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Das Weberschiffchen verbindet Stadt und Land

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So unscheinbar das Schiffchen eines Webstuhls aussehen mag, so wichtig war es doch für die Tuchindustrie: Das kleine Werkzeug zog das Schussgarn durch die vom Webrahmen gehaltenen Kettfäden und webte so das Tuch. Und die Textilindustrie verschaffte Tausenden von Leuten in Stadt und Land Arbeit. Häufig fand die Herstellung außerhalb der Stadt in Heimarbeit statt; sie bildete für viele bäuerliche Familien einen wichtigen Nebenerwerb. Doch waren es fast immer städtische Textilkaufleute, die den gesamten Herstellungsprozess und später den Verkauf kontrollierten. Auch fabrikähnliche Fertigungsstätten waren bereits bekannt – in Wirklichkeit handelte es sich freilich eher um eine besondere „Verdichtung“ von Webereien und Färbereien in Städten wie Venedig, Augsburg, Florenz, Norwich oder Armentières. Selbst nach einem Jahrhundert der Expansion in die Neue Welt blieben Tuche das Hauptprodukt für den europäischen Fernhandel. Bettwäsche, Tischtücher, Vorhänge, Handtücher und Servietten waren Indikatoren für den sozialen Status. Die Aussteuer der Braut kündete mit bestickten Roben, Schleiern und Chemisettes von der Familientugend. Fast alles, was transportiert werden musste (sogar Leichen für die Bestattung), benötigte Stoff. Die Königin der Stoffe war jedoch die Draperie, wie sie in den farbigen Ehrentüchern, Girlanden und Vorhängen hinter den Madonnen in der religiösen Kunst der Renaissance zur Schau gestellt wurde.

Wie diese Kunst war feine Draperie im frühen 16. Jahrhundert eine italienische Spezialität. Produktionszentren gab es in Mailand, Como, Bergamo, Pavia, Brescia und Florenz. Die Herstellung solcher Draperie war ein kostspieliges Unterfangen; die Kunden waren anspruchsvoll und die Qualitätskontrollen entscheidend für den Wert des Produkts. Insofern war die Produktion durch Konkurrenz und äußere Störungen stets gefährdet. Beides traf die italienischen Hersteller in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die italienischen Kriege legten die Tuchweberei in Brescia, Mailand, Florenz und andernorts zeitweise lahm. Einige der Zentren konnten danach wieder an die ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen, doch die Konkurrenz schlief nicht: Die Draperieherstellung der Venezianer blühte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und nördlich der Alpen verstand man in Gent, Brügge und Courtrai ebenfalls eine Menge von der Sache. Doch auch diesen Herstellern erwuchs Konkurrenz, diesmal durch eine „neue Draperie“.

Dabei handelte es sich nicht etwa um eine neue Herstellungstechnik, sondern um die Imitation von Wolle alter Qualität, die durch billigere Wolle ersetzt und mit anderen Stoffen wie Leinen oder Baumwolle verarbeitet wurde. Das Resultat war der leichtere, glänzendere und preiswertere Serge. Mit seiner Produktion verjüngten sich traditionelle Weberregionen in den südlichen Niederlanden wie Lille und sein Hinterland. Mit Serge wurden auch Orte reich, in denen keine altgediente Kaufmannsvereinigung den Weg verbaute: Tournai, Hondschoote, Bailleul, Valenciennes, Armentières. Weber waren starkem Druck ausgesetzt, wurden leicht Opfer von Wirtschaftskrisen und suchten ständig nach neuen Wegen, um sich und ihren Familien ein Auskommen zu verschaffen. Die Konkurrenz lag gleich jenseits der Nordsee – in der Kammgarnwolle aus East Anglia und den Broadcloth-Draperien aus Suffolk und Essex.

Der Großteil der Produktion fand auf dem Land statt. Hier wurden Stoffe für den Alltagsgebrauch gewebt. Leinen, Segeltuch, Wollmischgewebe – die Vielfalt war beträchtlich, die Qualität variabel und die Rolle der Kaufleute bei der Vermarktung von Region zu Region unterschiedlich. An vielen Orten – Genua, Lille, Ulm, Regensburg, Norwich – wurde die Tuchproduktion noch von selbstständigen Handwebern betrieben. Sie brachten ihre Stücke wöchentlich zum Markt und erwarben mit dem Erlös wiederum gesponnenes Garn als Arbeitsgrundlage für die nächsten Tage. So waren sie Woche um Woche vom Markt abhängig. Wenn sie ihre Waren nicht verkauften, konnten sie auch kein Material einkaufen, um mit der Arbeit fortzufahren. Sie hatten keinen Einfluss auf die Kosten für die Rohmaterialien oder den Preis für ihre Halbfertigwaren, und sie unterlagen strengen Qualitätskontrollen. In harten Zeiten neigten die Weber dazu, den Textilkaufleuten die Schuld an ihrer Misere zu geben. Wenn diese ihre Halbfertigwaren nicht kaufen wollten, wurden sie zur Zielscheibe der Kritik. Die Tuchherstellung intensivierte jedenfalls die Dynamik der Stadt-Land-Beziehungen und verschärfte innerstädtisch die sozialen Gegensätze. Einige wurden dadurch reich, andere verarmten. Weberei und gesellschaftlicher Protest gingen Hand in Hand.

Das verlorene Paradies

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