Читать книгу Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde - Michael Kleine-Cosack - Страница 64
(2) Ermessensakte
Оглавление83
Bei nationalen Umsetzungsmaßnahmen von Unionsrecht kann hingegen eine umfassende Kontrollkompetenz des BVerfG am Maßstab des GG beansprucht werden, wenn die umzusetzende Regelung nicht europarechtlich determiniert war, sondern Ermessensspielräume offenhält. Räumt also das Unionsrecht den deutschen Organen – wie etwa bei der Umsetzung von Richtlinien oder im Rahmen einer Ermächtigung des primären Unionsrechts – einen Spielraum ein, steht die deutsche Maßnahme nicht unter zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben. In diesem Fall besteht daher eine uneingeschränkte Grundrechtsbindung nach Maßgabe der Art. 1 Abs. 3 GG nachfolgenden Grundrechten.
84
Beispiel
BVerfGE 121, 1, 15; 126, 250, 306 f. – Vorratsdatenspeicherung: Entsprechend hat das BVerfG in Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung im Hinblick auf die Umsetzung unionaler Rechtsakte auf der nationalen Ebene – plastisch spricht man in der Literatur insoweit von einer Erweiterung der „Solange“-Rechtsprechung zu einer „Soweit“-Judikatur[72] – darauf abgestellt, „wie weit den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung unionaler Vorgaben Freiräume zur eigenen Gestaltung verbleiben, die als solche aus Sicht des BVerfG rein nationalen Charakter haben und damit auch dem rein nationalen Grundrechtsregime unterfallen sollen. Nur „eine Norm des deutschen Rechts, durch die der Gesetzgeber die Vorgaben einer Richtlinie in eigener Regelungskompetenz konkretisiert hat oder über solche Vorgaben hinausgegangen ist, [kann] zulässigerweise mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.“[73]
BVerfGE 113, 273 ff. – Europäischer Haftbefehl: Beim Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl war nach dem BVerfG der Gesetzgeber verpflichtet, das Ziel des Rahmenbeschlusses so umzusetzen, dass die Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist.[74]
85
Der EuGH[75] hält aber auch das mitgliedstaatliche Ausnutzen von Spielräumen für eine „Durchführung“ des Unionsrechts. Danach sollen die Unionsgrundrechte und die Grundrechte des Grundgesetzes parallel anwendbar sein und soll es zu einer „Doppelbindung“ kommen, die wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zur Folge hätte, dass im Kollisionsfall die Unionsgrundrechte auch dann maßgeblich wären, wenn sie hinter dem Schutzumfang der Grundrechte zurückblieben.