfaches übertreffen konnte. „Es gibt Land, das … wenn man dort schürft, viel mehr Leute ernährt, als wenn es Früchte trüge.“

Doch hatte der Überfluss seinen Preis. Je mehr es von einer Sache gab, desto stärker sank sie im Wert. Das stellte die Vorstellung von einem den Dingen innewohnenden natürlichen Wert ebenso infrage wie die von einem gerechten Warenpreis. Es war ein „Paradox“, wie man damals Sichtweisen bezeichnete, die dem allgemeinen Verständnis zuwiderliefen. Wie der unorthodox denkende Emaillekünstler Bernard Palissy bemerkte: Die industrielle Fertigung von Glasknöpfen oder billigen Holztafeldrucken mit religiösen Motiven erschwerte den Kunsthandwerkern das Geschäft, weil der Markt mit diesen Produkten überschwemmt wurde. Sollten Alchemisten es tatsächlich schaffen, einfaches Metall in Gold zu verwandeln, „gäbe es davon solche Mengen, dass die Menschen es mit Verachtung straften und nicht bereit wären, es gegen Brot oder Wein einzutauschen.“

Für Palissy stammte der Wert aus der Kunst, mit der ein Handwerk (wie das seine) betrieben wurde, nicht aus der Natur. Sein Zeitgenosse Blaise de Vigenère wiederholte scholastische Argumente gegen den Wucher, indem er erklärte, Metalle seien „unfruchtbar“, weil sie aus sich selbst heraus „nichts produzierten“. Moralisten betrachteten die unterirdischen Schätze ebenfalls höchst kritisch: Sie förderten die Habgier, die Sucht nach Neuem und die Anbetung der Mode. Agricola hielt diese Ansichten für verfehlt: „Denn wenn die Metalle nicht wären, so würden die Menschen das abscheulichste und elendeste Leben unter wilden Tieren führen; sie würden zu den Eicheln und dem Waldobst zurückkehren …“ Die Gewinnung der für das Färben von Stoffen unverzichtbaren Alaune war ein weiterer erfolgreicher Zweig des Bergbaus. Alaun wurde aus Phokäa (auf einer Halbinsel am Golf von Smyrna) geliefert, bis die Osmanen in den 1450er-Jahren den Handel unterbanden. 1460 jedoch entdeckte man reiche Vorkommen bei Tolfa, nördlich von Rom, die im Tagebau gewonnen werden konnten. Der Papst begrüßte die Entdeckung als göttliche Vorsehung und erklärte, dass die Gewinne einem Kreuzzug zugutekommen sollten. Tatsächlich dienten sie zur Auffüllung der päpstlichen Schatzkammern und machten die Handelsbankiers reich (zunächst die Medici, dann, nach 1520, Agostini Chigi), die das Monopol besaßen. Chigi beschäftigte 700 Arbeiter, ließ für sie ein Dorf errichten (Allumiere) und kaufte Siena einen Hafen ab, um Export treiben zu können. Er finanzierte auch die Wahlen von Papst Julius II. und Papst Leo X. und lieh ihnen Geld für ihre militärischen Unternehmungen. Handelskapitalisten brauchten keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Reichtumsmehrung, Unternehmensführung oder politische Lobbyarbeit, aber ihre Pläne waren opportunistisch und kurzfristig ausgerichtet.

Zwischen 1500 und 1650 wuchs der Kohleabbau im Tal der Maas um das Vierfache. Schlackeberge traten in Konkurrenz zu Kirchtürmen. Um 1600 wurde Steinkohle (auf Englisch sea-coal) in erheblichen Mengen von Newcastle nach London und von dort weiter zu Häfen auf dem Kontinent transportiert. Auch Kupfer, Zinn, Blei, Arsen, Schwefel und Quecksilber wurden in bis dato unvorstellbaren Mengen abgebaut und verschifft, wobei die Suche nach Rohstoffen durch die Nachfrage von weiter entfernten Märkten angeheizt wurde. Gold und Silber aber waren die entscheidenden und alles verändernden Schätze dieser Epoche.

Das verlorene Paradies

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