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1895–1912 Das Schloss

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Karl Stephan verwirklichte sein polnisches Projekt in großem Stil. Als Erstes schuf er sich das Haus seiner Träume. Zu dem Anwesen in Saybusch gehörten vierzigtausend Hektar Wald und zwei Schlösser. Das alte Schloss war von einem der früheren polnischen Eigentümer erbaut worden. Schon Stephans Onkel fand das Gebäude sehr unpraktisch und altmodisch, weshalb er ein zweites Schloss baute. Dieses sollte Karl Stephan von Habsburg beinahe fünfzehn Jahre lang erweitern. In dieser Zeit ließ er einen neuen Flügel mit modernem Glasdach errichten, in dem sich die Gästesuiten befanden, und unweit des Schlosses einen riesigen, mit Spiegelfliesen ausgestatteten Ballsaal. Das Silber, das Karl Stephan in seinem Schloss anhäufte, wog über fünfhundert Kilo.

In der Nähe des Schlosses wurde eine Kapelle erbaut, in der die Familie des Erzherzogs nach brieflicher Erlaubnis des Papstes dreimal täglich den Gottesdienst feierte. Zuerst wünschte sich Maria Theresia die Kapelle im gotischen Stil, doch dann fand sie diesen zu düster und ordnete an, im Stil der Renaissance zu bauen.

Die Innenausstattung des Schlosses und der anderen Gebäude auf dem Anwesen war für Karl Stephan äußerst wichtig. Er engagierte die bekanntesten galizischen Künstler, war aber mit ihrer Arbeit oft unzufrieden. Den ersten Entwurf der Möbel für das Zimmer seiner Tochter Eleonora bezeichnete er beispielweise als „aus Knochen nervöser Toter geschreinerte Gebilde“. Und obwohl ihr selbst die Möbel sehr gefielen, bestand Stephan darauf, sie abändern zu lassen. Die zornige Eleonora übermalte die Tapeten in einigen Zimmern mit schwarzer Farbe. Auch die Tapeten wurden gewechselt.

In Saybusch arbeiteten ausschließlich italienische Gärtner. Sowohl Karl Stephan als auch Maria Theresia waren davon überzeugt, dass nur Italiener einen Garten ordentlich pflegen konnten.

Jedes von Stephans Kindern bekam im Schloss seine eigene Suite, bestehend aus drei Zimmern: Schlafzimmer, Studierzimmer und Wohnzimmer. Außerdem gab es spezielle Spielzimmer. Im Kunstzimmer durften die Kinder mit den Fingern, die sie zuvor in Farbe tauchten, die Wände bemalen. Von Zeit zu Zeit wurde das Zimmer neu tapeziert, weiß mit kaum sichtbaren grauen Streifen. Weiters gab es im Schloss ein mannshohes Puppenhaus mit Puppen so groß wie siebenjährige Kinder. In Wilhelms Lieblingszimmer fuhr eine Spielzeugeisenbahn. Bei jeder Fahrt passierte ein Unfall, zwei Züge stießen zusammen und entgleisten. Vielleicht brachte das Spielen in diesem Zimmer Willy darauf, dass es interessanter war, Spielsachen zu zerstören, als bloß damit zu spielen. Er wurde für die kaputten Spielsachen nicht bestraft. Der Vater erkannte darin Willys Forscherdrang und lachte nur, wenn dieser in der Nacht in ein kleines mechanisches Spielzeug urinierte – in eine Spieluhr aus Metall, die ein paar Melodien spielen konnte. Diese Spieluhr hatte ihm jemand aus der Verwandtschaft geschenkt, der den winzigen Gegenstand in eine große Schachtel verpackt hatte. Willy freute sich riesig über das große Geschenk und machte sich begeistert ans Auspacken. Er zerriss eine Papierschicht nach der anderen, zerschnitt und entfernte unzählige Schnüre und war mindestens eine halbe Stunde beschäftigt, bevor er das winzige mechanische Spielzeug hervorholte. Sein enttäuschter Gesichtsausdruck brachte alle Anwesenden zum Lachen. Doch Willy selbst war nicht zum Lachen zumute. Mit Tränen in den Augen rannte er aus dem Zimmer. Hätte er die Spieluhr in einem kleinen Päckchen bekommen, hätte er sich wahrscheinlich darüber gefreut, denn er liebte solche Dinge – aber jedes Mal, wenn er die Spieluhr berührte, ertönte in seinen Ohren wieder das Lachen der Erwachsenen. Also musste er sie kaputtmachen. Als die Spieluhr im Urinstrahl kläglich aufjaulte und später verrostete, um daraufhin für immer zu verstummen, verspürte Willy Erleichterung.

Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde

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