Читать книгу Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde - Natalka Sniadanko - Страница 14
Mit dem Zug nach Worochta
ОглавлениеWilly mochte es, mit den Dorfkindern Kühe zu hüten und ihren Geschichten über fürchterliche Hexen, Zauberer, Werwölfe und Geister zu lauschen. In Saybusch sprachen die Kinder im Dorf größtenteils Polnisch, von den Ukrainern hörte Wilhelm zum ersten Mal von Olgierd Czartoryski, dem Mann seiner älteren Schwester Mechthildis. Wie viele polnische Magnaten bezeichnete er die Ukrainer als Russinen und hielt sie für „Verbrecher, Rüpel und Abschaum“. Doch Wilhelm schreckte dieser abschätzige Ton nicht ab, im Gegenteil, er machte ihn neugierig. Und wie sein zukünftiger Offiziersbursche schmiedete auch er einen Plan.
An einem heißen Sommertag machte sich Wilhelm in der Schuluniform eines Dorfjungen heimlich auf zum Bahnhof und stieg in einen Zug nach Worochta. Dort lebten der Erzählung des Onkels nach die geheimnisvollen Huzulen, welche in einer ähnlichen, aber doch anderen Sprache als die übrige Bevölkerung sprachen und hexen konnten. Wilhelm schrieb darüber Folgendes:
„Es war im Sommer, die Hitze war groß. Ich fuhr inkognito über Lemberg und Stanislau, in einem Coupé zweiter Klasse. Der Anblick der huzulischen Berge beeindruckte mich sehr. In Worochta angekommen ging ich ins Dorf. Unterwegs traf ich einen Huzulen, er war um die vierzig, ich fragte ihn auf Polnisch, ob er für ein paar Tage eine Bleibe für mich habe. Er antwortete mit Ja. Und so kam ich bei ihm unter. Ich ging in die Berge, ritt und fuhr mit dem Pferdewagen, war auch in Schabje – überall hielt ich Ausschau nach den ukrainischen Verbrechern. Umsonst! Ich war enttäuscht. In meiner Seele machte sich großer Unmut meinen Informanten gegenüber breit, denen ich so lange Glauben geschenkt hatte. Damals veränderte ich mich völlig und kehrte als anderer nach Saybusch zurück.“
Während sich der jugendliche Willy seinen Eindrücken hingab, hatte man im ganzen Kaiserreich Gendarmen mobilisiert, die den Erzherzog suchten. Die Suche aber blieb erfolglos, denn Wilhelm kehrte von selbst nach Hause zurück und zerstritt sich für immer mit seinem Schwager Czartoryski wegen dessen antiukrainischer Haltung. Erst im Nachhinein erfuhr Willy, dass der wohlhabende Huzule, bei dem er gewohnt hatte, der Vater von Petro Schekeryk gewesen war, einem berühmten Mitglied der Ukrainischen radikalen Partei. Viele Jahre später sollte Wilhelm dieses gastfreundliche Haus noch einmal aufsuchen – auf der Flucht vor rumänischen Soldaten, die ihn in der Hitze des Bürgerkriegs in Galizien festnehmen wollten.