Читать книгу Verwaltungsgerichtsordnung - Martin Redeker - Страница 57
I.Obligatorische Anrufung
Оглавление2Der Große Senat muss angerufen werden, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. Abweichung setzt unterschiedliche Auffassung in einer Rechtsfrage voraus, die sowohl für die frühere wie für die neue Entscheidung tragend ist1. Keine Abweichung daher, wenn die Rechtsauffassung in der früheren Entscheidung nur nebenbei geäußert worden ist, also die Entscheidung auch ohne diese Auffassung die gleiche geblieben wäre. Auch keine Abweichung, wenn die Rechtsauffassung nur eine von mehreren selbständig tragenden Gründen war2. Die Form der Entscheidung ist unerheblich, auch ob diese veröffentlicht ist. Maßgeblich sind die Gründe, nicht der Leitsatz3. Abweichung liegt auch vor, wenn der gleiche in verschiedenen Gesetzen niedergelegte Rechtssatz verschieden ausgelegt werden soll4.
3Voraussetzung der Vorlage an den Großen Senat ist (Absatz 3), dass der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Anfrage und Antwort entscheiden die Senate durch Beschluss in der für Urteile erforderlichen Besetzung. Hat der Senat der früheren Entscheidung seine Meinung aufgegeben5 oder erklärt er, sie aufgeben zu wollen6, entfällt die Vorlage. Bei einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes tritt der nunmehr für die Rechtsfrage zuständige Senat an die Stelle des Senats, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll (Absatz 3 Satz 2). Ist der erkennende Senat selbst für das Rechtsgebiet des Senats, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, zuständig geworden, entfällt die Vorlage7. Das Gleiche gilt, wenn dieser Senat nicht mehr besteht8.
4Die Vorlage entfällt, wenn der erkennende Senat sich bei seiner von einem anderen Senat oder dem Großen Senat abweichenden Meinung einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes9 oder in der Auslegung einer Norm des Unionsrechts einer Entscheidung des EuGH anschließen will10, wenn sich die Rechtslage inzwischen geändert hat11 oder der Verwaltungsrechtsweg für künftige Rechtsstreite nicht mehr eröffnet ist12. Eine Vorlage wegen Divergenz kommt auch nicht in Betracht, wenn der erkennende Senat von seiner eigenen früheren Auffassung abweichen will. Die Anrufung ist ausgeschlossen, wenn ein Senat, im Gegensatz zu einer früheren Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats, eine Norm für verfassungswidrig hält und nach Art. 100 GG dem BVerfG vorlegen will13. Das Gleiche muss für die Vorlage an den EuGH gelten (vgl. § 1 Rn. 17).
5Verstoß gegen Vorlagepflicht berührt Wirksamkeit der Entscheidung des abweichenden Senats nicht, auch keine Wiederaufnahme nach § 153 möglich. Der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen ist, muss bei Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung nunmehr selbst den Großen Senat anrufen14. Das Unterlassen einer erforderlichen Vorlage kann jedoch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen und damit Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde werden, wenn diese Entscheidung von willkürlichen Erwägungen bestimmt war15.