Читать книгу Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde - Natalka Sniadanko - Страница 6

1895–1912

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Einer der ersten Sätze der Autobiografie von Halynas Großvater war: „Ich bin das sechste und letzte Kind in der Familie meiner Eltern, der Liebling meiner Mutter.“ Sie, Maria Theresia Antoinette Immakulata Josepha Ferdinanda Leopoldine Franziska Caroline Isabella Januaria Aloysia Christine Anna Erzherzogin von Österreich und Prinzessin von Toskana, war die Tochter von Erzherzog Karl Salvator von Österreich-Toskana und Maria Immaculata di Borbone von Neapel-Sizilien. Maria Theresia sprach mit ihrem Sohn Italienisch, Englisch beherrschte sie von allen in der Familie am schlechtesten: sicher und richtig, aber irgendwie langsam und verkrampft, man merkte, dass sie ständig nach Worten suchte. Als die Kinder größer wurden, übersetzten sie manchmal sogar einzelne Phrasen ihrer englischen Gouvernante für die Mutter.

Die Mutter verbrachte viel Zeit mit Wilhelm, sie lehrte ihn, Patiencen zu legen, Domino zu spielen und zu malen. Von allen Kindern war es nur ihm erlaubt, ihr Atelier zu betreten und ihr bei der Arbeit zuzusehen. Maria Theresia hatte die Angewohnheit, den Pinsel zwischen den Zähnen zu halten, während sie nach der passenden Farbe suchte, und sie wischte sich unwillkürlich die mit Farbe beschmierten Hände an ihrem erlesenen schwarzen Kleid ab. Maria Theresia liebte es, Blumen zu malen. Ihre Arbeiten signierte sie mit den Initialen „mTh“, wobei der mittlere Buchstabe die anderen immer überragte. Manchmal nahm sie die Hand des kleinen Willy und führte sie über die Leinwand, er verschmierte die Ölfarbe und bemühte sich innerhalb der sorgfältigen, von der Mutter vorgemalten Umrisse zu bleiben. Das Malen war nie seine Stärke gewesen. Im Atelier der Mutter standen stets zahlreiche Topfblumen, hauptsächlich Hyazinthen – ihr Geruch suchte Wilhelm danach bis an sein Lebensende heim, wenn er Gemälde betrachtete. Er behielt sogar die Angewohnheit bei, sich wie in seiner Kindheit ein Tuch vor die Nase zu halten, denn der Geruch der Hyazinthen verursachte ihm Kopfschmerzen und eine verstopfte Nase.

Wilhelms Vater Karl Stephan sprach Deutsch mit den Kindern, doch von klein auf verlangte er von ihnen, neben Englisch und Französisch – den traditionellen Fremdsprachen, die alle kaiserlichen Nachfahren beherrschten – auch Polnisch zu lernen.

Im Jahr 1895 erbte Karl Stephan von Habsburg-Lothringen, Admiral der österreichischen Kriegsmarine, ein Anwesen im polnischen Städtchen Saybusch, das sein Onkel Karl Ludwig fünfzig Jahre zuvor von einem verarmten polnischen Adeligen erworben hatte. Im selben Jahr wurde Karl Stephans jüngster Sohn Wilhelm geboren, und der glückliche Vater begann über das polnische Projekt nachzudenken. Das Projekt war extravagant, wie viele andere von Karl Stephans Ideen. Er gab sich nicht der Illusion hin, dass er selbst oder eines seiner Kinder in Zukunft den österreichischen Thron besteigen würde. Als viel realistischer betrachtete er den Zerfall der Monarchie in viele kleine Nationalstaaten: einen tschechischen, einen ungarischen, einen serbischen und andere – darunter wäre auf jeden Fall auch ein polnischer. Jeder dieser kleinen Staaten bräuchte einen Monarchen. Genau darauf wollte sich Karl Stephan vorbereiten. Als zukünftigen König oder zukünftige Königin eines unabhängigen Polens sah er jemanden aus seiner Familie oder sogar sich selbst.

Karl Stephan nannte seinen jüngsten Sohn Wilhelm, zu Ehren eines anderen habsburgischen Erzherzogs, der die polnische Krone bereits Ende des 14. Jahrhunderts auf dem für die Habsburger typischen Weg erlangen wollte: durch Heirat, mit der elfjährigen polnischen Prinzessin Jadwiga. Doch die polnischen Adeligen hinderten ihn daran. Sie lauerten ihm auf dem Weg zu seiner Verlobten auf und schlugen ihn in die Flucht, Jadwiga dagegen vermählten sie mit dem litauischen Großfürsten. Dies war der Beginn der Jagiellonen-Dynastie.

Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde

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