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5. Adlige Beschäftigungen Ritter ohne Fortune

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Es war der Seinsgrund des Adels, das Christentum mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Die von der Kirche zu diesem Zweck gegründete Institution war das Rittertum. Im Zentrum stand das Ritual des Ritterschlags, womit der Ritter eine Weihe erhielt, die ihn zur Ausübung seiner Christenpflichten befähigte. Der aristokratisch-ritterliche Verhaltenskodex für Krieger, der durch Rituale und Etikette der Ritterorden vermittelt worden war, wurde im späteren Mittelalter – auch durch den Einfluss von Benimmbüchern und eine aufblühende, in der Umgangssprache verfasste Romanliteratur – in ein allgemeineres Ethos überführt. Schon um 1500 war die Klage verbreitet, das Rittertum sei in Verfall begriffen. Doch waren frühe gedruckte Ritterromane nach Art des Amadis de Gaule (ein französischer Abenteuerroman, der auf einer spanischen Geschichte beruhte) in Versen und Prosa immer noch sehr beliebt. Sie waren die Lieblingslektüre des jungen Philipps II., und als 1548 in Binche zu seinen Ehren die Artusgeschichte inszeniert wurde, stellte das die Verwirklichung seiner Träume von Ritterlichkeit dar. Auch weiterhin wurden Rituale wie Ritterschlag oder Turnier an den Fürstenhöfen gepflegt (eine Sitte, die erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts allmählich abklang). Das Fortleben solcher Bräuche ist ein Indiz dafür, dass das Rittertum für die adligen Eliten die Möglichkeit bot, sich von der zunehmend brutaler werdenden Welt des Kriegs in eine von so höfischen wie höflichen Rittern bevölkerte Scheinwelt zurückzuziehen, in der es weder lästige Geistliche noch protestierende Bauern gab.

Das Rittertum starb also nicht einfach dahin, sondern nahm eine andere Rolle an, bis es, wie das Christentum, ins Reich der Fantasie verbannt wurde. Es geriet zu einem höfischen Verhaltenskodex für den Adelsstand, in dem sich das Wesen der heranreifenden politischen Obrigkeit ebenso niederschlug wie Gehorsam und Dienstbereitschaft, die nun von den weltlichen Eliten erwartet wurden. Als militärisches Ethos hatte sich das Rittertum in Konflikten verflüchtigt, in denen es nicht länger darum ging, das Christentum gegen seine Feinde zu verteidigen, sondern eine seiner Versionen über die andere triumphieren zu lassen und gleichzeitig die dynastischen Ziele von Fürstenhäusern durchzusetzen. Auch der Adel veränderte sich in dieser Zeit grundlegend. Er bezeichnete nunmehr einen vererbbaren sozialen Status, der von militärischem Können abgekoppelt war. Im 16. und 17. Jahrhundert beanspruchten die Adligen zwar die Würde der Ritterschaft, doch nahm die Mehrheit von ihnen nie an einer Schlacht teil. Man trug ein Schwert, war Mitglied in einem Ritterorden und bediente sich der Symbole und Umgangsformen des Rittertums, um seine Adelswürde zu demonstrieren.

Beispielhaft dafür steht Giovanni della Casas Galateo, ein – wie der Untertitel sagt – Traktat über die guten Sitten. Torquato Tasso inszeniert, inmitten persönlicher und gegenreformatorischer Wirren, in seinem Versepos La Gerusalemme liberata (Das befreite Jerusalem, 1580) den Ersten Kreuzzug. In einer Welt moralischen Verfalls wurden Liebe, Heldentum und Selbstaufopferung zu Zeichen wahren Adels. Eine Szene aus dem Epos inspirierte Claudio Monteverdi zu seinem bahnbrechenden Duett im Madrigal Il combattimento di Tancredi e Clorinda (Der Kampf zwischen Tancredi und Clorinda, 1624). Luís de Camões’ Os Lusíadas (Die Lusiaden, 1572) benutzte Motive des Ritterromans, um die portugiesische Entdeckung der Meeresroute nach Indien zu feiern, während Edmund Spensers The Faerie Queene (Die Feenkönigin, 1590 und 1596) das Rittertum in eine Welt des magischen Realismus versetzte, worin die Zeitgenossen eine Verklärung der elisabethanischen Expeditionen nach Irland und den Niederlanden erblicken konnten.

