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II.Betroffenheit

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50Die Rechtsbetroffenheit ist dann mitunter problematisch zu ermitteln, wenn es sich um gestufte Verfahren, wie vor allem im Planungsrecht, handelt (vom Raumordnungsplan über die Linienbestimmung, dem Planfeststellungsbeschluss bis zur konkreten Enteignung). Hierzu wird auf die Einzeldarstellung unter den entsprechenden Stichworten verwiesen.

Zur Abgrenzung von der Begründetheitsprüfung genügt es für die Zulässigkeit, dass

– für die Beurteilung des Anspruchs die Anwendung von Rechtssätzen des öffentliche Rechts in Betracht kommt, die zumindest auch dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt sind (nachfolgend)

– der Kläger vom streitgegenständlichen VA un­mittel­bar und tat­säch­lich in geschützten Rechtspositionen zumindest betroffen sein könnte und

– zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass auf Grund des Vortrags des Klägers Rechte von ihm verletzt werden140.

51Betroffenheit des Klägers als Klagebefugnis: § 42 Abs. 2 spricht davon, dass der Kläger geltend machen muss, „in seinen Rechtenverletzt zu sein. In einer fast 100-­jährigen Tradition werden in Deutschland darunter subjektive öffentliche Rechte verstanden, 1914 erstmals und bis heute gültig von Bühler definiert: „Diejenige rechtliche Stellung des Unterthanen zum Staat, in der er auf Grund eines Rechtsgeschäfts oder eines zwingenden, zum Schutz seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf“141. Man ersetze den Begriff Untertan durch Bürger und dann gelangt man zu der Definition, dass das subjektive öffentliche Recht die dem Einzelnen auf Grund öffentlichen Rechts verliehene Rechtsmacht darstellt, vom Staat zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen fordern zu können142. Da das Verwaltungsrecht konkretisiertes Verfassungsrecht ist, ist die Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts durch das Grundgesetz und den Einfluss der Grundrechte entsprechend modifiziert worden143.

1.Schutznormlehre

52Für die Klärung dieser Frage ist die Schutznormlehre entwickelt worden, die trotz aller Kritik144 als herrschend zu bezeichnend ist und, was viel bedeutungsvoller ist, zu sachangemessenen Ergebnissen gelangt145. Denn trotz des Alters der Schutznormlehre hat sie sich durch einige im Laufe der Zeit entwickelte Modifikationen als so flexibel erwiesen, dass auch die neuste Rechtsentwicklung adäquat bewertet werden kann. Die Frage, was Individualinteressen zu dienen bestimmt ist, ist im Kaiserreich sicherlich nach anderen Maßstäben beurteilt worden, als nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und der immer stärker individualisierten und auf einzelne Persönlichkeitsrechte fixierten heutigen Gesellschaft. Auch die jüngste Rechtsentwicklung durch das EU-Recht kann einbezogen werden146. Ein subjektives öffentliches Recht liegt dann vor, wenn der relevante Rechtssatz nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern auch den Individualinteressen des Klägers (des Einzelnen) derart zu dienen bestimmt ist, dass der Träger der Individualinteressen die Einhaltung des Rechtssatzes beanspruchen kann147. Davon zu unterscheiden sind die Rechtsreflexe. Also Normen, die ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienen, jedoch rein tat­säch­lich in der Nebenwirkung auch dem Individualinteresse zugute kommen. Die Hauptkritikpunkte an der Schutznormlehre liegen in dem Vorwurf, sie gefährde die Rechtssicherheit, weil sie zu Anwendungsunsicherheiten im konkreten Einzelfall gelange und eine bisweilen willkürlich erscheinende Kasuistik fördere148. Diese Argumente bestehen eigentlich aus Allgemeinplätzen. Man kann sie jeder Lehre vorwerfen, die sich in einem schwierigen Abgrenzungsfeld, das noch dazu einem soziologisch bedingten Auffassungswandel unterliegt, bemüht Maßstäbe zu entwickeln, die überhaupt als Konkretisierungs- und Abgrenzungskriterium in Betracht kommen. Die Kritik geht deshalb überwiegend ins Leere, fordert jedoch dazu auf, bei der Anwendung der Schutznormlehre sehr präzise vorzugehen. Es ist also methodisch sauber Sinn und Zweck der Norm herauszuarbeiten. Das geschieht nach den anerkannten Auslegungsregelungen (systematisch, grammatikalisch, genetisch, ggf. historisch). Sehr wichtig ist dabei, dass nur der objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend ist, so wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Bestimmung entnehmen lässt. Irrelevant ist hingegen die Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen und Or­ga­ne. Das kann allenfalls am Rande eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ein nach den anerkannten Regeln ermitteltes Auslegungsergebnis zu bestätigen oder anders nicht ausräumbare Zweifel zu beseitigen.

