Читать книгу Verwaltungsgerichtsordnung - Martin Redeker - Страница 145
Оглавление6Sofern ein Vorverfahren durchgeführt wird, gibt es eigentlich zwei Streitgegenstände, denn nicht nur der Ausgangs-VA ist ein VA, sondern auch der Widerspruchsbescheid. Aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 ergibt sich prozessual, dass zwar der Klage der ursprüngliche Bescheid zugrunde zu legen ist. Allerdings mit dem Inhalt und der Begründung, die der VA durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Beides zusammen bestimmt die Beschwer, die mit der Anfechtungsklage beseitigt werden soll. Gibt es mit dem Widerspruchsbescheid eine zusätzliche selbständige (§ 79 Abs. 2) oder neue erstmalige Beschwer (§ 79 Abs. 1 Nr. 2), kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein.
7Liegt ein unanfechtbarer VA vor, tritt die Behörde jedoch in ein erneutes Entscheidungsverfahren ein und erlässt einen neuen VA, einen Zweitbescheid, so ist damit der Klageweg, ggf. nach Durchführung eines (erneuten) Widerspruchsverfahrens, eröffnet. Hierfür reicht eine entsprechende Akzentverschiebung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aus. Mitunter ist die Abgrenzung zum lediglich wiederholenden Bescheid schwierig, wofür auch eine Rechtsmittelbelehrung ggf. kein Abgrenzungskriterium bildet24. Der wiederholende VA eröffnet nicht den Rechtsweg über den ursprünglichen Streitgegenstand (dem steht § 121 dagegen, vgl. dort Rn. 5 f.); möglicherweise soll aber damit der Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens entschieden werden; dagegen kann ggf. eine Verpflichtungsklage angestrengt werden25.
8Abweichungen von den allgemeinen Regeln, wann ein VA vorliegt, gelten, wenn der Kläger nicht in dem üblichen Bürger-Staat-Verhältnis, sondern in einem besonderen Verhältnis zum Staat steht, heute überwiegend als Sonderstatusverhältnis bezeichnet26, wie z. B. das Beamten-, Wehrdienst- oder Zivildienstleistendenverhältnis, die Schul- oder Universitätszugehörigkeit oder die Anstaltsunterworfenheit. Das Handeln der Behörde im Sonderstatusverhältnis ist hoheitlich, erlangt die Qualifikation als VA aber nur insoweit, als es über den Bereich der dem Pflichtenverhältnis eigenen Gehorsamspflicht hinausreicht und in die persönliche Rechtssphäre des Pflichtunterworfenen eingreift27. Das bedeutet, dass mitunter die VA-Qualität fehlt, auf Grund der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG die Maßnahme aber dennoch justiziabel ist28. Innerdienstliche Weisungen haben regelmäßig keine VA-Qualität. Aufsichtsmaßnahmen der Rechtsaufsicht schon, da sie Außenwirkung haben29. Fachaufsichtliche Weisungen sind Maßnahmen des innerstaatlichen Instanzenzuges und haben keine VA-Qualität, auch wenn sie im übertragenen Wirkungskreis von einer staatlichen Stelle an eine Gemeinde erteilt werden30; eine Ausnahme sieht das BVerwG31 ausnahmsweise bei einer fachaufsichtlichen Weisung im Straßenverkehrsrecht nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StVO.
9Droht die Behörde unter Benennung eines Zwangsmittels an, den VA zu vollstrecken, stellt die Androhung einen VA dar, wenn dies Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckung ist. Dies ist nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes und der Länder bei der Vollstreckung von VA, die auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichtet sind, regelmäßig der Fall. Bei der Vollstreckung von auf eine Geldforderung gerichteten VA jedoch nicht32.
10In verschiedenen Konstellationen müssen am Zustandekommen eines VA mehrere Behörden mitwirken (mehrstufige VA), wobei es sich bei diesen Mitwirkungsmaßnahmen des Einvernehmens (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB)33, der Zustimmung (§ 12 Abs. 2 LuftVG)34, des Benehmens (§ 16 Abs. 4 Satz 1 GenTG) oder der Anhörung (§ 37 Abs. 2 BauGB) nach Außen hin um Verwaltungsinterna handelt, so dass eine – isolierte – Anfechtung dieser Mitwirkungsmaßnahmen nicht zulässig ist35.