Ritterromane waren beliebt, weil sie die Kluft zwischen Illusion und Realität der Adelswelt überbrückten. Allerdings zeigte ein Werk die Kluft in ihrer ganzen Breite und Tiefe. Miguel de Cervantes Saavedra erlebte selbst die Zerrissenheit eines Adligen, der ein Christentum verteidigen wollte, das es so nicht mehr gab. Darüber schrieb er später den Roman El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha (Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha, 1605/1615). Der Autor entstammte einer verarmten Adelsfamilie; sein Großvater väterlicherseits war Kaufmann in Córdoba gewesen, sein Vater Schatzverwalter der Inquisition und (dank aristokratischer Patronage) Richter an einem Berufungsgericht. Fragte man Zeitgenossen, ob die Cervantes von adligem Stand seien oder nicht, erhielt man zur Antwort, dass sie augenscheinlich niemals Steuern zahlten, dass sie sich in Seide kleideten und dass die Söhne „oftmals auf guten und starken Pferden beim Turnier anzutreffen“ seien. Als die Familie verarmte, versuchten die Söhne den Anschein aufrechtzuerhalten und zugleich in der Welt voranzukommen. Nach einer Zeit in Sevilla fasste Miguel den Plan, zu den spanischen Kolonien in Amerika aufzubrechen, wurde aber zurückgewiesen. Auf der Flucht vor der spanischen Justiz – Ende 1568 hatte er sich am spanischen Hof in Madrid duelliert – trat er in ausländische Dienste, zuerst bei einem Kardinal in Rom, dann in Neapel.

Wie viele seiner Zeitgenossen sah sich Cervantes vor die Alternative gestellt, ein Mann der Feder oder des Schwerts zu werden: „Denn wenn auch die Gelehrsamkeit mehr Familienmajorate hat als das Waffenwerk, so haben doch die durch den Wehrstand gegründeten vor denen, die der Gelehrtenstand gegründet, ein gewisses Etwas voraus, dazu eine Art Glanz, der ihnen den Vorzug vor allen verleiht.“ So nahm er denn das Schwert und ging mit seinem Bruder Rodrigo an Bord einer Galeone, um an der Schlacht von Lepanto (1571) teilzunehmen. Dabei wurde er an der Brust getroffen und seine linke Hand zerschmettert. Auf der Rückfahrt nach Spanien nahmen ihn 1575 Freibeuter gefangen, und er musste fünf Jahre in einem Gefängnis in Algier verbringen. Die Freibeuter verlangten von der Familie 5000 escudos Lösegeld. Seine Angehörigen verkauften ihre Habe, um das Geld bezahlen zu können. Sie baten auch den königlichen Rat um Hilfe, aber vergebens. Derweil unternahm Miguel mehrere vergebliche Ausbruchsversuche, hatte aber endlich Glück, als drei Brüder des Mercedarierordens in Algier ankamen. Sie waren von Valencia ausgesandt worden, um christliche Sklaven zu befreien, und konnten Miguel aus den Fängen eines für seine Grausamkeit bekannten griechischen Freibeuters loskaufen. Durch seine Verletzung war Cervantes nunmehr gezwungen, von der Feder zu leben. Er arbeitete zunächst – 1587/88 – als Munitionsmeister für die Armada, was zu einer Inhaftierung wegen Korruptionsverdachts führte. Sein Bruder blieb Soldat und war, bei schlechter Bezahlung, in Flandern tätig.

Im Gefängnis schrieb Miguel die ersten Kapitel dessen, was später der Roman über die Abenteuer von Alonso Quijano wurde, einem Landadligen aus einem Dorf in der Mancha: Die ausgiebige Lektüre von Ritterromanen hat die Fantasie des Helden so stark angeregt, dass er nicht mehr isst noch schläft. „Und so, vom wenigen Schlafen und vom vielen Lesen, trocknete ihm das Hirn so aus, dass er zuletzt den Verstand verlor.“ Er entschließt sich, ein fahrender Ritter zu werden. Alonso legt eine Rüstung an, nennt sich „Don Quijote“ und zieht auf einem mageren Pferd mit Namen „Rosinante“ und in Gesellschaft eines Kleinbauern namens Sancho Pansa als seinem Knappen auf und davon. Er nimmt als fahrender Ritter, der er zu sein glaubt, den Kampf gegen jedermann auf – und scheitert ein ums andere Mal. In einer berühmt gewordenen Szene erblickt er am Horizont ein paar Windmühlen, die zur Landschaft der Extremadura gehörten, aber auch symbolisch für die Rebellen in den Spanischen Niederlanden standen. „Jetzt leitet das Glück unsere Angelegenheiten besser, als wir es nur immer zu wünschen vermöchten“, sagt Don Quijote, „denn dort siehst du, Freund Pansa, wie dreißig Riesen oder noch etliche mehr zum Vorschein kommen; mit denen denke ich einen Kampf zu fechten … denn das ist ein redlicher Krieg, und es geschieht Gott ein großer Dienst damit, so böses Gezücht vom Angesicht der Erde wegzufegen.“ Als der praktisch veranlagte Sancho Pansa zu bedenken gibt, dass da gar keine Riesen seien, antwortet Don Quijote mit dem Optimismus dessen, der in seinen Illusionen gefangen ist: „Wohl ist’ ersichtlich, daß du in Sachen der Abenteuer nicht kundig bist.“ Sancho Pansas Replik erfolgt später im Buch: „… ich habe sagen hören, was man in der Welt Fortuna nennt, das sei ein betrunkenes und launisches und obendrein blindes Weib.“ Das Glück, zur damaligen Zeit dem Adel anzugehören, beruhte jedenfalls mehr auf Frau Fortuna als auf der Verteidigung des Christentums.

Das verlorene Paradies

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