53Besondere Zurückhaltung bei der Auslegung von Gesetzen gilt dabei dem Rückgriff auf das Verfassungsrecht, der häufig viel zu voreilig erfolgt. Zunächst einmal muss die Norm von sich aus verständlich ausgelegt werden („norminterne Wirkung“) und das Ergebnis kann man dann allenfalls auf grundgesetzliche Vereinbarkeit hin überprüfen und, falls Zweifel bestehen, sich fragen, ob es auch eine grundrechtkonforme(-re) Auslegung gibt. Schmidt-Aßmann bezeichnet das griffig als grundrechtliche Rückbindung der modernen Schutznormlehre, die auf Grund der norminternen Wirkung der Grundrechte erzielt wird149. Gelangt man dabei nicht zu einer Interpretation der Gesetzesnorm in einer für den Kläger günstigen Weise, verbleibt (danach, nicht gleich als erster Schritt) die Möglichkeit, ausnahmsweise direkt auf das Grundrecht zurückzugreifen150. Ein grundrechtlicher Anspruch auf staatliches Einschreiten besteht nur unter ganz besonderen Umständen151.

54Die Klagebefugnis setzt ferner voraus, dass der Kläger un­mittel­bar betroffen ist152. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn eine bloße Wahrscheinlichkeit oder gar nur eine nicht auszuschließende Möglichkeit späterer eigener Rechtsbetroffenheit besteht153. Fehlt es an einem unmittelbaren Eingriff in das geltend gemachte Grundrecht, bedarf es für die Klagebefugnis einer qualifizierten Grundrechtsbeeinträchtigung154.

54aKörperschaften des öffentlichen Rechts haben subjektive Rechte, soweit sie Aufgaben im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts wahrnehmen155. Weitergehend anerkennt die Rechtsprechung, dass Hoheitsträgern aus der Wahrnehmung von Sachinteressen eine Rechtsposition i. S. v. § 42 Abs. 2 durch Gesetz eingeräumt werden kann156.

Auch im verwaltungsgerichtlichen Organstreit ist die Klagebefugnis erforderlich. Das klagende Organ muss geltend machen, in einer ihm gesetzlich zugewiesenen Rechtsposition durch das angegriffene Handeln des beklagten Organs verletzt worden zu sein157. Das Vorliegen einer solchen – über die bloße Kompetenzzuweisung hinausgehenden158 – Rechtsposition muss im Einzelfall durch Auslegung des Gesetzes festgestellt werden. Eine Berufung auf Grundrechte ist in diesem Fällen rechtlich ohne Bedeutung159.

