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II.Öffentlich-rechtliche Streitigkeit

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6Die VwGO gibt, obgleich sie diesen Begriff als Grundlage für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges benutzt, keine Definition der „öffentlich-rechtlichen Streitigkeit“. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs44 hat der Gesetzgeber bewusst da­rauf verzichtet, eine Bestimmung über den Begriff der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit aufzunehmen, es vielmehr Recht­spre­chung und Lehre überlassen, die begriffliche Klärung vorzunehmen – weil dem Gesetzgeber klar war, wie schwierig die Abgrenzung im Einzelfall ist. Das Gesetz hat auch die Zweiteilung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten in Anfechtungssachen und andere Streitigkeiten des öffentlichen Rechts, wie die Verwaltungsgerichtsgesetze der Länder sie vorsahen, nicht übernommen. Eine für alle Fallgestaltungen und Zweifelsfälle tragfähige Abgrenzungsformel ist aber bisher noch nicht gefunden worden45, obgleich man sich bereits seit der Antike mit dieser Frage beschäftigt hat (vgl. Rn. 8). Die Vielschichtigkeit und der stete gesellschaftliche Wandel, den die Rechtsordnung reflektiert, wird dies auch nicht zulassen. Die wichtigsten Abgrenzungstheorien, die entwickelt worden sind, sind die Interessentheorie46, die formale Subjektstheorie47, die Subordinationstheorie48 und die Sonderrechts49– bzw. modifizierte Subjektstheorie50. In Bezug auf die Abgrenzung bestimmter komplizierter Fallgestaltungen haben sie jeweils Vor- und Nachteile, dies wird nachstehend nur soweit erläutert, als es praxisrelevant ist.

Eine Streitigkeit liegt dann vor, wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen Rechtsträgern vorliegt, die einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. Das gilt auch für das Sonderstatusverhältnis, selbst wenn die Meinungsverschiedenheit das Betriebsverhältnis betrifft. Über die Zulässigkeit eines Antrags sagt das allerdings noch nichts aus. Gnadenentscheidungen können in diesem Sinne zwar auch zu Meinungsverschiedenheiten führen; die Rechtsqualität ist zweifelhaft und sie sind nicht justiziabel. Das ist eine Frage des materiellen Rechts51.

Mit der Formulierung „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ stellt das Gesetz auf die Natur des Rechtsverhältnisses ab, und zwar auf die wirkliche Natur des im Klagevorbringen geltend gemachten Anspruchs, nicht auf die vom Kläger behauptete. Dies ist auf der Grundlage des Klagebegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen52, daneben aber auch auf die begehrte Rechtsfolge53. Ob eine öffentlich-rechtliche oder bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, bestimmt sich nach dem Charakter des Rechtsverhältnisses, aus dem der streitige Anspruch hergeleitet wird54, d. h. nach der Rechtsnatur der Rechtsnormen, die das Rechtsverhältnis prägen, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird55. Das entspricht auch der Rechtsprechung des BGH56, wonach eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vorliegt, wenn an einem streitigen ‚Rechtsverhältnis ausschließlich Privatrechtssubjekte beteiligt sind, ohne dass eine Partei mit öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnissen ausgestattet und entsprechend aufgetreten ist. Bei einem negativen rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt bestimmt dasjenige oberste Bundesgericht, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angerufen wird, das zuständige Gericht57. Welcher Rechtsweg zulässig ist, richtet sich allein nach dem Verfahrensgegenstand, nicht aber nach den Gründen, die für die Rechtswidrigkeit eines Bescheids angeführt werden58. Eine Klage, die auf das Gebieten oder Verbieten eines hoheitlichen Verhaltens gerichtet ist, kann daher nur eine Streitigkeit des öffentlichen Rechts begründen, z. B. auf den Erlass einer untergesetzlichen Rechtsnorm59. Seiner Natur nach kann das zum Streitfall führende öffentlich-rechtliche Verhältnis sowohl auf einem Über- und Unterordnungsverhältnis wie auf einem Gleichordnungsverhältnis der Beteiligten beruhen60. Werden aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt mehrere Ansprüche geltend gemacht, die teilweise dem einen, teilweise einem anderen Rechtsweg zuzuordnen sind, verbleibt es bei der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts61.

