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III.Allgemeine Leistungsklage

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1.Existenz allgemeine Leistungsklage

32Es besteht Einigkeit in Recht­spre­chung und Literatur77 dahingehend, dass die allgemeine Leistungsklage eine eigenständige Klageart darstellt. Auch wenn sie nicht explizit im Gesetz geregelt ist78, so wird ihre Existenz in der VwGO ausdrücklich oder erkennbar vorausgesetzt (vgl. §§ 43 Abs. 2 Satz 2, 111 Satz 1, 113 Abs. 4, 169 Abs. 2, 191 Abs. 1)79. Im Übrigen bedarf es im Rahmen der Generalklausel des § 40 zur Ge­währ­leis­tung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG der allgemeinen Leistungsklage. Mit ihr – und nur mit ihr – sind Ansprüche verfolgbar, die auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen der Behörde gerichtet sind, wo es also wegen des Fehlens eines VA an einem erforderlichen Tatbestandsmerkmal der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage fehlt. Stets zu beachten ist dabei jedoch, ob nicht auf Grund von § 44a aus den dort genannten Gründen eine allgemeine Leistungsklage ausscheidet.

2.Verhältnis allgemeine Leistungsklage – andere Klagearten

33Die allgemeine Leistungsklage ist gegenüber der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage subsidiär80. Zur Feststellungsklage ist das Verhältnis nicht eindeutig festgelegt, so dass von einem Wahlrecht zwischen allgemeiner Leistungsklage und Feststellungsklage auszugehen ist81. Der Kläger kann sich ausschließlich mit der Anfechtungsklage wehren, wenn er sich durch einen VA beschwert fühlt. Ihm steht nur die Verpflichtungsklage zur Verfügung, wenn die Behörde über die Gewährung bzw. Versagung der beantragten Leis­tung durch VA entscheidet. Im Verhältnis zur Verpflichtungsklage wird der Anwendungsbereich der allgemeinen Leistungsklage negativ definiert, sie steht immer dann zur Verfügung, wenn mangels VA keine Verpflichtungsklage möglich ist82. Beispielhaft ist hier die Klage auf Ausgleich für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit eines Beamten genannt83. Wenn der anzugreifende Realakt aber Vollzug eines noch bestehenden VA ist, wird die Leistungsklage ebenfalls verdrängt84. Beispielsweise Maßnahmen, die sich aus der Vollziehung eines Planfeststellungsbeschlusses ergeben. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn der VA aufgehoben worden ist und der Realakt bestehen bleibt oder noch ausgeführt wird. Auch die behördliche Ablehnung der Erfüllung des Anspruchs auf Beseitigung des Realakts ist kein VA, weshalb die Leistungsklage die angemessene Klageart darstellt85. Das ist allerdings strittig, denn wenn man davon ausgeht, dass die Verwaltung als vollziehende Gewalt (im Über- Unterordnungsverhältnis Bürger – Staat) auch ohne gesetzliche Grundlage einen VA zur Aufhebung erlassen könne, dann ist wiederum eine die Leistungsklage verdrängende Verpflichtungsklage zulässig86. Auf Grund des Gesetzesvorbehalts ist diese Ansicht jedoch abzulehnen. Abzulehnen ist auch die Ansicht, dass die Entscheidung der Behörde da­rü­ber, ob sie den Realakt vornehme oder nicht, ein VA sei87 und damit die Leistungsklage durch die Verpflichtungsklage verdrängt wird. Der bloße Umstand, dass die Behörde da­rü­ber nachzudenken hat, ob der geltend gemachte Anspruch besteht oder nicht, erfüllt weder die Tatbestandsmerkmale des § 35 VwVfG, noch ist „Nachdenken“ eine Ermächtigungsgrundlage für einen VA88.

3.Vornahmeklage

34Der häufigste Fall einer Leistungsklage ist derjenige einer Vornahmeklage, bei der also entweder auf schlichtes Verwaltungshandeln geklagt wird, auf Norm­er­lass oder auf die Verpflichtung zur Aufhebung einer Norm. Im Prinzip können alle Formen des Verwaltungshandelns Gegenstand der Leistungsklage sein, allem voran Realakte, aber auch verwaltungsrechtliche Willenserklärungen. Dazu zählen das Recht auf Beantwortung einer Petition, beamtenrechtliche Fragen (Umsetzung, Übertragung Dienstposten ohne Höhergruppierung), Schulorganisationsentscheidungen wie Auflösung einer Schulklasse oder Beendigung eines Schulversuchs, Folgen schlicht rechtswidrigen Verwaltungshandelns wie amtliche Äußerungen (z. B. zu Luftverkehrsunfällen, Schiffsunfällen oder gesundheitsbehördliche Äußerungen). Durch die Informationsfreiheitsgesetze sind auf Auskunft gerichtete Begehren weitestgehend aus dem Anwendungsbereich der allgemeinen Leistungsklage ausgeschieden (VA-Qualität etwaiger Ablehnungsentscheidung gegeben).