2.Unionsrechtliche Anforderungen

55Da­rü­ber hinaus können sich un­mittel­bar aus dem Recht der euro­pä­ischen Union subjektive öffentliche Rechte ergeben. Hierzu ist eine umfangreiche Diskussion in den letzten Jahren geführt worden, die insbesondere angesichts der Kasuistik des EuGH nur bestimmte Tendenzen herausgearbeitet hat, ohne bisher eindeutige Linien zu haben160. Europäisches Recht, das individualberechtigend ist, muss nach Art. 10 EGV un­mittel­bar von den deutschen Gerichten angewendet werden161. Sofern der Vollzug des Rechtssatzes euro­pä­ischen Organen un­mittel­bar obliegt, fehlt es für solche Klagen an einer deutschen Rechtszuständigkeit (Klage ausschließlich EuGH zuständig, Art. 263 und Art. 267 AEUV). Es ist davon auszugehen, dass sich durch den Vertrag von Lissabon grundsätzlich nichts geändert hat162. Bei der Auslegung darf man nicht übersehen, dass eine strikte Anwendung der Schutznormtheorie bisweilen zu verzerrenden Ergebnissen gelangt, dass diese Theorie einzig für das deutsche Rechtssystem gilt163. Zwar sind seit der Entscheidung van Gent & Loos164 subjektive Rechte der Bürger der EU anerkannt165. Vor­aus­set­zung ist jedoch, dass die Norm des EU-Rechts un­mittel­bar anwendbar sein muss und dass jedenfalls eine Popularklage auch nach euro­pä­ischem Recht ausgeschlossen ist. Formulierung der Norm und Erwägungsgründe sind maßgeblich. Eine Dogmatik in der Recht­spre­chung des EuGH fehlt allerdings. Dabei sollte gerade die Recht­spre­chung der EuGH Impulse für die Kontrolldichtediskussion geben166. So wird in der Literatur von einer „Interessenklage“ gesprochen167, die man allerdings als eher konturlos bezeichnen muss168.

56Aus nicht umgesetzten Richtlinien resultieren subjektive Rechte, sofern es sich nicht um eine Verpflichtung des Staates handelt, die un­mittel­bar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die auf Grund dieser Richtlinie einem anderen obliegt169. Besonders deutlich wird das an der Feinstaubrichtlinienproblematik170. Die entsprechenden Richtlinien sind mit der 22. BImSchV171 in nationales Recht umgesetzt worden und es stellt sich die Frage, ob dadurch un­mittel­bar subjektive Rechte auf Einhaltung der dort festgelegten Grenzwerte von insbesondere an Durchgangsstraßen in Ballungszentren lebenden Menschen und auf Umsetzung eines entsprechenden Aktionsplans entstanden sind. Der EuGH unterscheidet hinsichtlich der Rechtsposition Einzelner nicht danach, ab die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist oder nicht. Denn die Rechtsposition leitet er ggf. gegen das nationale Umsetzungsrecht un­mittel­bar aus der Richtlinie ab. Auf Vorlage des BVerwG172 formuliert der EuGH173 in großer Eindeutigkeit: „Die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte haben die Bestimmungen des nationalen Rechts so weit wie möglich so auszulegen, dass sie mit dem Ziel der entsprechenden Richtlinie in Einklang stehen. Sofern eine solche Auslegung nicht möglich ist, haben sie die mit der Richtlinie unvereinbaren Regelungen des nationalen Rechts außer Anwendung zu lassen174. Daraus folgert der EuGH, dass die Betroffenen un­mittel­bar bei den Behörden (ggf. mit gerichtlichem Schutz) erwirken können, dass bei entsprechender Gefahrenlage der Richtlinie die erforderlichen Aktionspläne aufgestellt werden175. Dies gilt unabhängig davon, dass die Betroffenen auch auf andere Art zu ihrem Ziel kommen könnten176. Das BVerwG hat dies für Lärmaktionspläne verneint177.

57Calliess fordert178, dass eine richtlinienkonforme Auslegung der VwGO stattzufinden habe, denn es sei erkennbar, dass das EU-Recht dem Einzelnen (erweiterte) Rechte einräumen wolle, die man bei strenger Anwendung der Schutznormtheorie ablehnen müsse179. Man kann jedoch gut durch eine europarechtskonforme Auslegung von § 42 Abs. 2 zu einem befriedigendem Ergebnis gelangen180. Letztlich fordert auch der EuGH nur, dass das nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auszulegen sei181 und sich erst dann da­rü­ber hinwegzusetzen, wenn es gar nicht anders geht. Mit der geltenden Rechtslage der Klagebefugnis lässt sich der unionsrechtlich vermittelte reaktiv-subjektive Gerichtsschutzanspruch behandeln182. § 42 Abs. 2 steht nämlich der Geltendmachung von Gerichtsschutzansprüchen aus unionsrechtlicher Quelle nicht entgegen, da unionsrechtlich begründete Ansprüche prozessual nicht schlechter gestellt werden dürfen als auf nationalem Recht beruhende183. Das gilt auch für die Schutznormlehre, die auch und gerade bei Anwendung des Unionsrechts zu sachlichen Ergebnissen gelangt, worauf zutreffend Pietzcker hinweist184. Und da es die Normerlassklage gibt (Rn. 36), kann die VwGO ohne Gesetzesänderung auch die Forderung des EuGH, Betroffene müssten auf Aufstellung eines Aktionsplans klagen können, erfüllen.

