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Weihnachten

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Weihnachten verbrachte die Familie immer in Saybusch. Und die Zeremonie dort war nicht weniger feierlich als am Wiener Hof. Die Vorbereitungen begannen früh, und bereits im November waren Maria Theresia und die Hofdamen abgehetzt und müde. Die Kinder des Erzherzogs schrieben Briefe mit ihren Wünschen, und die Hofdamen legten Geschenklisten an. Anschließend fuhr Maria Theresia mit einigen ihrer Hofdamen nach Wien, um die Einkäufe zu erledigen – sie mussten nicht nur an die Geschenke für die Kinder, Diener und deren Familien denken, sondern auch für die vielen armen Familien in Saybusch.

Ein paar Tage vor dem Fest wurden die Türen zum Weißen Salon, dem größten Saal im Schloss, abgeschlossen, die unmittelbaren Vorbereitungen, an denen sich alle beteiligten, begannen. Sogar die Kinder hatten Pflichten: Sie mussten die Geschenke für die Diener und Armen in Körbe packen und Süßigkeiten sowie andere Leckereien in Silberpapier wickeln. Willy liebte diese Arbeit, denn er konnte dabei nach Herzenslust von den Leckereien naschen. Am letzten Tag, als die Geschenke für die Kinder unter den Baum gelegt wurden, durften sie nicht mehr in den Weißen Salon. Der Reihe nach spähten sie durch das Schlüsselloch, jedoch vergeblich, denn abgesehen vom Glitzern des Christbaumschmucks war nichts zu erkennen.

Am Weihnachtsabend versammelten sich alle in der Kapelle neben dem Schloss zum Gottesdienst. Nach der Messe, die um fünf Uhr begann und eine gute Stunde dauerte, begab man sich zu Tisch. Das Festtagsmenü bestand aus den traditionellen polnischen Weihnachtsgerichten: kalter Fastenbarszcz mit Knoblauchtäschchen, gebratener Karpfen, eingelegter Hering, Piroggen mit Kraut und Erbsen, fleischlose Krautrouladen, Wareniky und Kutja. Nichts von diesen Speisen mochte Willy, außer Barszcz und Kutja. Davon aß er jedoch so viel, als wollte er sich ein Jahr im Voraus daran satt essen, und oft quälten ihn danach bis zum Morgen Bauchschmerzen.

Am Heiligen Abend diente ein Tuch aus grauem Leinen, das von den Dorffrauen bestickt worden war, als Tischdecke. Darunter musste Stroh liegen, und nach dem Essen packte man Löffel, Gabeln und Messer, die mit einem Band zusammengebunden wurden, hinein. Traditionell bestand das Weihnachtsessen aus zwölf Speisen, aber meist gab es viel mehr. Das Abendessen wurde stets mit einer Oblate begonnen, die unter der ganzen Familie aufgeteilt wurde. Willy mochte keine Oblaten, und wenn er bei der Heiligen Messe eine bekam, schluckte er nur den Wein, die Hostie jedoch versuchte er in seiner Wange zu verstecken, um sie später unbemerkt auszuspucken. Aber Speichel und Wein verwandelten die Oblate zu einem Brei, der an der Innenseite der Wange haftete und noch lange einen sauren Geschmack verströmte.

Nach dem Abendessen versammelten sich alle an der Treppe und gingen als feierliche Prozession in den festlich geschmückten Weißen Salon, in dessen Mitte ein riesiger, mit Kugeln und Kerzen geschmückter Weihnachtsbaum stand. Unter dem Weihnachtsbaum und auf Tischen an der Wand lagen die Geschenke. An jedem Geschenk war ein Schild mit dem Namen seines Empfängers befestigt. Willy liebte die Zeremonie des Geschenkeverteilens und wollte dabei immer möglichst nah bei der Mutter stehen.

Die Geschenke für ihre Kinder wählte Maria Theresia besonders sorgfältig aus, es waren nicht nur schöne und teure, sondern auch wohlüberlegt gekaufte Dinge. Einmal hatte sich der kleine Leo ein Pony zu Weihnachten gewünscht – und wirklich, vor den Augen aller trottete ein dickes Pony durch die weit geöffnete Tür des Weißen Salons. An der Mähne des Ponys war ein Kärtchen mit der Aufschrift „Für Leo“ befestigt. Das Pony zog eine Miniatur-Kutsche mit dem Kärtchen „Für Renata“, auf deren Rückbank ein riesiges Päckchen „Für Eleonora“ und ein winziges „Für Mechthildis“ lag. Im großen Päckchen war ein neuer Fuchspelzmantel und im kleinen ein Diamantcollier. Zusätzlich zu den Geschenken, die sich die Kinder gewünscht hatten, bekamen sie stets Bücher.

Nachdem die wichtigsten und teuersten Geschenke verteilt worden waren, kamen die Diener des Schlosses an die Reihe. Sie stellten sich nebeneinander an der Wand auf, danach rief Maria Theresia jeden bei seinem Namen auf, der Betreffende trat vor, küsste ihre Hand und erhielt sein Geschenk. Den Dienern zitterten vor Aufregung die Hände. Es folgten die Kinder der Armen aus den umliegenden Dörfern. Sie bekamen keine Spielsachen, sondern Kleidung, Schuhe und andere nützliche Dinge. Für die Kinder der Diener und Armen wurde immer ein feierlicher Weihnachtsempfang mit Süßigkeiten und heißer Schokolade veranstaltet.

Wenn die Zeit kam, den Weihnachtsbaum abzuräumen, halfen auch die Kinder, sie liefen geschäftig umher und nahmen Schmuck und Kerzen ab. Einmal fing die Spitze des Weihnachtsbaums in Karl Stephans Händen sogar an einer Kerze Feuer. Die Kinder freuten sich über das Abräumen des Weihnachtsbaums, denn es bedeutete, dass der Frühling und somit die Abreise nach Lussin vor der Tür standen. Nur Willy mochte das Abräumen nicht. Als kleines Kind weinte er sehr, wenn er sah, dass der Weihnachtsschmuck abgenommen und dann der am Vortag noch so schöne Baum verbrannt wurde. Später verkündete er kategorisch: „So eine traurige Arbeit kann ich nicht machen!“

Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde

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