35Vorverfahren. Streitig ist, ob der Kläger sich vor Klageerhebung bei der zuständigen Behörde vergeblich um Vornahme der begehrten Handlung bemüht haben muss, weil die Klage sonst unzulässig ist89. Dagegen hat sich das BVerwG90 ausgesprochen, allerdings in einem spezialgesetzlich geregelten Fall nach § 126 Abs. 3 BRRG91. Zutreffend ist, dass beim Erfordernis eines Vorverfahrens die allgemeine Leistungsklage überflüssig wäre, weil sich aus dem behördlichen Antragsverfahren Entscheidungen ergäben, die ggf. VA-Charakter hätten und damit nurmehr Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen zulässig wären. Ohne Vorverfahren drohen der Behörde zwar in vermeidbarem Maße Klagen, was prozessökonomisch schlecht ist. Letztentscheidend ist jedoch, dass das Gesetz, obwohl es die allgemeine Leistungsklage kennt, ein Vorverfahren nicht vorschreibt. Deshalb gebührt der Ansicht von Sodan92 auf Grund der Eindeutigkeit der Regelung der Vorrang: die Durchführung eines Vorverfahrens ist nicht erforderlich93.

4.Normerlassklage

36Als weiterer Unterfall wird eine Klage auf Norm­er­lass diskutiert, wobei auf Grund der Unzulässigkeit verfassungsrechtlicher Streitigkeiten gem. § 40 Abs. 1 Satz 1, des Parlamentsvorbehalts und der Einhaltung des Prinzips der Gewaltenteilung mit dem Begriff Norm hier eine untergesetzliche Norm gemeint ist94. Da untergesetzliche Normen jedoch von der Exekutive erlassen werden, ist die Auffassung, auch hierbei handele es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, unzutreffend95. Um einen lückenlosen, Art. 19 Abs. 4 GG entsprechenden Schutz zu schaffen, ist die Existenz der Normerlassklage anzuerkennen96. Ferner ist umstritten, ob es sich bei der Normerlassklage um einen Unterfall der allgemeinen Leistungsklage97 oder um einen Unterfall der allgemeinen Feststellungsklage98 handelt. Für letzteres spricht, dass ein bloßes Feststellen der Rechtswidrigkeit des Unterlassens des Normerlassens besser dem Gewaltenteilungsprinzip entspricht. Für die erstere Meinung spricht, dass eine Verurteilung zum Norm­er­lass dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 gegenüber § 42 besser gerecht wird. Das BVerwG99 hat sich für die erstere Variante entschieden, weil es den Grundsatz der Subsidiarität von § 43 gegenüber § 42 nur auf bestimmte Fallkonstellationen reduziert wissen will. Allerdings sagt das BVerwG100 auch, „dass es auf sich beruhen möge, ob anstelle des Feststellungsbegehrens auch eine allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf Norm­er­lass in Gestalt einer die Kläger begünstigenden Änderung der Entschädigungsverordnung, erhoben werden könnte“. Sofern sich das Begehren in einem Leistungsanspruch artikulieren lässt, ist der allgemeinen Leistungsklage der Vorzug zu geben101. Ein anschauliches Beispiel für eine Normerlassklage ist die vom EuGH für zulässig erachtete Klage auf Erstellung eines Aktionsplans entsprechend der 22. BImSchV102.

5.Unterlassungsklage

37Einen weiteren Fall der allgemeinen Leistungsklage stellt die Unterlassungsklage dar (gelegentlich pleonastisch als vorbeugende Unterlassungsklage bezeichnet). Diese Klageform wird vom BVerwG anerkannt103, setzt jedoch voraus, dass ein gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse gegeben ist104. Die VwGO geht davon aus, dass grundsätzlich der nachträgliche Rechtsschutz angemessen ist. Es muss also ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse nachgewiesen werden, damit die Klage zulässig ist. Es fällt mitunter schwer, das ausreichend zu begründen105. Es ist gegeben, wenn dem Kläger nicht zugemutet werden kann, abzuwarten, bis es zu dem Verwaltungshandeln kommt. Bei der Klage auf Unterlassen schlichten Verwaltungshandelns bei einer bevorstehenden erstmaligen Beeinträchtigung braucht der Betroffene sich nicht auf den vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 verweisen lassen, denn es fehlt gerade an zu erwartenden belastenden VA. Griffiges Beispiel ist die bevorstehende Nennung des Weinguts des Klägers als Hersteller eines gepanschten und gesundheitsgefährdenden Weins. Wenn eine derartige Information in der Welt ist, lässt sie sich nur schwer wieder rückgängig machen und aus den Köpfen der Kunden löschen – auch wenn sie sich als unwahr herausstellt. Erforderlich ist, dass sich das (abzuwehrende) Handeln hinreichend konkret abzeichnet, insbesondere die für eine Rechtmäßigkeitsprüfung notwendige Bestimmtheit aufweist106.

38Problematisch ist, ob eine Klage auf Unterlassung eines VA möglich ist, weil nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 nur von Erlass, nicht vom Unterlassen gesprochen wird. Denkbar ist das nur ausnahmsweise, wenn der Kläger ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis geltend machen kann, das nur dann effektiv verteidigt werden kann, wenn er diesen Klageweg wählt107.

39Da nach § 74 nur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage fristgebunden sind, gilt keine Frist für die allgemeine Leistungsklage108. Andererseits wird man Klagen nicht ewig zulassen können, so dass in diesem Falle als zeitliche Begrenzung nur ein Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Verwirkung bleibt. Danach darf ein Recht nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten da­rauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (sog. Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tat­säch­lich da­rauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (sog. Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde109.

40Klageantrag. Der Kläger verlangt von der Behörde ein Tun, Dulden oder Unterlassen. Sofern es sich bei dem Tun um eine Ermessensentscheidung der Behörde handelt, lautet der Klageantrag auf Verurteilung der Behörde zur Ermessensausübung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (streng genommen ist dieser Antrag allerdings bereits in dem Klageantrag etwas Bestimmtes zu tun enthalten)110.

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