3.Sondergesetzliche Regelungen

58Zu beachten sind ferner sondergesetzliche Regelungen, die – einzelfallbezogen – eine gesetzliche Prozessstandschaft darstellen185. Die bedeutendste Regelung ist das Verbandsklagerecht im Naturschutzrecht nach § 64 BNatSchG186 und die entsprechenden, vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen in den Landesnaturschutzgesetzen187. Mit der Verbandsklage188 haben die anerkannten Vereine ein selbständig durchsetzbares, subjektiv öffentliches Recht auf Beteiligung zuerkannt bekommen. Dies gilt allerdings nur genau im Rahmen der entsprechenden Zulassung, also bei einer landesrechtlichen Regelung gegen Maßnahmen des Bundes nur insoweit, als auch das Bundesrecht eine entsprechende Regelung vorsieht189. Mit der Verbandsklage können anerkannte Naturschutzvereine nur diejenigen Rechtsverstöße rügen, die in § 64 Abs. 1 BNatSchG bezeichnet sind190; die Länder können den Katalog erweitern, § 64 Abs. 3 BNatSchG.

58aIm Umweltrecht schafft das Umwelt-RechtsbehelfsG (UmwRG) eine entsprechende Verbandsklage, die auch für das UmweltschadensG gilt191. Beide Gesetze wurden in Umsetzung von EU-Richtlinien erlassen. Nachdem der EuGH in mehreren Entscheidungen dargelegt hatte, dass die früheren Fassungen des UmwRG keine ausreichende Umsetzung der EU-Richtlinien darstellten, hat der Gesetzgeber die aktuell geltende Fassung des UmwRG192 erlassen. Diese soll den gerichtlichen Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften erweitern; die Bestimmungen des UmwRG sind daher rechtsschutzfreundlich weit auszulegen193. Danach kann eine nach § 3 UmwRG im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsbehelfs194 anerkannte in- oder ausländische Vereinigung, auch ohne eine Verletzung in eigenen Rechten gelten machen zu müssen, unter den in § 2 Abs. 1 UmwRG näher bestimmten Voraussetzungen Rechtsbehelfe nach Maßgabe der VwGO gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen. Daraus leitet das BVerwG195 ab, dass schon im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen ist, ob die angegriffene Entscheidung oder der angegriffene Plan tauglicher Gegenstand eines Rechtsbehelfs nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ist. Das UmwRG regelt darüber hinaus auch Einzelfragen der Klagebefungis Einzelner. Ob und inwieweit diese Regelungen unionsrechtskonform sind, ist in der Rechtsprechung des EuGH noch nicht abschließend geklärt; für § 4 Abs. 3 UmwRG wird aus der Rechtsprechung des EuGH196 abgeleitet, dass der Einzelne bei der Verletzung von Verfahrensbestimmungen, die sich auf den Inhalt der Entscheidung ausgewirkt haben könnten, klagebefugt ist197.

Eine weitere Verbandsklage enthält § 13 Behindertengleichstellungsgesetz198 sowie § 22 BundesgleichstellungsG199 für eine altruistische Klage.

Weitere sondergesetzliche Regelungen, die meistens einzelnen Behörden oder Funktionsträgern Rechte einräumen, sind § 97 SGB VIII, § 63 SGB IX, § 8 Abs. 4 HandwO oder landesrechtliche Regelungen wie § 17 Abs. 1 Satz 1 AG VwGO RPf.

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