7Die Ausgestaltung der Klagetypen in der VwGO (vgl. § 42 Rn. 1) berücksichtigt noch den Unterschied von Subordinations- und Gleichordnungsverhältnis. Bei der Anfechtungs- und bei der Verpflichtungsklage sowie bei der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines VA, liegt der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit stets ein Subordinationsverhältnis zugrunde, bei der Leistungsklage und den sonstigen Feststellungsklagen dagegen regelmäßig ein Gleichordnungsverhältnis. Für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges hat die Feststellung, dass kein VA vorliegt, nur dann Bedeutung, wenn ausgeschlossen ist, dass die Streitigkeit aus anderen Gründen öffentlich-rechtlich ist. Es ist daher stets zu prüfen, ob die Streitigkeit nicht, ohne dass ein VA vorliegt, dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist62. Die Grenzen zwischen den beiden Bereichen der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten haben sich nicht nur dadurch verwischt, dass die Feststellungsklage auch im Subordinationsverhältnis zulässig ist (vgl. § 43 Rn. 10), sondern auch, weil der öffentlich-rechtliche Vertrag sich auf Gegenstände beziehen kann, die die Behörde befugt ist, durch VA zu regeln (vgl. Rn. 13; zum Vergleich § 106 Rn. 4).

8Ein Über- und Unterordnungsverhältnis ist öffentlich-rechtlich, wenn die Überordnung der öffentlichen Gewalt über den Einzelnen diese befähigt, einseitig in den Rechtsbereich des Einzelnen einzugreifen (Subordinationstheorie63). Ein Gleichordnungsverhältnis ist öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen überwiegend den Interessen der Gesamtheit dienen (Interessentheorie64). Da die Umschreibung des Begriffes der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Wesentlichen bei der Abgrenzung zur bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit entwickelt worden ist, bevor es für die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eine Generalklausel gab, ist, besonders beim Vorliegen eines Gleichordnungsverhältnisses, im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob die Ergebnisse früherer Recht­spre­chung übernommen werden können65. Angesichts der modernen Entwicklung66 wird die Interessentheorie singulär kaum noch vertreten67. Die Abgrenzungstheorien sind sehr vielfältig und kaum mehr überschaubar, wobei als weitere wichtige die (formale und materielle) Subjekttheorie, die da­rauf abstellt, ob eine öffentlich-rechtlich verfasste juristische Person gehandelt hat (für die Abgrenzung im EU-Recht gilt die Subjekttheorie als besonders geeignet) und die Sonderrechtstheorie, die ein Vorverständnis über die Art des Sonderrechts voraussetzt, zu nennen sind. Die Gerichte haben sich jedoch bisher nie festgelegt und tendieren eher zu kasuistisch-pragmatischen Lösungen68.

9Im Gleichordnungsverhältnis können nicht nur öffentlich-rechtliche Ansprüche aus Vertrag bestehen, sondern auch aus Gesetz, wie z. B. aus öffentlichem Eigentum69 oder aus der Öffentlichkeit von Sachen70, auch aus dem Namensrecht einer Gemeinde71, wobei das BVerwG zu Recht auch den Streit um die Kos­ten der Umbenennung dem öffentlichen Recht zurechnet72.

10Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über oder im Zusammenhang mit Maßnahmen und Anordnungen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse73. Öffentlich-rechtlich ist auch der Anspruch gegen eine Körperschaft auf Widerruf oder Unterlassen einer ehrkränkenden dienstlichen Äußerung im Bereich der Hoheitsverwaltung74, soweit nicht über § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG, der als „sonstige Maßnahme“ auch schlichtes Verwaltungshandeln erfasst75, die Zivilgerichte zuständig sind76. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht gegeben für Unterlassungsansprüche aus dem Persönlichkeitsrecht gegen Sendungen einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt77, ebenso nicht bei Beleidigungen zwischen Gemeinderatsmitgliedern78. Öffentlich-rechtlich ist der Anspruch des Datenschutzbeauftragten gegen ein Ministerium auf Auskunft79, ebenso der Anspruch auf Berichtigung eines amtsärztlichen Gutachtens80 oder der Beseitigungsanspruch bei widerrechtlichen Eintragungen81, der Anspruch auf Unterlassen der Vorbereitung einer Stellungnahme zur therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels durch die kassenärztliche Bundesvereinigung82 oder auf Unterlassen der Veröffentlichung von Arzneimittel-Transparenzlisten durch die vom BMJFG berufene Transparenzkommission83. Eine Stelle öffentlicher Verwaltung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG kann sowohl eine Stelle sein, die öffentlich-rechtlich (hoheitlich oder schlicht hoheitlich) handelt, als auch eine Stelle, die privatrechtlich (fiskalisch oder verwaltungsprivatrechtlich) handelt. Der Begriff der öffentlichen Verwaltung wird dabei umfassend und nur in Abgrenzung zu Recht­spre­chung und Recht­set­zung verstanden84. Eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Krankenhausentgeltgesetz ist auf dem Verwaltungsrechtsweg anzufechten85. Kein Verwaltungsrechtsweg dagegen für Klage gegen Behörde auf Rücknahme eines Strafantrages86. Das Flächenvergabeverfahren nach § 3 AusglLeistG ist zivilrechtlich ausgestaltet und ein Rechtsstreit da­rü­ber keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit87.