11Wenn die Behörde sich lediglich mit Vorbereitungshandlungen beschäftigt, fehlt es am Regelungscharakter und es liegt kein VA vor36. In Betracht kommen Meinungsäußerungen, Berichte, Hinweise, Auskünfte etc. Dabei ist allerdings im Einzelfall genau zu betrachten, um was für eine Maßnahme es sich handelt, weil z. B. spezialgesetzlich vorgeschrieben ist37, dass eine Auskunft bereits einen VA darstellt.
12Bei Prüfungsleistungen kommt es ebenfalls sehr differenziert auf den Einzelfall an. Wenn es sich bei der Prüfung um unselbständige Vorbereitungs- oder Teilhandlungen handelt, die lediglich Grundlage für eine spätere Gesamtprüfungsentscheidung bilden, sind die Einzelnoten oder Einzelprüfungen keine VA38. Im Einzelfall kann nach der Rechtsprechung aber schon eine Einzelnote selbst angreifbar sein39.
3.Abgrenzung Verpflichtungsklage
13Die Abgrenzung der Klagearten ist eigentlich einfach, da die unterschiedlich ausgedrückten Klagebegehren die Klageart bestimmen40. In bestimmten Fallgruppen bereitet die Abgrenzung jedoch Schwierigkeiten. Es sind dies Klagen gegen belastende Neben- oder Inhaltsbestimmungen, wegen unzureichender Begründung, im Zusammenhang mit drittwirkenden VA sowie im Konkurrenzverhältnis und bei kontingentierten Rechten41. Aus § 113 Abs. 1 ergibt sich, dass die Anfechtungsklage darauf abzielt, den streitgegenständlichen VA durch das Gericht aufheben zu lassen (vgl. § 113 Rn. 8). Anders als bei der Verpflichtungsklage, bei der die Behörde als Beklagte bei obsiegender Klage selbst tätig werden und den beantragten VA erlassen muss, gibt bei der Anfechtungsklage das Gericht den VA selbst vor („ipso jure“). Die Entscheidung des Gerichts tritt also an die Stelle der Entscheidung der Behörde. Ausnahmen davon sind in § 113 Abs. 2 geregelt. Damit wird dem Kläger der mühsame Umweg über die Behörde erspart, für ihn ist es effektiver, dass er mit der obsiegenden Entscheidung des Gerichts das bekommt, was er haben wollte. Dieser Umstand ist für die Abgrenzung zur Verpflichtungsklage bedeutend. Daraus folgt, dass die Anfechtungsklage da ihre Grenze findet, wo der Kläger mehr möchte, als nur die Entscheidung der Behörde aufheben zu lassen. In diesem Fall ist die Anfechtungsklage nicht statthaft42. Das ist z. B. der Fall, wenn der Kläger den VA nur zum Teil angreift und teilweise schlicht die Verpflichtung der Behörde festgestellt haben möchte, eine bestimmte, ihm günstigere Entscheidung treffen zu sollen. Das spielt eine Rolle vor allem bei der Anfechtung von einzelnen Bestimmungen des VA, seien es Haupt- oder Nebenbestimmungen, oder wenn zweifelhaft ist, ob auf Suspendierung des belastenden, drittbegünstigenden VA oder auf schützende Nebenbestimmungen zu klagen ist. Die richtige Klageart zu ermitteln fällt also bei bipolaren Rechtsverhältnissen oder dann, wenn es um Nebenbestimmungen eines „Haupt-VA“ geht, bisweilen schwer43. In der Abgrenzung bieten Rechtsprechung und Literatur ein uneinheitliches Bild, wobei die Abgrenzung jedoch durch eine präzise und dogmatisch einwandfreie Aufarbeitung der jeweiligen Fallkonstellation zweifelsfrei erbracht werden kann44. Häufig geht es um komplexe Fragen des materiellen Rechts und des Verwaltungsverfahrensrechts. Der Schwierigkeitsgrad prozessualer Probleme ist fast reziprok: es ist eigentlich unproblematisch, da das Gericht regelmäßig durch Hinweise auf eine sachdienliche Antragstellung, § 86 Abs. 3, oder durch Auslegung des gestellten Antrags, § 88, das Problem praxisnah und -gerecht löst45. Dennoch wird im Folgenden ein kurzer Überblick über den aktuellen Streitstand dargestellt.
