Читать книгу Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde - Natalka Sniadanko - Страница 15
Das feierliche Leben im Schloss
ОглавлениеManchmal lud Karl Stephan polnische Aristokraten, die im Umkreis von Krakau lebten, zur Jagd ein. Die Gäste kamen üblicherweise für ein paar Tage, tagsüber wurde gejagt, abends lauschte man musikalischen Darbietungen im Weißen oder im Goldenen Salon – beide hatte der Hausherr mit besonderer Sorgfalt ausstatten lassen –, man speiste und tanzte. Bei den abendlichen Klavierkonzerten trat in der Regel auch Karl Stephan auf, der viele Stücke von Chopin in seinem Repertoire hatte. Oft wurden bekannte Musiker eingeladen. Besonders gut blieb Wilhelm der Besuch des berühmten tschechischen Violinisten und Komponisten Jan Kubelík in Erinnerung. Nicht das Konzert, denn Wilhelm döste nach kurzer Zeit ein und ging wenig später zu Bett, jedoch das Mittagessen mit dem Virtuosen. Wie sich herausstellte, benutzte Kubelík nie ein Messer, das Essen schnitt seine stets neben ihm sitzende Akompanitorka. Der Violinist erzählte, dass er sich von klein auf sehr vor Verletzungen fürchte und deshalb keine Messer oder anderen gefährlichen Gegenstände anrühre. Wilhelm musterte Kubelíks Hände und war beeindruckt, wie zart sie waren, die Haut ganz dünn, fast durchsichtig.
Die Jagdsaison fiel in Saybusch auf den Herbstbeginn. Zwischen den Jagdausflügen veranstaltete man Picknicke und Wanderungen in die Berge. Selbst wenn die kaiserliche Familie eine Ausfahrt ohne Gäste unternahm, wurde sie zu einer ansehnlichen Zeremonie, die für die Bewohner der umliegenden Dörfer ein besonderes Ereignis darstellte.
Früh am Morgen verließen drei oder vier Pferdekutschen, die Kutscher und Lakaien in glänzende Livreen gekleidet, das Schloss. Der Konvoi bewegte sich zum Treffpunkt mit den Dienern, die vorgeschickt worden waren, um einen guten Platz für die Jagd oder das Picknick vorzubereiten. Die Diener kochten am offenen Feuer wunderbare Suppen, brieten Würste, buken Kartoffeln in der Asche und richteten die von zu Hause mitgebrachten kalten Speisen an. Die Kinder freuten sich immer über die Ausflüge in den Wald oder in die Berge, denn mit dem Herannahen des Winters wurden sie seltener. Verglichen mit dem Adriaufer, wo die Familie den Sommer verbrachte, gab es in Saybusch unglaublich viele graue und verregnete Tage. Kein Wunder also, dass die Kinder den Tag, an dem sie wieder nach Lussin1 aufbrechen würden, ungeduldig herbeisehnten.
Bei Regen war es praktisch unmöglich, das Schloss zu verlassen. Oft stürmte es, im Wald stürzten Bäume um, Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten die Felder. An den Regentagen bekamen Willy und seine Geschwister neue Spielsachen, damit sie sich nicht so langweilten.
In dieser Zeit richtete Karl Stephan oft Kostümbälle aus, mit Gästen oder nur für die Familie. Alle überlegten sich lustige Verkleidungen und tanzten bis spät in die Nacht zu Walzern von Chopin. Manchmal standen die Feste unter einem Motto, „Schwedische Tänze“ oder „Schwarz-Weißer Abend“ zum Beispiel, manchmal musste man seine Fantasie spielen lassen. Karl Stephan hatte hohe Ansprüche an die Kostüme seiner Familienmitglieder. Vor Beginn jedes Balls musste man sich in einer Reihe aufstellen, und er begutachtete sorgfältig jedes Kostüm. Den Kindern zitterten die Knie vor Aufregung, denn es war nicht leicht, ein Lob des Vaters zu verdienen. Entdeckte er auch nur einen winzigen Fehler am Kostüm, kritisierte er es schonungslos. Den Gästen gegenüber war er in der Regel milder.
Einmal hatte sich ein geladenes Fräulein als polnische Verlobte verkleidet. Sie trug ein wunderschönes Kleid mit viel Tüll und zahlreichen Unterröcken, doch beherrschte es nicht, sich in dem Kleid und den speziellen Schuhen zu bewegen. Zu Beginn wagte sie nicht, sich zu erheben, doch Karl Stephan, dem das Kostüm sehr gefiel, forderte sie zum Tanz auf, und sie konnte nicht ablehnen. Mitten im Tanz rutschte das Fräulein plötzlich auf dem blank polierten Parkett aus, stürzte und wurde unter ihren zahlreichen Tüll- und Unterröcken begraben. Karl Stephan kommentierte den Vorfall mit keinem Wort, half der Dame höflich auf die Beine, und sie setzten den Tanz fort. Wäre dasselbe einer seiner Töchter passiert, hätte sich die Arme eine lange Strafpredigt darüber anhören müssen, wie man sich keinesfalls auf einen Ball vorbereiten durfte.
So vergingen Oktober und November, dann fiel Schnee und eine lustige Zeit begann. Der Bach im Park fror zu und die Kinder liefen stundenlang darauf Eis oder fuhren mit Schlitten oder Ski von den Hügeln.