Der gegen den Beamten selbst gerichtete Anspruch auf Widerruf ist privatrechtlich. Der Anspruch des Dozenten auf Gewährung von Schutz durch die Hochschule gegen Störungen des Lehrbetriebes ist öffentlich-rechtlich88, während der aus dem Persönlichkeitsrecht des Dozenten gegen den Studenten gerichtete Anspruch auf Unterlassung der Störungen dem Privatrecht zuzurechnen ist89. Bethge90 spricht sich zu Recht für einen öffentlich-rechtlichen Anspruch der öffentlichen Hand auf Funktionswahrung oder Funktionsschutz aus91.

10aDer Verwaltungsrechtsweg ist gegeben für die Kommunalverfassungsstreitigkeiten92 und Organstreitigkeiten anderer öffentlich-rechtlicher juristischer Personen93. Kassel94, Koblenz95 und Münster96 haben dies zutreffend auch für den Streit um einen Fraktionsausschluss im Gemeinderat bejaht97.

11Der öffentlich-rechtliche Vertrag ist in den §§ 54 ff. VwVfG und in den entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder geregelt98. Er kann zur Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts als koordinationsrechtlicher Vertrag zwischen juristischen Personen des Öffentlichen Rechts, aber auch zwischen Privatpersonen geschlossen werden99. Ob der Vertrag öffentlich-rechtlich ist, bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzuordnen ist, wobei zur Präzisierung auch hier diverse Theorien vertreten werden (Gegenstands-, Subjekttheorie)100, dabei kann der Gegenstand des Vertrages auch nach dem mit der Vereinbarung verfolgten Zweck bestimmt werden101. Nach der wenig erhellenden Definition des BVerwG ist ein Vertrag dem öffentlichen Recht zuzordnen, wenn sein Gegenstand sich auf von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich geregelte Sachverhalte bezieht, oder, wenn eine gesetzliche Verordnung des Vertragsgegenstandes fehlt, wenn er nach seinem Zweck in enger, untrennbarer Beziehung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben steht102. Zum Rechtsweg bei Vergabeentscheidungen vgl. Rn. 50. Öffentlich-rechtlich103 ist danach der Unternehmervertrag über den Betrieb einer Tierkörperbeseitigungsanlage104, ebenso sind es die Rechtsbeziehungen zwischen einer übergemeindlichen Versorgungskasse und den ihr angehörenden Gemeinden und öffentlichen Sparkassen105, auch Verträge der Gemeinden und Kreise mit Berufsschulträgern für die Erfüllung der Berufsschulpflicht106; Pflegevereinbarungen107; Absprachen einer Gemeinde mit der Bahn über die Einrichtung eines Haltepunktes108; Erschließungsverträge, auch bei Abtretung von Ansprüchen an juristische Person des Privatrechts109; eine Vereinbarung zwischen dem Magistrat einer Stadt und den künstlerischen Mitarbeitern des städtischen Schauspiels über Mitbestimmungsrechte bei der Auswahl der künstlerischen Leitung des Schauspiels110, auch für Streitigkeiten zwischen Bieter und Gemeinde um Vergabe einer Dienstleistungskonzession111, oder eine Vergabeentscheidung bei der Investorenauswahl durch Treuhänderin der Gemeinde112. Zur Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag vgl. BVerw­GE 98, 58. Durch § 11 BauGB ist mit den städtebaulichen Verträgen ein weites Feld für öffentlich-rechtliche Verträge zur Neuordnung von Grundstücksverhältnissen, im Vorfeld oder im Zusammenhang mit Bauleitplanverfahren und bei Folgekostenverträgen eröffnet worden113; zu vergleichbaren Entwicklungen im Straßenbau vgl. Wahl DVBl. 1993, 517. Das BVerwG hat es für zulässig gehalten, vertraglich die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in Abweichung von Art. 14 Abs. 1 GG zu begründen114. Zum Vertrag zwischen Gemeinde und staatlicher Naturschutzbehörde vgl. BVerw­GE 104, 353; allgemein zu öffentlich-rechtlichen Verträgen im Natur- und Landschaftsschutzrecht vgl. Di Fabio DVBl. 1990, 338. Zum inzwischen weiten Feld der Anwendung öffentlich-rechtlicher Verträge vgl. die Schrifttumsnachweise zu § 54 VwVfG bei Kopp/Ramsauer.

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