14In Betracht kommt eine Teilanfechtung. Das setzt voraus, dass der VA teilbar ist, was sich als generelle Möglichkeit aus § 113 Abs. 1 Satz 1 schlussfolgern lässt („soweit der VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist“ – vgl. § 113 Rn. 13). Teilanfechtungen sind generell gegenüber allen objektiv abgrenzbaren und bezeichenbaren Teilen eines VA, die auch als gesonderter Streitgegenstand bestehen könnten und deshalb einzeln aufhebbar sind, zulässig46. Ob allerdings ein in diesem Sinne abtrennbarer Teil vorliegt, bedarf genauer Prüfung. Einzelne unselbständige Teile dürfen nicht angefochten werden.
15Besonders bei Allgemeinverfügungen muss differenziert betrachtet werden. Wenn die Allgemeinverfügung lediglich eine Bündelung von VA an eine Vielzahl von Adressaten darstellt, ist der Kläger nur berechtigt, gegen die ihn betreffende Regelung vorzugehen. Anders stellt es sich dann dar, wenn sich die Betroffenheit des Klägers gerade daraus ergibt, dass andere eine Entscheidung erhalten haben47.
16Gleiches gilt für die (isolierte) Anfechtung von Nebenbestimmungen des VA. Dabei muss man unterscheiden zwischen einer Nebenbestimmung zum VA und der Inhaltsbestimmung des VA. Die Nebenbestimmung enthält eine zusätzliche Regelung zum inhaltlich hinreichend bestimmten VA. Eine Inhaltsbestimmung legt Gegenstand und Grenzen des VA fest, ist also Teil des Inhalts des VA selbst48. Da auch die Nomenklatur uneinheitlich ist (Nebenbestimmung als Oberbegriff für Auflage und sonstige Nebenbestimmung oder als aliud i. S. v. § 36 Abs. 1 und Abs. 2 VwVfG, Auflage, trennbar, und modifizierende Auflage, untrennbar), muss bei allen angebotenen Lösungen beachtet werden, wie die Begrifflichkeiten definiert werden.
17Die isolierte Anfechtung einer Nebenbestimmung ist nach der aktuellen Rechtsprechung des BVerwG generell zulässig, weil nämlich die Frage der Teilbarkeit keine solche der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit ist49. Das führt dann ggf. dazu, dass eine zulässige Anfechtungsklage sich als unbegründet erweist, weil der VA eben nicht teilbar ist. Es stehen in Literatur und Rechtsprechung neben dieser Auffassung des BVerwG verschiedene Lösungsmodelle zur Verfügung (vgl. § 80 Rn. 8). So kann man darauf abstellen, ob zwischen Haupt- und Nebenregelung ein untrennbarer Zusammenhang besteht50, weil die Behörde den VA ohne die Nebenbestimmung nicht erlassen hätte. Oder man kann darauf abstellen, dass bei Teilaufhebung der Rest des VA rechtmäßig bleiben muss. Oder auf einen untrennbaren inneren Zusammenhang abstellen. Auf den Behördenwillen kommt es aber nicht an. Bei genauerer Betrachtung wird auch heute noch danach differenziert, was für ein Zusammenspiel sich aus § 36 VwVfG von VA und seinen Nebenbestimmungen ergibt51. Für den Praktiker ergibt sich aus diesem umfangreich geführten Streit die Konsequenz, dass überwiegende Gründe dafür sprechen, von der prinzipiell möglichen isolierten Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen auszugehen52. Eine Ausnahme stellt nur die modifizierende Auflage dar, dazu nachstehend Rn. 18.
18Auflagen sollen stets abtrennbar sein, da nicht Teil des VA. Da es auf den vorstehend zitierten Behördenwillen nicht ankommt, ist die Trennbarkeit stets gegeben; diese kann die Behörde nur verhindern, wenn sie die Auflage objektiviert, indem sie sie als Bedingung untrennbar mit dem (Haupt-) VA verbindet53. Anders zu beurteilen ist die isolierte Anfechtung von so genannten modifizierenden Auflagen. Da die Auflagen Teil des Regelungsgegenstandes als solches sind, können sie nach st. Rspr. des BVerwG nicht selbständig angefochten werden54. Der Kläger muss statt einer Anfechtungsklage gegen die ihm unliebsamen Teile des VA eine Verpflichtungsklage auf Erteilung des VA ohne die ihn störenden modifizierenden Auflagen erheben.
