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3. Umfang: Qualifikation und Vorbehaltsbereich
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Wenn die Regulierung von Tätigkeiten nur insoweit verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, als sie auch nachweisbar im Interesse des Gemeinwohls erforderlich ist, dann bedarf ihr Umfang in jedem Fall einer sorgfältigeren Prüfung. Es ist kritisch zu untersuchen, ob die vom RDG angestrebten Ziele wie vor allem die Qualitätssicherung im Interesse der Rechtsuchenden durch die Restriktionen tatsächlich erreicht oder gar ganz oder teilweise verfehlt werden.
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Der Gesetzgeber muss bei der Zuweisung von Tätigkeiten an einen oder mehrere Berufe einmal im Auge behalten, dass die typisierende Prägung von Berufsbildern in einem Spannungsverhältnis zur eigenständigen Berufsschöpfung durch den Einzelnen steht.[136] Es wird dadurch erhöht, wenn die Tätigkeitsbeschränkung keinen eng begrenzten Sachbereich umfasst – wie etwa den der Zahnheilkunde – sondern potenziell ein außerordentlich weites Feld sonstiger beruflicher Tätigkeiten berührt.[137] Genau dies ist bei den Rechtsdienstleistungen der Fall, da die geschäftsmäßige Erbringung fremder Rechtsdienstleistungen mit den unterschiedlichsten beruflichen Tätigkeiten verbunden sein kann. Sie umfasst Beratungstätigkeiten verschiedenster Art, wenn sie nur einen rechtlichen Schwerpunkt besitzen. Die vielfältigsten beruflichen Betätigungen schließen deshalb regelmäßig Rechtsbesorgungselemente ein.
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Anerkanntermaßen muss der Gesetzgeber auch bei der rechtlichen Ausgestaltung von Berufsbildern dafür Sorge tragen, dass dem rechtlich fixierten Beruf nicht auch solche beruflichen Betätigungen zugewiesen werden, die auf Grund ihres einfachen Charakters nicht die besondere Qualifikation des reglementierten Berufs verlangen. Durch ein Monopol besteht angesichts der Schwierigkeit der Abgrenzung erlaubnispflichtiger von erlaubnisfreier Rechtsberatung zwangsläufig die Gefahr einer Überregulierung.
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Weiter darf nicht außer Acht gelassen werden, dass jede Monopolisierung von Tätigkeiten die Gefahr von Angebotslücken zu Lasten der Betroffenen in quantitativer und qualitativer Hinsicht verursacht. Bei Fehlen eines Monopols wird i. d. R. der Markt durch neue Anbieter die Lücke schließen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das RBerG zu erheblichen Defiziten auf dem Rechtsberatungsmarkt geführt hat. Sie betreffen auch heute noch u. a. die Qualität der Dienstleistung. Die Anwaltschaft hat sich schließlich bis zum heutigen Tage nur unzureichend spezialisiert. Es gibt z. B. zu wenige Fachanwaltschaften und auch eine zu geringe qualitativ orientierte Fortbildung, welche zudem auch für den Bürger erkennbar ist.[138] Aus diesem Grund vermag es im Ergebnis auch nicht zu überzeugen, wenn das BSG[139] in seiner Entscheidung zur Vertretung von Schwerbehinderten in sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren durch Steuerberater deren Befugnis im Widerspruchsverfahren verneinte, obwohl es praktisch kaum in diesem Bereich spezialisierte Rechtsanwälte gibt.
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Das Rechtsberatungsmonopol des RBerG hatte – wie die problematische Fallgruppe der altruistischen, caritativen und unentgeltlichen Rechtsberatung zeigte – auch eine massive soziale Schwäche. Es hatte dazu geführt, dass in durch Anwälte nicht besetzten Nischen – vor allem bei armen Rechtsuchenden – kein ausreichender Rechtsrat angeboten wurde. Hier wirkten sich manche anwaltlichen Berufspflichten sogar als sozialschädlich aus. Arme Rechtsuchende sind jedoch mangels PKH, Beratungshilfe, Rechtsschutzversicherung auch nicht selten auf das Angebot einer Rechtsbesorgung auf Erfolgshonorarbasis angewiesen.
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Letztlich steht wesentlichen Beschränkungen der Rechtsdienstleistungsfreiheit entgegen, dass angesichts der Verrechtlichung aller Lebensbereiche eine politisch vertretbare Umschreibung des Vorbehaltsbereichs kaum noch möglich ist. Die Abgrenzung verschiedener Handlungssphären wird immer problematischer. Recht kann – so zu Recht Rottleuthner[140] – allgegenwärtig werden in Bereichen, die vormals nur von wirtschaftlicher, psychologischer, medizinischer oder technischer Bedeutung waren. Die Folge ist, dass bisher von Nichtjuristen dominierte Bereiche juristisch infiziert werden. Es kommt zu einem Kompetenzkonflikt zwischen Professionen mit mehr oder weniger starkem Rechtsbezug.
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Schließlich erscheint speziell ein Rechtsberatungsmonopol auch deshalb fragwürdig, weil es bei anderen freien Berufen z. T. nicht in vergleichbarem Maße besteht. Im Bereich der Gesundheit konkurriert z. B. der Arzt mit dem Heilpraktiker, letzterer wieder mit dem vom BVerfG[141] ohne Heilpraktikerstatus zugelassenen Geistheiler. Im medizinischen Bereich wird die Behandlung durch Laien nicht kriminalisiert; man hat hier seine „Hausrezepte“. Selbst die Nazis ließen eine unentgeltliche Heilbehandlung zu. Auch Architekten konkurrieren mit unterschiedlichen Abschlüssen und Ingenieuren etc. Es ist aber nur schwer verständlich zu machen, warum zum Schutz des Verbrauchers im Bereich des Rechts ein Berufsmonopol der Rechtsanwälte notwendig sein soll.
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Ein Rechtsberatungsmonopol ist auch deshalb fraglich, weil das Recht und die Juristen ihre Monopolstellung bei der Lösung von Konflikten sich vielfach als hinderlich erweisen. Es bilden sich neue alternative Streitbeilegungsverfahren heraus, bei denen das Recht allenfalls eine beschränkte Bedeutung spielt. Gerade der Fall der Mediation – vgl. auch § 2 III Nr. 4 – zeigt, dass Konflikte vermehrt auf andere Weise als mit Hilfe des Rechts und damit der Gerichte und der Anwälte gelöst werden. Diesen Bestrebungen kann sich die Gesellschaft nicht verschließen. Das Rechtsdienstleistungsrecht muss in Übereinstimmung mit Rottleuthner[142] auch der gewandelten Konfliktkultur Rechnung tragen mit der Folge, dass auch spezialisierten Verbänden, Organisationen verstärkt die Möglichkeit gegeben werden muss, Rechtsberatung mit anzubieten als Teilaspekt der gesamten Beratungs- und Besorgungsleistungen aus einer Hand („One-Way-Customer“).