19Streitig ist, ob eine isolierte Anfechtungsklage zulässig ist55. Das bezieht sich auf Fälle, in welchen der Kläger bei der Behörde einen ihn begünstigenden Genehmigungsantrag stellt, die Behörde diesen Antrag dann ablehnt. Beispiel: Der Kläger hat ohne die erforderliche Genehmigung auf seinem Grundstück eine Garage gebaut. Nachdem die nachträgliche Genehmigung versagt wird, klagt er dagegen (die Behörde ist im Übrigen auch gegen die anderen Schwarzbaugaragen in dem Viertel nicht vorgegangen. Oder: von der Politik wird eine Novelle der LBauO in Aussicht gestellt, die das Errichten von Garagen baugenehmigungsfrei stellt). Da der besagte Versagungsbescheid einen VA darstellt, ist die isolierte Anfechtungsklage zulässig, zumal ein bestandskräftiger VA Rechtswirkungen entfaltet, weshalb ein generelles Rechtsschutzbedürfnis daran besteht, ihn aus der Welt zu schaffen. Im Beispielsfall verbessert sich die Situation des Klägers, weil er sich nicht mehr auf das Abwarten der Novelle zur LBauO verweisen lassen muss. Außerdem stellt ein bestandskräftiger, belastender VA einen Makel dar, der am Grundstück haftet. Das wird relevant, wenn der Kläger das Grundstück verkaufen möchte. Auch das BVerwG anerkennt die isolierte Anfechtungsklage56, sofern ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis vorliegt57. Deshalb wird auch davon gesprochen, die isolierte Anfechtungsklage sei ausnahmsweise zulässig58. Das ist dann jedoch mehr eine Frage des Blickwinkels, was in den wenigen denkbaren Fallkonstellationen noch eine Ausnahme darstellt. Dabei muss sich die isolierte Anfechtungsklage unter dem Gesichtspunkt der Spezialität gegen die Verpflichtungsklage zur Wehr setzen. Es kommt auf das Begehren des Klägers an. Wenn er wirklich nur eine Beseitigung des belastenden VA zu erreichen sucht, benötigt er keine Verpflichtungsklage. Denn dann sind einfach alle Tatbestandsvoraussetzungen der Anfechtungsklage schlicht erfüllt, so dass die Verpflichtungsklage die Anfechtungsklage nicht verdrängen kann. Außerdem hat der Kläger es in der Hand, bewusst diesen Weg zu wählen, was die VwGO nicht durch das Instrument der Verpflichtungsklage abschneiden will59.
4.Klageantrag
20Aus § 113 Abs. 1 ergibt sich, wie der Klageantrag für eine Anfechtungsklage zu stellen ist. Danach ist zu beantragen, dass der streitgegenständliche VA vollständig oder teilweise aufzuheben ist. Klageanträge werden regelmäßig so gestellt, dass der streitgegenständliche VA „in Gestalt des Widerspruchsbescheids“ angegriffen wird. Das ist jedoch genau betrachtet tautologisch, denn es steht so bereits im Gesetz (§ 79 Abs. 1 Nr. 1; vgl. Rn. 6)60.
5.Sachurteilsvoraussetzungen
21Zusätzlich zu den in § 40 genannten Sachurteilsvoraussetzungen ist zu beachten, dass nach Maßgabe der §§ 68 ff. die VwGO davon ausgeht, dass grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen ist61. Diese Grundregel ist jedoch im Rahmen der Debatte um Verschlankungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten durch nur noch als völlig unübersichtlich zu bezeichnendes Landesrecht erheblich aufgeweicht worden, indem drei Varianten zur Verfügung stehen: ja, durchzuführen, nein, nicht durchzuführen und drittens: auf Wunsch des Antragstellers durchzuführen. Aufgrund der intensiven Gesetzgebungstätigkeit der Länder ist der aktuelle Sachstand in einem Kommentar, der nicht als Loseblattsammlung erscheint, bundesweit nicht mehr darstellbar. Es kann deshalb nur auf diesen zu beachtenden Umstand hingewiesen werden (vgl. näher § 68 Rn. 11), dass eine Prüfung sich nicht auf das Bundesrecht beschränken darf.
22Hinzu kommen die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 und die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 (Rn. 43 ff.). Für die Beurteilung dieser Sachurteilsvoraussetzungen sind maßgebend die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung62.